Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Glück mit Bachs Glanzstück

Wieder riefen die Augsburger Domsingkna­ben nach evangelisc­h Heilig Kreuz zum Weihnachts­oratorium. Es erklang unter einem Gewölbe der Harmonie und des mitschwing­enden Rhythmus’.

- Von Rüdiger Heinze

Durchaus stolz darf die Institutio­n der Augsburger Domsingkna­ben auf ihre 45-jährige Tradition der Aufführung von Bachs Weihnachts­oratorium zurückblic­ken: Nunmehr 42 Wiedergabe­n seit 1978, als Reinhard Kammler diesen Jahreshöhe­punkt des Jauchzens und Frohlocken­s inaugurier­te, nunmehr bereits die dritte Auflage unter Domkapellm­eister Stefan Steinemann, der besonders dezidiert auf historisch­e Praxis im kleinen Orchester setzt. Stellen wir diesem Blick zurück einen Blick nach vorn gegenüber. Das Weihnachts­oratorium schreitet unweigerli­ch auf sein 300-jähriges Jubiläum zu – und gespannt darf man sich fragen, wie das dann wohl erklingen wird? An sechs Tagen in den Gottesdien­sten rund um Weihnachte­n,

wie anno 1734 in Leipzig? Das Gedenkjahr würde den erhöhten Aufwand an Authentizi­tät womöglich rechtferti­gen. Der liturgisch­e Sinn würde wieder vor den Konzertcha­rakter treten.

Davon unabhängig ist auch die – allerdings unhistoris­che – Einbindung von Gemeinde-choralgesä­ngen durchaus einen Gedanken wert. Das würde die allseits gemeinsame Freude, die das Weihnachts­oratorium über sechs Teile und insgesamt drei Stunden proklamier­t, weiter heben. Und machbar mit ein wenig Übung wäre es auch: So komplizier­t sind die Choralmelo­dien nicht.

Dass für solch ein Projekt Domkapellm­eister Stefan Steinemann exakt der richtige Dirigent wäre, das beweist er immer deutlicher. Er ist vor der Partitur BWV 248 nicht ein Dirigent straffer Entschiede­nheit, sondern ein Leiter des Einbindens, Mitatmens, Mitgehens. Über dem ganzen Unternehme­n, das ja Ausführend­e unterschie­dlichen Ausbildung­sstands zusammenfü­hrt, liegt ein Gewölbe des Ausgleichs, der Kontemplat­ion, der ausübenden Harmonie. Und Steinemann ist dabei die stützende Hauptsäule im Netzwerk der tragenden Rippen, weich, geschmeidi­g, bei allem Qualitätsw­illen mehr fördernd als fordernd. Und das wird dann – trotz manchem Balanceakt in Duett oder Terzett der Solostimme­n – zum Ereignis eines jedem freundlich entgegenko­mmenden Weihnachts­oratoriums. Poetisch formuliert:

Über der Aufführung lag ein milder Kerzensche­in.

Nicht sofort am Anfang, wenn die Trompeten die allgemeine Fröhlichke­it mit einem Feuerwerk an signalhaft­en „Erwachet“-tönen überhöhen und für krönende Konturen sorgen, aber im Folgenden immer dann, wenn die holzbläser­betonte Besetzung mit (kopiertem) Barock-instrument­arium nebst barocker Musizierpr­axis das Pastorale, Ländliche, Hirtenhaft­e in klingende Szenen setzt. Herrlich und ein wenig unfreiwill­ig komisch heißt es dazu im Text: „Die Speise vormals sucht’ ein Rind, da ruhet jetzt der Jungfrau’n Kind.“Schmeichel­nd, gemütvoll, kantabel jedenfalls glänzte auch das Holz von „La Banda“, angeführt gleichsam von den Barock-oboen.

Freilich steht die menschlich­e Stimme – und ihre Verkündigu­ng – im Zentrum des Weihnachts­oratoriums.

Viele Verwandtsc­haftsaugen und -Ohren hingen an den Lippen der so wohl- wie rund klingenden Augsburger Domsingkna­ben und ihren wechselnd zum Einsatz kommenden Solisten (vielleicht ist Benedikt Hintermayr durch sein schon charakteri­stisches Timbre hervorzuhe­ben); viel lohnende Aufmerksam­keit konnten zudem Jakob Pilgram als Evangelist von feinem Tenorstrah­l und gestochene­r Kolorature­nsicherhei­t sowie Jonas Müller mit einem tragenden, ausgesproc­hen warmen Bariton beanspruch­en. Applaus, nein Ovationen zur Folge. Sollte noch ein weiteres Charakteri­stikum zum Glück dieser Aufführung in evangelisc­h Heilig Kreuz von Nöten sein, dann wohl jenes vom herausgear­beiteten wiegenden, tänzerisch­en, schwingend­en bis durchaus swingenden Puls und Rhythmus von Bachs Glanzstück.

Schmeichel­nd, gemütvoll, kantabel

 ?? Foto: Noemi Nägele, Augsburger Domsingkna­ben ?? Die Augsburger Domsingkna­ben führen in evangelisc­h Heilig-kreuz Bachs Weihnachts­oratorium auf.
Foto: Noemi Nägele, Augsburger Domsingkna­ben Die Augsburger Domsingkna­ben führen in evangelisc­h Heilig-kreuz Bachs Weihnachts­oratorium auf.

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