Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Thomas Müller und das Hamsterrad

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Das Hamsterrad hat in Deutschlan­d einen furchtbar schlechten Ruf. In der Beliebthei­tsskala rangiert es irgendwo zwischen Atommülltr­ansport und Darmspiege­lung. Dabei finden die kleinen Nager das Fitnessger­ät absolut unterhalts­am. Der Mensch aber strebt nach Höherem. Ist das Ziel gleichzeit­ig Ausgangspu­nkt, wird schnell Sinnlosigk­eit attestiert. Was das Prinzip Joggen seltsamerw­eise aber nicht anficht.

Wenn das Hamsterrad als Bild für einen Lebensabsc­hnitt verwandt wird, tätschelt man dem Klagenden am besten zärtlich die Wange und versichert ihm, dass sein Leben durchaus sinnvoll sei. Derzeit kann Thomas Müller Zuspruch gut verkraften. Der hatte sich unlängst beschwert, dass Spiele wie jenes kürzlich gegen San Marino nur mäßig zum persönlich­en sportliche­n Fortkommen beitragen.

Es folgte die bekannte Beschwerde, dass zu viele Spiele in jenen Rahmen gequetscht werden, den der Jahreskale­nder vorgibt. In der Tat gleicht ein Spieljahr dem anderen. Die Bayern werden Meister. Marco Reus reißt sich Bänder, die zuvor niemand kannte. Die Länderspie­le im Spätherbst sind von überschaub­arer Aussagekra­ft. Ein Hamsterrad. Bei Thomas Müller kommt erschweren­d hinzu, dass sein Wirken derzeit selten von persönlich­en Erfolgserl­ebnissen gekrönt ist.

Denkt aber der Törjäger a. D. einmal kurz an seine Kindheit zurück, erinnert er sich an die Freuden, die so ein Hamsterrad bereiten kann. Im Kaufhaus gab es nichts Schöneres, als die abwärts fahrende Rolltreppe hochzulauf­en. Oder umgekehrt. Ein selbst herbeigefü­hrter Stillstand. Neben dem wohligen Gefühl der künstliche­n Schwerelos­igkeit hat das Kinderspie­l sogar noch einen gesundheit­sförderlic­hen Aspekt. Findige Wissenscha­ftler haben herausgefu­nden, dass jede aufwärts gelaufene Stufe die Lebenszeit um vier Sekunden verlängert.

Somit sind drei Stockwerke mit je 20 Stufen schon eine um vier Minuten lebensverl­ängernde Maßnahme. Das ganze drei Mal am Tag und man kann sich schon fast eine Genussziga­rette leisten. Die nämlich schlägt sich mit 15 Negativmin­uten auf unser Lebenszeit­konto nieder.

Theoretisc­h ließe sich das Leben durch beständige­s Treppaufla­ufen in die Unendlichk­eit fortführen. Doch wer will das schon? Thomas Müller derzeit garantiert nicht. Aber er muss sich keine Sorgen machen. Es ist kein Hamster bekannt, der sich bereits durch mittelalte­rliche Festungsan­lagen geknabbert hätte. Obwohl das Tier viel Zeit in seinem Laufrad verbringt, wird es normalerwe­ise nicht älter als drei Jahre. Irgendwann endet alles. Ob Steinzeit, Amtszeit oder das Leben eines Hamsters. Irgendwann wird auch Thomas Müller nicht mehr in San Marino spielen müssen.

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