Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Stehpinkler
Galt der Stehpinkler nicht als evolutionär überwunden? Der domestizierte Mann entwickelte sich im späten 20. Jahrhundert vom aufrechten Stand zurück in die Sitzhaltung. Das war das Ergebnis eines der größten Umerziehungsprojekte der modernen Zivilisation, unnachgiebig vorangetrieben von Frauen. Das Verkümmern des Stehpinklers im Mann ist vergleichbar nur noch mit dem schleichenden Verschwinden des Rauchers aus dem öffentlichen Leben.
Doch wie passt dann diese Nachricht in die deutsche Sitzlandschaft? Vor dem Landgericht Düsseldorf hat ein Stehpinkler einen Sieg gegen seine Vermieterin errungen. Dieser Triumph besteht weniger darin, dass der Mieter den unter seiner Stehpinklerbiografie verätzten Marmorboden nicht zu ersetzen hat. Sondern vielmehr im Bekenntnis aus dem Urteilsspruch, wonach „Urinieren in einer aufrechten Körperhaltung bei männlichen Personen nicht unüblich ist“.
Ein Satz wie aus einer anderen Zeit. Einer Zeit, als Männer noch Hüte trugen und an Stammtischen saßen, um ihre Ehefrauen daheim nicht beim Putzen zu stören. Der Satz könnte beweisen, dass auch Richter, wenn sich Gelegenheit bietet, trotzig aufbegehren gegen ihr häusliches Schicksal. Den Vorsitz der Kammer hatte allerdings eine Richterin, Frau Geisel.
Wird das Düsseldorfer Urteil, das womöglich nicht nur von Frauen als ätzend empfunden wird, eine Wende einleiten? Werden Millionen umgeschulte Sitzpinkler nun daheim im Bad wieder zu Stehaufmännchen? Unwahrscheinlich.
Wie die letzten Jahrzehnte gezeigt haben, stehen das nur Junggesellen durch. Alle anderen sitzen sozialisiert in der Klemme und rauchen nicht mal mehr heimlich auf dem Klo. Außer vielleicht in Düsseldorf.