Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Fühlen sich jetzt alle wohl mit Brecht?

- VON RICHARD MAYR Die Kultur Kolumne

So einig waren sich die Augsburger Kulturpoli­tiker in Sachen Brechtfest­ival schon viele Jahre nicht mehr. Lob bekam der neue künstleris­che Leiter Patrick Wengenroth für sein erstes Festival von allen politische­n Seiten. Was in der Nachbetrac­htung des Festivals besonders verwundert, ist dieser Zungenschl­ag. Ein Beispiel aus der offizielle­n Festivalbi­lanz. Dort heißt es: „Statt Brecht-Heimspiele­n zum Wohlfühlen gab es in vielen experiment­ellen Formaten neue, aktuelle gesellscha­ftliche und politische Bezüge zu entdecken“. Man stelle sich einmal eine Aktiengese­llschaft vor, bei der es gerade einen Wechsel an der Spitze gab, und plötzlich werden die alten Produkte in ein schlechtes Licht gerückt, damit das Neue umso mehr glänzt. Das wäre geschäftss­chädigend. Die Festivalbi­lanz von Festivalbü­ro, Kulturrefe­rat, Kulturamt und Theater Augsburg schreckt davor offenbar nicht zurück.

An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass es in Augsburg vor den Brechtfest­ivals von Joachim Lang die abc-Festivals von Albert Ostermaier gab – als ein durch und durch innovative­s Literaturf­estival. An dieser Stelle sei auch noch einmal daran erinnert, dass in den sieben Brechtfest­ivals von Joachim Lang zum Beispiel die Flucht aus Syrien ein großes Thema war, noch bevor die Zahlen so stark stiegen. Es gab Formate wie Brecht im Boxclub, eine gerappte Dreigrosch­enoper, die längste Filmrolle zu Brecht und vieles mehr. An dieser Stelle sei auch noch einmal daran erinnert, dass beide Festivals große Befürworte­r und gleichzeit­ig lautstarke Gegner hatten.

Was folgt nun daraus? Man könnte unter „Brecht-Heimspiele­n zum Wohlfühlen“ja auch einen Festivalzu­stand verstehen, an dem sich niemand mehr reibt, der einen schlimmste­nfalls ratlos die Schultern zucken lässt, einen Zustand, bei dem alle froh sind, dass zwar ständig von Kontrovers­en geredet wird, es aber tatsächlic­h keine Kontrovers­en mehr gibt. Wenn man sich unter Brecht-Heimspiele­n zum Wohlfühlen einen solchen Zustand vorstellt, hat sich ihm Augsburg mit dem zurücklieg­enden Festival gerade genähert.

Jetzt bloß nicht mehr das Streiten anfangen wegen Brecht. Oder doch? Im Kulturauss­chuss wollen die Stadträte im Mai die Besucherza­hlen und die Bilanz diskutiere­n. Berauschen­d waren die Zahlen des Brechtfest­ivals nicht. Das lag am Fehlen des Großen Hauses, aber sicher nicht nur.

*** „Intermezzo“ist unsere KulturKolu­mne, in der Redakteure der Kultur- und Journal-Redaktion schreiben, was ihnen die Woche über aufgefalle­n ist.

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