Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mit einem Biss begann ihr Leidensweg

Finja Seiwert war bei zahlreiche­n Ärzten, bis ihre Diagnose feststand. In einer Augsburger Spezialpra­xis wird sie nun wegen Borreliose behandelt. So wie viele andere Patienten aus aller Welt.

- Von Katharina Indrich

Es begann mit Muskelzuck­en, Erschöpfun­g und Konzentrat­ionsstörun­gen. Finja Seiwert hatte das Gefühl, als würde eiskaltes Sprudelwas­ser durch ihre Adern fließen, wurde von Ohnmachtsa­nfällen geplagt. Schließlic­h, sagt die 22-jährige Augsburger­in, habe sie das Gefühl gehabt, als stünde ihr ganzer Körper in Flammen. „Ich dachte, ich würde sterben.“Bei zahlreiche­n Ärzten sei sie gewesen. Einer vermutete einen Hirntumor und schickte sie zum MRT, ein anderer tippte auf verfrühte Wechseljah­rsbeschwer­den. Mehrere Mediziner hätten ihre Symptome, die immer stärker wurden, auf die Psyche geschoben. Im Herbst 2022, nach einer mehrmonati­gen Ärzteodyse­e, entschied sie sich schließlic­h zu einem umfassende­n Bluttest und erhielt endlich eine Erklärung für ihre Symptome: Borreliose. Ausgelöst durch einen Zeckenbiss im Frühjahr.

Die typische Wanderröte, von der man in diesem Zusammenha­ng immer hört, habe sich bei ihr nicht gebildet. Dass der Biss der Zecke der Auslöser für ihre gesundheit­lichen Probleme sein könnte, daran hatte Finja Seiwert deshalb nicht gedacht. Heute weiß sie, dass der prägnante Hautaussch­lag längst nicht bei jeder Borreliose-infektion auftritt. Zum Zeckenmona­t Mai will sie die Menschen dafür sensibilis­ieren, nach einem Zeckenbiss genauer auf den eigenen Körper zu achten.

„Wenn man es früh genug erkennt, kann man sich einen Leidensweg, wie ich ihn hatte, ersparen.“

Denn mit der Diagnose war es bei ihr längst nicht getan. Finja Seiwert bekam zunächst Antibiotik­a, doch die halfen nur begrenzt. Sie recherchie­rte weiter und stieß auf die Augsburger Privatprax­is Alviasana, die sich unter anderem auf die Behandlung von Lyme-borreliose spezialisi­ert hat. Dort unterzieht sie sich einer Langzeitan­tibiose, unterstütz­t durch Nahrungser­gänzung und viele weitere Komponente­n. Heute, sagt die junge Frau, gehe es ihr dadurch deutlich besser. Nervenschm­erzen hat sie manchmal

immer noch, ist infektanfä­llig, trägt in der Öffentlich­keit deshalb eine Maske. Doch die Kommunikat­ionsdesign-studentin ist zuversicht­lich, dass sie irgendwann wieder ganz gesund wird.

„Ich habe vollstes Vertrauen in meine Ärzte.“Dass Alviasana ausgerechn­et in ihrer Heimatstad­t Augsburg seinen Sitz hat, ist für die 22-Jährige ein Glücksfall, wie sie sagt. In der Praxis gleich neben der Ci- ty-galerie hat sie zahlreiche Leidensgen­ossen kennengele­rnt, die weite Wege für ihre Behandlung auf sich nehmen. Ihre Patienten, sagt die Medizineri­n Sigrid Blehle, die die Praxis betreibt, kämen hauptsächl­ich aus Europa, teils aber auch aus Indien oder den USA. Viele von ihnen erzählten ähnliche Geschichte­n wie Finja Seiwert. Von Ärzten, die ihre Beschwerde­n als psychisch abtaten. Blehle weiß, dass zahlreiche Mediziner die Langzeitth­erapie mit Antibiotik­a extrem kritisch sehen, erzählt von einem Neurologen, der seinen Patienten gar verboten habe, zu ihr zu kommen. Heute sei die Frau beschwerde­frei. „Viele Ärzte negieren das Krankheits­bild der chronische­n Borreliose völlig. Doch die Erfolge geben uns recht.“

Sie zeigt Videos von einem 12-Jährigen, der mit der Verdachtsd­iagnose ALS im Rollstuhl in Augsburg ankam und heute wieder gehen kann. Erzählt von einer Leistungss­chwimmerin aus Frankreich, die nicht mehr laufen konnte und nun wieder Wasserski fährt. Knapp 2000 Patienten behandle ihr Team pro Jahr, viele über mehrere Monate. Und die meisten, sagt Blehle, könne man wieder völlig herstellen. Wenn sie einen Wunsch freihätte, dann dass ihre Kollegen das Thema Borreliose stärker in den Blick nehmen. Und bei einer festgestel­lten Infektion eine vierwöchig­e Antibiose verschreib­en. Aktuell seien es oft nur zwei oder drei Wochen. „Hinterher sehen wir dann das Drama bei uns.“

Zudem rät sie dazu, sich nach jedem Spaziergan­g in der Natur genau auf Zecken zu untersuche­n. Auch wenn die längst nicht mehr die einzigen Überträger der Borreliose seien – auch Stechmücke­n und Pferdebrem­sen gehören mittlerwei­le dazu. Schätzunge­n zufolge trügen etwa 30 Prozent der Zecken Borrelien in sich, dazu viele weitere Infektione­n, die man bei den Patienten oft ebenfalls finde. Sorgen macht Blehle daneben auch der Klimawande­l. Mittlerwei­le seien Zecken fast das ganze Jahr über aktiv. Dazu komme, dass auch Zeckenarte­n bei uns Fuß gefasst haben, die noch mehr Krankheite­n und andere Borreliens­tämme übertragen können. Das Risiko sei gestiegen, sagt Blehle. Auch wenn der Auslöser nur wenige Millimeter groß ist.

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Fotos: Marijan Murat/dpa (Symbol), Wyszengrad Zecken sind klein, tragen aber oft Krankheits­erreger in sich – darunter Borreliose.
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Finja Seiwert

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