Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Mit einem Biss begann ihr Leidensweg
Finja Seiwert war bei zahlreichen Ärzten, bis ihre Diagnose feststand. In einer Augsburger Spezialpraxis wird sie nun wegen Borreliose behandelt. So wie viele andere Patienten aus aller Welt.
Es begann mit Muskelzucken, Erschöpfung und Konzentrationsstörungen. Finja Seiwert hatte das Gefühl, als würde eiskaltes Sprudelwasser durch ihre Adern fließen, wurde von Ohnmachtsanfällen geplagt. Schließlich, sagt die 22-jährige Augsburgerin, habe sie das Gefühl gehabt, als stünde ihr ganzer Körper in Flammen. „Ich dachte, ich würde sterben.“Bei zahlreichen Ärzten sei sie gewesen. Einer vermutete einen Hirntumor und schickte sie zum MRT, ein anderer tippte auf verfrühte Wechseljahrsbeschwerden. Mehrere Mediziner hätten ihre Symptome, die immer stärker wurden, auf die Psyche geschoben. Im Herbst 2022, nach einer mehrmonatigen Ärzteodysee, entschied sie sich schließlich zu einem umfassenden Bluttest und erhielt endlich eine Erklärung für ihre Symptome: Borreliose. Ausgelöst durch einen Zeckenbiss im Frühjahr.
Die typische Wanderröte, von der man in diesem Zusammenhang immer hört, habe sich bei ihr nicht gebildet. Dass der Biss der Zecke der Auslöser für ihre gesundheitlichen Probleme sein könnte, daran hatte Finja Seiwert deshalb nicht gedacht. Heute weiß sie, dass der prägnante Hautausschlag längst nicht bei jeder Borreliose-infektion auftritt. Zum Zeckenmonat Mai will sie die Menschen dafür sensibilisieren, nach einem Zeckenbiss genauer auf den eigenen Körper zu achten.
„Wenn man es früh genug erkennt, kann man sich einen Leidensweg, wie ich ihn hatte, ersparen.“
Denn mit der Diagnose war es bei ihr längst nicht getan. Finja Seiwert bekam zunächst Antibiotika, doch die halfen nur begrenzt. Sie recherchierte weiter und stieß auf die Augsburger Privatpraxis Alviasana, die sich unter anderem auf die Behandlung von Lyme-borreliose spezialisiert hat. Dort unterzieht sie sich einer Langzeitantibiose, unterstützt durch Nahrungsergänzung und viele weitere Komponenten. Heute, sagt die junge Frau, gehe es ihr dadurch deutlich besser. Nervenschmerzen hat sie manchmal
immer noch, ist infektanfällig, trägt in der Öffentlichkeit deshalb eine Maske. Doch die Kommunikationsdesign-studentin ist zuversichtlich, dass sie irgendwann wieder ganz gesund wird.
„Ich habe vollstes Vertrauen in meine Ärzte.“Dass Alviasana ausgerechnet in ihrer Heimatstadt Augsburg seinen Sitz hat, ist für die 22-Jährige ein Glücksfall, wie sie sagt. In der Praxis gleich neben der Ci- ty-galerie hat sie zahlreiche Leidensgenossen kennengelernt, die weite Wege für ihre Behandlung auf sich nehmen. Ihre Patienten, sagt die Medizinerin Sigrid Blehle, die die Praxis betreibt, kämen hauptsächlich aus Europa, teils aber auch aus Indien oder den USA. Viele von ihnen erzählten ähnliche Geschichten wie Finja Seiwert. Von Ärzten, die ihre Beschwerden als psychisch abtaten. Blehle weiß, dass zahlreiche Mediziner die Langzeittherapie mit Antibiotika extrem kritisch sehen, erzählt von einem Neurologen, der seinen Patienten gar verboten habe, zu ihr zu kommen. Heute sei die Frau beschwerdefrei. „Viele Ärzte negieren das Krankheitsbild der chronischen Borreliose völlig. Doch die Erfolge geben uns recht.“
Sie zeigt Videos von einem 12-Jährigen, der mit der Verdachtsdiagnose ALS im Rollstuhl in Augsburg ankam und heute wieder gehen kann. Erzählt von einer Leistungsschwimmerin aus Frankreich, die nicht mehr laufen konnte und nun wieder Wasserski fährt. Knapp 2000 Patienten behandle ihr Team pro Jahr, viele über mehrere Monate. Und die meisten, sagt Blehle, könne man wieder völlig herstellen. Wenn sie einen Wunsch freihätte, dann dass ihre Kollegen das Thema Borreliose stärker in den Blick nehmen. Und bei einer festgestellten Infektion eine vierwöchige Antibiose verschreiben. Aktuell seien es oft nur zwei oder drei Wochen. „Hinterher sehen wir dann das Drama bei uns.“
Zudem rät sie dazu, sich nach jedem Spaziergang in der Natur genau auf Zecken zu untersuchen. Auch wenn die längst nicht mehr die einzigen Überträger der Borreliose seien – auch Stechmücken und Pferdebremsen gehören mittlerweile dazu. Schätzungen zufolge trügen etwa 30 Prozent der Zecken Borrelien in sich, dazu viele weitere Infektionen, die man bei den Patienten oft ebenfalls finde. Sorgen macht Blehle daneben auch der Klimawandel. Mittlerweile seien Zecken fast das ganze Jahr über aktiv. Dazu komme, dass auch Zeckenarten bei uns Fuß gefasst haben, die noch mehr Krankheiten und andere Borrelienstämme übertragen können. Das Risiko sei gestiegen, sagt Blehle. Auch wenn der Auslöser nur wenige Millimeter groß ist.