Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Plädoyer für das Leben
Ein Mann will sterben. Ein Entschluss, den er seiner Familie nur schwer beibringen kann
ZDF, 20.15 Uhr Wie verabschiedet man sich angemessen und würdig aus dem Leben und von seinen Liebsten, so lange man dazu noch selber in der Lage ist? Versammelt man sie alle um sich, um ihnen dann mitzuteilen, dass das eigene Leben bald zu Ende sein wird? Oder sagt man erst mal gar nichts? Diesem berührenden Thema widmet sich Matti Geschonneck, 63, in seinem Film „Ein großer Aufbruch“.
Holm (Matthias Habich) hat unheilbaren Krebs und will diese Nachricht seiner Familie mitteilen. Auf seinem idyllischen Landhof am Chiemsee versammelt er also alle die Menschen um sich, die ihm etwas bedeuten: Das sind seine beiden Töchter Charlotte (Katharina Lorenz) und Marie (Ina Weisse) samt ihrem Freund Heiko (Matthias Brandt), seine Ex-Gattin Ella (Hannelore Elsner) sowie seinen besten Freund Adrian (Edgar Selge) mit seiner Frau Katharina (Ulrike Kriener). Nach und nach treffen alle ein, man versammelt sich bei Essen und Wein – und zeigt sich von ungläubig bis schockiert von dem, was Holm ihnen mitzuteilen hat: Er möchte in die Schweiz fahren und dort mittels eines Medikaments aus dem Leben scheiden.
So kommt heraus, dass Holm, der mal als Entwicklungshelfer in Afrika gearbeitet hat, im Grunde pleite ist und von finanziellen Zuwendungen von Adrian lebt und dass er ein Verhältnis mit Katharina hatte. Ella hat Mann und Töchter vor 30 Jahren verlassen und noch ein paar Rechnungen offen; Charlotte reist eigens aus Frankreich an, und Marie wollte eigentlich nur auf einen Drink bleiben. Man schimpft, man tobt, man weint, man lacht: Abrechnungen werden quer über den großen Esstisch hinweg gemacht, die den eigentlichen Grund des Familientref- fens eher in den Hintergrund treten lassen.
Geschonnek hat bereits achtmal mit dem Autor Magnus Vattrodt, 43, zusammengearbeitet, von „Liebesjahre“bis hin zu „Das Zeugenhaus“. „Es geht um die Konfrontation mit dem eigenen Tod, um familiäre Verwicklungen, Lebenslügen“, sagte Geschonneck. „Die Frage ist ja, ob Holm wirklich gescheitert ist. Ich glaube das nämlich nicht. Und gerade deshalb finde ich, dass es ein lebensbejahender Film ist, weil er eben auch über die Abgründe und Beziehungen in Holms Leben berichtet.“
Der Schauspieler Matthias Habich, 75, sagte, dass ihm eine Figur sympathisch sein müsse, um sie zu spielen, „auch wenn sie böse und und hassenswert für andere erscheinen sollte. Ich darf sie nicht be- und verurteilen und schon gar nicht denunzieren, ich muss ihr nachspüren und sie in mir entdecken.“Schließlich stecke in jedem Menschen Böses. Er möge es nicht, eine von ihm gespielte Figur zu erklären. „Ich will dem Zuschauer nicht das Mitdenken und Mitfühlen abnehmen.“
Das geschieht keineswegs in diesem spannenden Kammerspiel mit pointierten Dialogen („Was ist so schlimm am Sterben?“– „Dass man anschließend tot ist.“) und hervorragendem Ensemble. Vielmehr kann der Zuschauer ganz für sich entscheiden, was der Filmtitel bedeuten könnte: Ein Aufbruch der Gefühle und Meinungen, oder ein Aufbruch zu etwas Neuem? Vielleicht auch beides, oder noch etwas ganz anderes. Auch einen Beitrag zur aktuellen Debatte um das Thema Sterbehilfe kann man in dem Film erkennen, der vom nahen Tod handelt, aber im Grunde ein Plädoyer fürs das Leben ist.
Klaus Braeuer, dpa