Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Kanzlerkandidat Merz? Vorsicht!
Mit Friedrich Merz steuert die CDU siegesgewiss auf die nächste Wahl zu. Dabei bietet der Mann keinerlei Gewähr dafür, dass er konfliktfreier regieren würde als die Ampel.
Die CDU ist wieder erkennbar, das muss man Friedrich Merz lassen. Wie ein Bildhauer hat er den Merkel-ballast der vergangenen Jahrzehnte abgeschlagen und herausgearbeitet, wie eine moderne konservative Partei aussehen kann: Leitkultur, klare Kante in der Migrationspolitik und ein Schwerpunkt bei dem Thema, das viele Wählerinnen und Wähler derzeit am meisten umtreibt – der Frage, wie die Wirtschaft wieder in Schwung kommt.
Gleichzeitig wirkt die Ampel wie gelähmt in ihrer Schwäche. Sicher, SPD, Grüne und Liberale bauen das Land in der Gesellschaftspolitik, wo sie Schnittmengen haben, stärker um als man oft wahrnimmt. Stichwort: Cannabis-legalisierung. Jenseits davon aber scheinen die Gemeinsamkeiten aufgebraucht – vor allem in der Wirtschaftspolitik geht nichts voran. Ideale Bedingungen also, um Merz beim Cdu-parteitag nicht nur als Vorsitzenden zu bestätigen, sondern gleich als Kanzler in Wartestellung zu feiern. Oder doch nicht? Vorsicht ist geboten.
Denn trotz der komfortablen Ausgangslage, die durch eine in Vorwürfe des Landesverrats verstrickte AFD zusätzlich verbessert wird, verharrt die Union in Umfragen seit Monaten bei 30 Prozent. Das ist deutlich vor der Konkurrenz, aber wohl nicht genug, um eine stabile Regierung mit nur einem Koalitionspartner zu bilden, nach der sich viele angesichts des Dauergezänks der Ampel sehnen.
Wer nach den Gründen für das trotz idealen Umfelds eher gebremste Abheben der CDU sucht, landet schnell beim Chef selbst. Merz ist kein Kandidat ohne Risiko.
Frauen, auch das zeigen Umfragen, wählen ihn eher nicht. Seine Arbeit als Wirtschaftsanwalt und später bei Blackrock hat ihm zwar Wohlstand gebracht. Mit der sozialen Marktwirtschaft aber hat diese New Yorker Investment-gesellschaft so viel zu tun wie die örtliche Sparkasse mit Lehman Brothers. Dazu kommt, dass ausgerechnet der Kandidat, der so wirkt, als sei er immer schon da gewesen, über 20 Jahre lang kein nennenswertes politisches Amt innehatte. Merz war nie Minister, noch nicht mal in einem Bundesland.
Will man in Zeiten des russischen Revanchismus und einer denkbaren Wiederkehr Donald Trumps einen Mann im Kanzleramt, der im Vergleich zu all seinen Vorgängern fast schon als politischer Novize gelten muss?
Auch der klare Kurs in der Wirtschaftspolitik hat Tücken. Denn Merz macht damit ausgerechnet jener Partei das Leben schwer, mit der er doch koalieren wollen müsste – der FDP. Klug wäre es, wie einst Helmut Kohl, nach Themen zu suchen, wo sich Liberale und Union ergänzen – um mehr Wähler anzusprechen. Stattdessen droht die MERZ-CDU, als eine Art ÜBERFDP die Liberalen unter die Fünfprozent-hürde zu drücken.
Was zur nächsten Anmerkung zu einem Kanzler Merz führt. Nicht nur die Herausforderungen des Landes werden noch da sein, wenn Merz Olaf Scholz abgelöst haben sollte – etwa die Notwendigkeit, mit begrenzten Finanzen Ausgaben für Verteidigung, Klimaschutz und Soziales auszutarieren. Vor allem wird Merz dabei womöglich ausgerechnet mit jenen Parteien arbeiten müssen, deren wirtschaftsund sozialpolitisch unterschiedliche Weltanschauung für den Stillstand heute verantwortlich ist – mit FDP und Grünen. Ob es ausgerechnet der Mann, der seine Emotionen oft nicht unter Kontrolle hat („kleine Paschas“), fertigbringt, eine Dreier-koalition besser zu führen als Scholz seine Ampel? Zweifel sind angebracht.
Auch Merz bräuchte wohl zwei Koalitionspartner.