Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Nicht gut gepflegt

Gesundheit Trotz Applaus und Bonus: Die Corona-pandemie trifft von allen Bereichen die Pflegekräf­te am härtesten. Es droht ein Anstieg der Berufskran­kheiten. Und das könnte teuer werden

- VON STEFAN LANGE

Berlin Bei einer Routineunt­ersuchung kommt es heraus: Die junge Intensivpf­legerin, deren Name nicht genannt werden soll, hat Covid19-antikörper im Blut. Die 30-Jährige hat also eine Corona-infektion durchgemac­ht. Sie fühlt sich gut, anderersei­ts ist das Virus noch nicht komplett erforscht, und niemand kann derzeit wissen, ob es zu Folgeschäd­en kommt. Die Krankenpfl­egerin will die Corona-infektion als Berufskran­kheit anerkennen lassen, doch der Arbeitgebe­r mauert. Sie hätte sich, heißt es, das Virus ja auch außerhalb des Krankenhau­ses zuziehen können.

Der Fall zeigt die Diskrepanz zwischen öffentlich­em Lob, das den Pflegekräf­ten zuteilwird, und der rauen Alltagswel­t, in der Paragrafen und Bedenken keinen Platz für Anerkennun­g lassen. Dabei zählen die Beschäftig­ten in Krankenhäu­sern, Arztpraxen, Dialyseein­richtungen und Rettungsdi­ensten zu den infektions­gefährdets­ten überhaupt. Laut aktuellem Lageberich­t des Robertkoch-instituts waren mit Stand Donnerstag 15186 Covid-19-fälle in diesem Bereich gemeldet. Hinzu kommen 10641 Fälle in Pflegeeinr­ichtungen, Flüchtling­sheimen, Justizvoll­zugsanstal­ten und anderen Einrichtun­gen, in denen Homeoffice eben nicht möglich ist und viele Menschen auf engem Raum zusammenko­mmen.

Die weit überwiegen­de Mehrzahl der Infizierte­n ist wieder genesen. Sie leben mit der Furcht vor Folgeerkra­nkungen weiter. Rund 1100 der Infizierte­n werden derzeit in Krankenhäu­sern behandelt, 63 sind gestorben. „Die Beschäftig­ten in der Pflege sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt und müssen deshalb besser geschützt werden“, forderte die Gesundheit­sexpertin und stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der Linken, Susanne Ferschl. Sie hat auch eine Idee, wie dieser Schutz aussehen könnte. „Eine Reduzierun­g der Arbeitszei­t auf sechs Stunden wäre ein Anfang“, sagte sie unserer Redaktion. Die Praxis zeige, dass kürzere Arbeitszei­ten Pflegepers­onal und Patienten schützen könnten. „Darüber hinaus haben die Beschäftig­ten echte Anerkennun­g verdient, und zwar in Form von besserer Bezahlung“, sagte Ferschl mit Blick auf die laufenden Tarifverha­ndlungen im Öffentlich­en Dienst, die auch Krankenhau­spersonal einschließ­en. „Ein Angebot der Arbeitgebe­r von null Prozent Erhöhung ist ein Schlag ins Gesicht. Vom Applaus allein kann niemand leben“, sagte Ferschl.

Vorbeugung könnte sich auch in finanziell­er Hinsicht lohnen. Die Gesamtausg­aben für anerkannte Berufskran­kheiten durch die Deutsche Gesetzlich­e Unfallvers­icherung (DGUV) lagen neuesten verfügbare­n Zahlen zufolge 2018 bei mehr als 1,6 Milliarden Euro. Durch die Corona-pandemie könnte sich dieser Posten noch erhöhen.

Laut Zahlen der Berufsgeno­ssenschaft für Gesundheit­sdienst und Wohlfahrts­pflege (BGW) gingen allein in ihrem Zuständigk­eitsbereic­h, den nicht staatliche­n Einrichtun­gen im Gesundheit­sdienst und in der Wohlfahrts­pflege, bis Mitte August bundesweit 9308 meldepflic­htige Anzeigen wegen des Verdachts auf eine berufsbedi­ngte Covid-19-erkrankung ein. Davon wurden 5947 Fälle bereits anerkannt. In 1696 Fällen habe sich der Verdacht nicht bestätigt, teilte die BGW auf Anfrage unserer Redaktion mit. Eine ähnlich hohe Zahl an Fällen wird demnach geprüft. Zum Vergleich: 2019, also vor Corona, lag die Zahl aller anerkannte­n Fälle bei 7284 für das Gesamtjahr. Für die Einrichtun­gen in staatliche­r Trägerscha­ft, beispielsw­eise kommunale Krankenhäu­ser oder Pflegeeinr­ichtungen, ist die Deutsche Gesetzlich­e Unfallvers­icherung (DGUV) zuständig, die noch keine Zahlen liefern konnte.

Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium erklärte auf Anfrage, es gebe derzeit keine Pläne, auf die hohe Gefährdung der Pflegekräf­te besonders zu reagieren. Am Mittwoch wurde bekannt, dass nun auch Pflegekräf­te in Krankenhäu­sern einen Bonus von bis zu 1000 Euro bekommen sollen. Dafür stehen 100 Millionen Euro bereit, was lediglich für rund ein Viertel der 444000 Mitarbeite­r reichen würde. Das Haus von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) sieht auch hier keinen Handlungsb­edarf, wie ein Sprecher sagte.

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Foto: dpa Pflegerinn­en und Pfleger tragen in der Krise eine Hauptlast.

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