Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Fühlen sich jetzt alle wohl mit Brecht?
So einig waren sich die Augsburger Kulturpolitiker in Sachen Brechtfestival schon viele Jahre nicht mehr. Lob bekam der neue künstlerische Leiter Patrick Wengenroth für sein erstes Festival von allen politischen Seiten. Was in der Nachbetrachtung des Festivals besonders verwundert, ist dieser Zungenschlag. Ein Beispiel aus der offiziellen Festivalbilanz. Dort heißt es: „Statt Brecht-Heimspielen zum Wohlfühlen gab es in vielen experimentellen Formaten neue, aktuelle gesellschaftliche und politische Bezüge zu entdecken“. Man stelle sich einmal eine Aktiengesellschaft vor, bei der es gerade einen Wechsel an der Spitze gab, und plötzlich werden die alten Produkte in ein schlechtes Licht gerückt, damit das Neue umso mehr glänzt. Das wäre geschäftsschädigend. Die Festivalbilanz von Festivalbüro, Kulturreferat, Kulturamt und Theater Augsburg schreckt davor offenbar nicht zurück.
An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass es in Augsburg vor den Brechtfestivals von Joachim Lang die abc-Festivals von Albert Ostermaier gab – als ein durch und durch innovatives Literaturfestival. An dieser Stelle sei auch noch einmal daran erinnert, dass in den sieben Brechtfestivals von Joachim Lang zum Beispiel die Flucht aus Syrien ein großes Thema war, noch bevor die Zahlen so stark stiegen. Es gab Formate wie Brecht im Boxclub, eine gerappte Dreigroschenoper, die längste Filmrolle zu Brecht und vieles mehr. An dieser Stelle sei auch noch einmal daran erinnert, dass beide Festivals große Befürworter und gleichzeitig lautstarke Gegner hatten.
Was folgt nun daraus? Man könnte unter „Brecht-Heimspielen zum Wohlfühlen“ja auch einen Festivalzustand verstehen, an dem sich niemand mehr reibt, der einen schlimmstenfalls ratlos die Schultern zucken lässt, einen Zustand, bei dem alle froh sind, dass zwar ständig von Kontroversen geredet wird, es aber tatsächlich keine Kontroversen mehr gibt. Wenn man sich unter Brecht-Heimspielen zum Wohlfühlen einen solchen Zustand vorstellt, hat sich ihm Augsburg mit dem zurückliegenden Festival gerade genähert.
Jetzt bloß nicht mehr das Streiten anfangen wegen Brecht. Oder doch? Im Kulturausschuss wollen die Stadträte im Mai die Besucherzahlen und die Bilanz diskutieren. Berauschend waren die Zahlen des Brechtfestivals nicht. Das lag am Fehlen des Großen Hauses, aber sicher nicht nur.
*** „Intermezzo“ist unsere KulturKolumne, in der Redakteure der Kultur- und Journal-Redaktion schreiben, was ihnen die Woche über aufgefallen ist.