Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Nazi-Jäger von Augsburg
Zeitgeschichte Vor 70 Jahren baute das US-Militär in der Region eine Spezialeinheit auf. Sie sollte Schergen des NS-Regimes aufspüren. Bislang wusste man nur wenig über ihre Arbeit. Nun hat ein Verein in einem amerikanischen Archiv ein spannendes Dokument
Ein trotziges „Nicht schuldig“. Ein lautes „Nein!“– hineingebellt in den Saal des Nürnberger Justizpalastes und damit hinaus in die Welt. Die Arroganz, mit der das Gros der Nazi-Größen im ersten und spektakulärsten Kriegsverbrecherprozess der Geschichte die Verantwortung von sich wies, hallt bis heute nach. Knapp 70 Jahre später sind die Schwarz-Weiß-Bilder noch immer allgegenwärtig: der betont lässige Reichsmarschall Hermann Göring mit Sonnenbrille, der herrische Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, der verwirrte England-Flieger Rudolf Heß.
Weit weniger oft wird über die unteren und mittleren Chargen gesprochen. Fanatisierte NSDAPFunktionäre, brutale KZ-Aufseher, Denunzianten oder Verbrecher in Uniform. Doch auch sie wurden nach 1945 im ganzen Land gesucht. Mit besonderer Hartnäckigkeit von den amerikanischen Besatzern. Für viele, die hofften, dass sie und ihre Untaten im Nachkriegschaos unentdeckt bleiben würden, war der 1.November 1946 kein guter Tag. entdeckt – der bis in die 90er Jahre unter Verschluss gehaltene Bericht der zuständigen Justizinstanz der US-Streitkräfte über die Verfolgung von Nazi-Verbrechern in der Zeit von Juni 1944 bis Juli 1948. Viele der 249 Seiten befassen sich mit der Arbeit der 7708er, bei der rund 600 Juristen, Dolmetscher und Verwaltungsexperten tätig waren.
Gerhard Rankl, Wirtschaftsjurist aus Bobingen, hat sich daran gemacht, den Bericht für den Verein Amerika in Augsburg zu sichten und einzuordnen. Er suchte alte Fotos, las sich in das Konzept der US-Administration zur Entnazifizierung ein, beschäftigte sich mit den Dachauer Prozessen gegen Nazi-Verbrecher. Je tiefer er in das Thema eintauchte, desto größer wurde sein Respekt, mit welcher Hartnäckigkeit die US Army ihr Projekt verfolgte: „Was da umgesetzt wurde, ist eine riesige Leistung und ein unschätzbarer Beitrag zur Demokratisierung Deutschlands.“
Ein Urteil, das die Münchner Historikerin Edith Raim teilt: „Man hätte ja auch einfach Rache nehmen können, aber genau diesen Weg wollten die USA bei den Militärtribunalen eben nicht gehen. Die Verfahren wurden trotz der schwierigen Umstände meist fair und nach rechtsstaatlichen Standards geführt.“Die Expertin für die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen nennt ein weiteres Indiz für die Ernsthaftigkeit, mit der die USA vorgingen: „Die Amerikaner betrauten nicht etwa unerfahrene junge Anwälte mit dieser gewaltigen Aufgabe, sondern die besten und versiertesten Juristen und Fachleute – darunter auch deutsche Emigranten, die bis ins Detail wussten, wie die Behörden im Dritten Reich strukturiert waren.“
Doch zunächst musste Washington einen schmerzhaften Lernprozess durchlaufen. Als die US-Truppen am 6. Juni 1944 zusammen mit den Alliierten in der Normandie landeten, verfügte jede Einheit über einen Juristen, dem wiederum ein Techniker, ein Übersetzer, ein Fotograf sowie ein Fahrer nebst Jeep unterstellt wurden. Diese kleine Mannschaft hatte die Aufgabe, Verbrechen der Feinde an den Kameraden zu dokumentieren. Da ging es um Massenerschießungen von gefangenen US-Soldaten wie im belgischen Malmedy, oder Fälle, in denen Piloten, die einen Absturz überlebt hatten, von der aufgepeitschten Zivilbevölkerung gelyncht wurden. Doch in den letzten Wochen des Krieges, insbesondere nach der Befreiung der ersten Konzentrationslager, dämmerte Washington, dass es damit nicht getan sein würde. „Als immer deutlicher wurde, dass von Deutschen systematische Verbrechen begangen worden waren, reagierten die USA mit grundlegenden Umstrukturierungen“, sagt Gerhard Rankl.
Wurden die Ermittlungen zunächst zentral von Washington aus gesteuert, liefen die Fäden nach der Befreiung von den Nazis in Paris zusammen. 1946 reifte die Entscheidung: Die Ermittler und Juristen sollen in eine eigene Einheit mit eigenem Budget zusammengefasst werden. Und: Diese gehört nach Deutschland. „Ehrliches Entsetzen über das Ausmaß der deutschen Verbrechen hatte letztlich zu diesem Schritt geführt“, sagt Edith Raim.
Warum aber wählte die US-Justiz ausgerechnet Augsburg als Domizil für ihre War Crimes Group? Ganz einfach: Die Stadt verfügte über weitgehend intakte und beheizbare Kasernen und lag nicht allzuweit entfernt von Dachau. Im Osten der Kleinstadt betrieben die Nazis ein berüchtigtes KZ, das die Amerikaner nach der Befreiung kurzerhand als Internierungslager für mutmaßliche deutsche Kriegsverbrecher nutzten. Zudem fanden sich in Dachau drei intakte Gerichtssäle, in denen das US-Militär 460 Verfahren durchführte. 1600 Kriegsverbrecher wurden dort verurteilt.
Nicht weit entfernt lag die Haftanstalt Landsberg, in der Hitler 1923 als Häftling sein berüchtigtes Werk „Mein Kampf“verfasst hatte. Die US-Administration nutzte das Gefängnis als „War Criminals Prison No. 1“– dort wurden die Verurteilten inhaftiert oder hingerichtet. 258 Todesurteile wurden zwischen 1947 und 1951 vollstreckt. Noch näher an Dachau als Augsburg liegt allerdings München. Dort, genauer in der McGraw-Kaserne, landete die Einheit 1947 nach einem kurzen Gastspiel in Freising. Trotz der 600 Mitarbeiter drohte die Einheit 7708 ständig in der Flut an Informationen über Verdächtige unterzugehen. Rankl hat die Zahlen. Danach lagerten nach dem Krieg „in 1200 Kisten bis zu 12,5 Tonnen Material“zu den Dachau-Prozessen. Ein guter Teil davon dürfte durch die Hände der Männer und Frauen der War Crimes Group gegangen sein.
Natürlich lief bei der Masse der Fälle, die in einer langen Liste von Angeklagten in dem Bericht über die Nazi-Jäger-Einheit belegt ist, nicht alles glatt. So wurden mitunter Prozesse durch sogenannte „Berufszeugen“, die für Kost und Logis Personen belasteten, verfälscht. Gleichzeitig erschwerte die gezielte Vernichtung von NS-Akten durch deutsche Behörden in der letzten Kriegsphase die Recherchen.
Anfang der 50er Jahre wuchs in Teilen der Bevölkerung der Widerstand gegen die Prozesse und Hinrichtungen. Ihnen lag ein völlig neues Rechtsverständnis zugrunde. Danach konnten auch einfache Soldaten oder Zivilisten wegen Verbrechen „gegen den Frieden“oder „gegen die Menschlichkeit“vor Gericht gestellt wurden. Verfolgt wurden auch Taten, die im Dritten Reich nicht strafbar waren, und zwar rückwirkend. Viele Deutsche taten das als „Siegerjustiz“ab.
Im Januar 1951 kam es in Landsberg zu einer großen Demonstration gegen die US-Militärjustiz. Klaus Weichert, der die Geschichte des dortigen Gefängnisses aufgeschrieben hat, glaubt nicht, dass die Proteste von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen wurden. „Den meisten Landsbergern war egal, wer in der Haftanstalt einsaß. Der Widerstand und auch die Demonstranten kamen eher von außen“, sagt Weichert, der viele Jahre Anstaltslehrer war. Die Proteste seien meist von Angehörigen der Verurteilten initiiert worden. Unterstützt oft von straff organisierten, zunächst illegal operierenden Kameradschaftsverbänden früherer Angehöriger der SS oder der Wehrmacht.
Der Grund dafür, dass in Landsberg im Juni 1951 die letzte Hinrichtung stattfand und die US-Militärjustiz im Laufe der 50er Jahre weit milder urteilte, war aber ein anderer: Washington erkannte angesichts der immer schärfer werdenden Konfrontation zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion, dass Westdeutschland auf Dauer als starker Verbündeter nützlicher sein würde denn als Feind. „Hinzu kam, dass die US-Soldaten immer mehr private Kontakte zu den Deutschen knüpften, ja teilweise begeistert waren von bayerischem Brauchtum und den malerischen Alpen“, fügt Edith Raim hinzu. Zunächst war Verbrüderung mit dem Feind verboten, später wurden die Begegnungen sogar gefördert. „Aus Besatzern wurden Freunde“, lautet der viel zitierte, aber zutreffende Satz über das, was sich daraus entwickelte.
Ein Punkt, an dem der Vorsitzende von Amerika in Augsburg, Georg Feuerer, ansetzt. „Wir wollen eine Lücke schließen. Wir wollen, dass die Epoche der amerikanischen Präsenz in Augsburg lebendig bleibt“, sagt er und klopft anerkennend auf das dicke Blech eines alten US-Militärfahrzeuges. Der fahrtüchtige Koloss parkt in Halle 116 der ehemaligen Sheridan-Kaserne in AugsburgPfersee. In dem riesigen Schuppen, neben dem Offizierskasino der letzte steinerne Zeuge der militärischen