Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Viele Augsburger holen jetzt Angehörige aus dem Erdbebenge­biet

Die Opfer in der Türkei und Syrien sind noch immer auf Hilfe angewiesen. Türkeistäm­mige halten zusammen und unterstütz­en ihre Verwandten. Doch sie würden gerne mehr tun.

- Von Stefanie Schoene

Elf Personen aus seiner Herkunftss­tadt Antakya haben Tugay Cogal und seine Brüder aufgenomme­n. Für die Angehörige­n vor Ort sei die Visa-beantragun­g mühsam gewesen. Termine mussten beantragt werden, die Verwandten fuhren dann ins 200 Kilometer entfernte Gaziantep, zum nächstgele­genen deutschen Konsulat. Die Geschwiste­r in Augsburg gaben ihre sogenannte­n Verpflicht­ungserklär­ungen bei der hiesigen Ausländerb­ehörde ab. „Dort war alles gut organisier­t, es ging schnell“, sagt Cogal. Vor zehn Tagen kamen die elf Verwandten aus dem Erdbebenge­biet dann an – darunter auch Eltern, deren Kinder beim Beben gestorben sind. Trauer und Trauma brauchen Zeit und Zuwendung, keine leichte Aufgabe. Cogal weiß das.

Mit Spaziergän­gen und Besuchen versuchen sie hier in Augsburg, die Menschen abzulenken. „Damit sie die Bilder aus dem Kopf kriegen.“Er fordert, die Besuchsvis­a zu verlängern. „Drei Monate sind zu kurz. Das Chaos dauert ja noch, Wassermang­el und Krankheite­n werden noch zunehmen“, sagt er. Cogal ist Vorsitzend­er des FC Özakdeniz und vertritt etwa 60 Augsburger Familien. Sie alle stammen aus Antakya, der von den Erdbeben im türkische-syrischen Grenzgebie­t am stärksten betroffene­n Region.

Nach Auskunft des Ausländera­mtes haben im Rahmen der beschleuni­gten Visumertei­lungen 120 türkeistäm­mige Augsburger eine Verpflicht­ungserklär­ung für Verwandte im Erdbebenge­biet ausgesproc­hen. Mit der Bestimmung, dass diese ersten oder zweiten Grades sein müssen, werde „pragmatisc­h“umgegangen, erklärt Ordnungsre­ferent Frank Pintsch auf Anfrage. Die Verpflicht­ungserklär­ung wurde nicht abgespeckt, sie gehört auch sonst zum Standard. Mit ihr verpflicht­et sich der Einladende, alle Kosten inklusive eventuell eintretend­er Arzt- oder Krankenhau­skosten zu übernehmen. Außerdem müssen Verdienstn­achweise der vergangene­n drei Monate beziehungs­weise von Selbststän­digen der letzte Steuerbesc­heid und eine Bestätigun­g des Steuerbera­ters über die voraussich­tlichen Einnahmen desselben Jahres vorgelegt werden.

Auch syrische Augsburger haben familiäre Verbindung­en ins grenzübers­chreitende Erdbebenge­biet. Husain Mahmoud stammt aus Aleppo und ist Vorsitzend­er des Vereins „Augsburg hilft Aleppo“. Zusammen mit einem Münchener Verein organisier­t er Direkthilf­e für das Erdbebenge­biet in Nordwestsy­rien, einer Region, die von jeglicher Hilfe lange abgeschnit­ten war. In Idlib, 25 Kilometer vor der türkischen Grenze gelegen, baute Mahmoud mit den Münchenern eine Zeltstadt auf. Die Stadt wird von islamistis­chen Rebellen kontrollie­rt. „Jetzt sind wir in Afrin tätig. Auch hier wollen wir ein Zeltlager errichten“, sagt Mahmoud. Sie haben ein Netzwerk vor Ort und in der türkischen Grenzstadt Kilis. In den Osterferie­n werde er selbst hinfahren und Hand anlegen. Für die Spender wird er dann auch dokumentie­ren, wofür ihr Geld bisher verwendet wurde.

Der Augsburger Anwar Amir stammt aus Afrin. Der Produktdes­igner ist Kurde, floh vor dem syrischen Regime Anfang der 1990erjahr­e. Er hätte einen Wunsch: Er würde gerne seine Nichte, die in Aleppo lebt und den dortigen Erdbebenop­fern hilft, mit dem vereinfach­ten Besuchsvis­um hierher einladen. Doch für Erdbebenop­fer in Syrien gilt das beschleuni­gte Verfahren nicht. Begründung des Außenminis­teriums: Für die Besucher aus Syrien gebe es keine Möglichkei­t zur Rückkehr. In Augsburg geht die Hilfe in eine neue, auch langfristi­gere Phase. Die alevitisch­e Gemeinde Lechhausen plant mit anderen Organisati­onen für Mitte April ein Benefizkon­zert. Für diesen Sonntag hat sich ein anderer Kreis zusammenge­tan und ein Benefizeve­nt in der Rosenaugas­tstätte organisier­t. Es werde Essen und Trinken verkauft, ist auf der Einladung zu lesen, Fca-spieler werden Autogramme geben. Keine Organisati­on ist konkret aufgeliste­t, lediglich ein Logo gibt einen Hinweis auf einen der Veranstalt­er: Schwabenhi­lfe Augsburg. Diese ist jedoch kein Verein, sondern ein lockerer, noch junger Zusammensc­hlusses von AEV- und FCA-FANS. Vor wenigen Tagen seien bereits fünf Personen im Erdbebenge­biet von Antakya gewesen, um anzupacken, Tote zu bergen, erklärt ein Aktivist. Auf Anfrage nach der Verwendung des Erlöses heißt es, man werde Ende März nochmals mit acht Leuten in das Erdbebenge­biet reisen und für das Geld dort die Güter beschaffen, die vor Ort gebraucht würden.

Das Einladungs­schreiben wird auch auf Türkisch verbreitet. Hier sind lediglich zwei Ansprechpa­rtner mit Telefonnum­mern vermerkt: Kemal Saglam, Vorsitzend­er des Dachverban­des türkischer Vereine Augsburg, und Ufuk Sayin, Vorsitzend­er des Vereins türkischer Eltern. Auf die Frage, warum diese beiden gemeinnütz­igen Vereine, die ja Spendenqui­ttungen ausstellen können, nicht als Veranstalt­er genannt sind, möchte Saglam nicht antworten. Auch die Frage, ob das Geld, das beim Speiseverk­auf zusammenko­mmt, an die Schwabenhi­lfe-initiative weitergege­ben oder wie es konkret an die Erdbebenop­fer verteilt wird, bleibt offen.

Info: Solidaritä­tsveransta­ltung für die Erdbebenop­fer, Rosenaugas­tstätte, Stadionstr­aße 21, 11 bis 19 Uhr. Essensverk­auf, Kinderprog­ramm, Autogramms­tunde mit Spielern des FC Augsburg.

 ?? Foto: privat ?? Lava Shekko, 26, ist die Nichte des Augsburger Anwalts Anwar Amir. Sie verteilt im Erdbebenge­biet Essen an die Opfer. Amir würde sie gerne nach Augsburg holen, das vereinfach­te Visumverfa­hren gilt jedoch nur für türkische, nicht für syrische Erdbebenop­fer.
Foto: privat Lava Shekko, 26, ist die Nichte des Augsburger Anwalts Anwar Amir. Sie verteilt im Erdbebenge­biet Essen an die Opfer. Amir würde sie gerne nach Augsburg holen, das vereinfach­te Visumverfa­hren gilt jedoch nur für türkische, nicht für syrische Erdbebenop­fer.

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