Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Spinne im OP
Chirurgen führen Eingriffe immer häufiger mit der Unterstützung von Roboter-assistenten durch, auch an kleineren Krankenhäusern. Viele Ärzte und Patienten sind begeistert. An der Augsburger Uniklinik dagegen warnt man vor zu viel Euphorie
Kempten/augsburg/ulm Ein Roboter, der operiert? Klingt nach Science-fiction. Und tatsächlich: Wer schon mal ein Videospiel gespielt hat, darf sich die Bedienung einer solchen Maschine genau so vorstellen. Zumindest solange das Simulationsprogramm läuft. Die Ärzte hier am Klinikum Kempten nennen das Steuerungsgerät – Playstation und Xbox lassen grüßen – „Konsole“: Für jede Hand gibt es einen Griff, außerdem Fußpedale und einen 3D-bildschirm. Mit einem Roboter-assistenten eine Prostata zu entfernen oder einen Leistenbruch zu flicken, ist aber natürlich kein Spiel.
In dieser Geschichte geht es also um eine Maschine, die Chirurgen bestimmte Eingriffe erleichtert, und um eine Technik, die in den USA schon länger im Einsatz ist. Inzwischen finden sich Roboter aber auch in immer mehr Operationssälen deutscher Kliniken. An Universitätskliniken wie in Ulm, wo im Oktober bereits der zweite angeschafft wird. Oder am Klinikum Kempten. Das hat – nach eigenen Angaben als einziges Krankenhaus in Schwaben – ein „Da Vinci“-system. Ist Künstliche Intelligenz demnach die Zukunft der Medizin? Und der Roboter vielleicht erst der Anfang?
Für Lydia Röck, 73, ist es vor allem ein Mittel, um schneller nach Hause zu kommen. „Wenn eine Operation so möglich ist, dann möchte ich nur noch solche“, sagt die Kemptenerin. Ihre Zimmernachbarin Martha Witzing aus Kaufbeuren stimmt ihr zu. Als die beiden das sagen, ist es drei Tage her, dass sie mit dem Roboter-assistenten „Da Vinci“am Bauch operiert wurden. Jetzt sitzen sie aufrecht in ihren Betten. Sie wirken fit. „Wir laufen herum und waren auch schon in der Kapelle“, erzählt Witzing, 65.
Oberarzt Dr. Balint Balogh hat sie operiert. Wäre der Eingriff konventionell über einen Bauchschnitt durchgeführt worden, müssten die Frauen zwei Tage länger in der Klinik bleiben, erklärt er. „Die Belastung durch den Blutverlust und die Schmerzen wäre sehr viel höher gewesen.“Nun stehen sie vor ihrer Entlassung. Für die Operation mit „Da Vinci“brauche es vier kleine Schnitte, der längste misst einen Zentimeter. „Einer für die Kamera und drei für die Roboterarme“, sagt Balogh. Der Chirurg hält die neue Technik für eine gute Alternative sowohl zu offenen Operationen als auch zu Laparoskopien, besser bekannt als Bauchspiegelung oder „Schlüsselloch-methode“.
In diesem Fall werden verlängerte Op-instrumente und eine Kamera in die Bauchhöhle eingeführt, ohne sie komplett zu öffnen. „Es sind starre, 40 Zentimeter lange Instrumente“, erklärt Hans Heller, Oberarzt in der Chirurgie am Kemptener Klinikum. „Da stehen Sie unergonomisch über dem Patienten.“Teilweise müssten die Arme weit auseinander gehalten werden, um an die richtige Stelle zu kommen. Seit er mit „Da Vinci“operiere, gehe er „deutlich entspannter nach Hause abends“, erzählt Heller. Denn er könne jetzt während der Operation sitzen und die Unterarme auflegen.
An der Uniklinik Ulm hat man, wie in Kempten, bewusst in „Da Vinci“investiert, um die modernste Op-technik anbieten zu können. „Patienten suchen das“, sagt Professor Christian Bolenz, Leiter der Urologie – jenem Fachbereich, in dem der Roboter-assistent vorwiegend eingesetzt wird. Ähnliches hört man vom Klinikverbund Allgäu, zu dem das Klinikum Kempten gehört. Geschäftsführer Markus Treffler begründet die Entscheidung für „Da Vinci“mit den Worten: „Für uns war klar, wir sind dann sehr viel breiter aufgestellt.“Der Roboter-assistent koste, je nach Ausführung, zwischen einer und zwei Millionen Euro.
Der Op-roboter als Wettbewerbsvorteil im Kampf um die Patienten? Für Professor Michael Beyer, den Ärztlichen Direktor der Uniklinik Augsburg, darf die Konkurrenz unter den Kliniken bei der Entscheidung für oder gegen eine solche Anschaffung keine Rolle spielen. „Wir wollen wegkommen von der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung in der Medizin“, sagt er. In Augsburg hat man noch keine Roboter-systeme angeschafft und will bewusst abwarten. Erst, sagt Bayer, brauche es eine übergeordnete Institution, die wissenschaftlich auswertet, welche Eingriffe sich für Roboter-assistenten eignen.
Wer eine genauere Vorstellung von einer „Da Vinci“-operation erhalten will, muss Dr. Björn Mück über die Schulter schauen. Der 42-Jährige leitet das Hernienzentrum Kempten-oberallgäu am Klinikum Kempten. Hernien sind Brüche der Bauchwand – und genau so einen will Mück an diesem Vormittag mit einem Netz wieder verschließen. „Das ist eine Operation, die ist bisher nur offen möglich gewesen“, sagt der Vater von fünf Kindern, während er vor Op-beginn einen Kaffee im Aufenthaltsraum trinkt. Sein ältester Sohn ist 13 und finde es „cool“, dass der Papa mit Robotern operiere.
Drinnen im Operationssaal ist eine Patientin mit einem sterilen Tuch abgedeckt, nur noch der Bauch ist zu sehen. Sie hat einen Bruch am Nabel. Das Licht im Saal wird ausgeschaltet, damit die Ultraschallbilder gut zu sehen sind. Mück und sein Kollege Frank Heinzelmann verschaffen sich zuerst einen Überblick über die Bauchmuskulatur und legen dann fest, wo die Roboterarme später eindringen sollen.
Vier weitere Personen gehören zum Op-team, drei Frauen und ein Mann. Sie sind speziell für die „Da Vinci“-eingriffe ausgebildet worden. Die Maschine selbst steht an der Wand, mit einer milchigen, sterilen Plane abgedeckt – und macht keinen großen Eindruck. Das wird sich schnell ändern.
Auch Mück hat eine Zusatzausbildung zum „Konsolen-chirurgen“durchlaufen. „Ich war in Gent beim Präsidenten der Europäischen Herniengesellschaft. Da haben wir praktisch geübt an Schweinen und Leichen“, erklärt er. Zudem habe er mindestens 20 Stunden am Simulator gesessen. „Und ich weiß nicht, wie viele Videos von Eingriffen ich mir zu Hause angesehen habe.“Richtlinien für die Ausbildung gibt es überdies von der Deutschen Gesellschaft für Roboter-assistierte Urologie.
„Wir gehen gar nicht in die Bauchhöhle rein, sondern direkt in die Bauchwand“, sagt Mück, als eine Op-schwester „Da Vinci“von seinem Überwurf befreit. Der Chirurg macht drei Schnitte, um darin die sogenannten Trokare platzieren zu können – die Zugänge, über die gleich die Op-instrumente, die mit den Roboterarmen verbunden sind, in die Bauchwand geführt werden. Dann rollt das Team den Roboter an den Op-tisch. Mück dockt dessen Arme an, es knackt mehrmals. Eingerastet. Es geht los: Mück nimmt an der Konsole Platz, die in einer Ecke des Raums steht. Wie alle anderen trägt er Op-kleidung. Nur seine Schuhe, die zieht er aus – nun ist Beinarbeit gefragt. Mit einem Pedal steuert Mück die Kamera, die mit einem der Roboterarme verbunden ist. „Er ist sein eigener Kameramann“, sagt sein Kollege Heinzelmann. Halte- und Schneideinstrument bedient Mück jeweils mit Daumen und Mittelfinger, die er in die dafür vorgesehenen Schlaufen gesteckt hat. Auf Augenhöhe befindet sich der Bildschirm, der die Kamerabilder wiedergibt. Das Schneideinstrument ähnelt einer Schere und lässt sich unter Strom setzen. Auf diese Weise kann gleichzeitig geschnitten und Gewebe oder Blutgefäße verödet werden. Das stoppt Blutungen. Während Mück an der Konsole kleine Bewegungen macht, tänzeln die Roboterarme geradezu über die Patientin – wie die Beine einer großen Spinne. Was von außen brachial aussieht, ist im Körper der Frau Millimeterarbeit.
Dank der hochauflösenden Kamera werden feinste Strukturen im Gewebe sichtbar. „Kleine Schwachstellen sieht man so viel besser“, erklärt Heinzelmann, der am Optisch steht und über einen Bildschirm zuschauen kann; Mück bedient die Konsole. Jetzt näht der Chirurg die Bruchstelle und stabilisiert sie mit einem Netz. Noch die Trokare, die Zugänge, entfernen und die drei Schnitte nähen – fertig.
Ende der 1990er Jahre habe die weltweit erste „Da Vinci“-operation in Frankfurt stattgefunden, sagt später Professor Rolf von Knobloch, Chefarzt der Urologie am Klinikum Kempten. Seine Disziplin ist die, in der sich die Technik am schnellsten durchgesetzt hat und in der sie am häufigsten angewendet wird. Doch auch in anderen Bereichen wie der Gynäkologie und der Viszeralchirurgie (Bauchraum-chirurgie) ist sie auf dem Vormarsch. „In den letzten Jahren sind die Systeme wie Pilze aus dem Boden geschossen“, ergänzt der Ulmer Professor Christian Bolenz. In Gesprächen mit ihm und anderen Experten wird deutlich: Sie sehen in dieser Technik die Zukunft der Medizin. Weil sie eine Erleichterung für Patient und Operateur darstellt. Und sie räumen unumwunden ein: „Wir sind noch blanke Anfänger.“Das sagt zum
Der Op-roboter als Wettbewerbsvorteil?
Experten halten das System für die Zukunft der Medizin
Beispiel Professor Peter Büchler, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie beim Klinikverbund Allgäu. Hinzu komme, dass in Deutschland weit weniger Roboterassistenten im Einsatz seien als in den USA. Büchler spricht von etwa 120 Systemen in der Allgemeinchirurgie in Deutschland. Und noch etwas ist den Experten wichtig: „Da Vinci“übernehme nicht die Arbeit des Chirurgen. Deshalb müssten die Operateure den jeweiligen Eingriff auch ohne die Roboter-unterstützung beherrschen. Das betont Professor Rolf von Knobloch.
Sein Augsburger Professorenkollege Michael Beyer meint nicht nur, dass der Operateur weiterhin den Gesamtprozess prüfen müsse. Er fordert die Einrichtung einer übergeordneten Institution. „Der Patient fährt in den OP, der Roboter operiert, der Patient fährt wieder raus – das ist nicht der Weg.“Deshalb soll noch in diesem Jahr ein interdisziplinärer Lehrstuhl für Roboter-assistierte Chirurgie und Künstliche Intelligenz ausgeschrieben werden. Die Uniklinik Augsburg hat die Mittel dafür bei einem landesweiten Wettbewerb der Hochschulen, ausgerichtet von der Bayerischen Staatsregierung, gewonnen. „Man kann nicht einfach einen Roboter hinstellen und sagen, jetzt übt mal.“Es müssten Trainingseinheiten geschaffen werden, um sicherzustellen, dass die Ärzte die entsprechende Qualifikation haben. Außerdem gelte es, zu klären, welche Kriterien bei welchem Krankheitsbild vorliegen müssen, damit eine OP mit Roboter-assistent sinnvoll sei, so Beyer.
Für die 73-jährige Lydia Röck, die sich am Kemptener Klinikum von „Da Vinci“hat operieren lassen, war der Eingriff sinnvoll. Obwohl sie etwas ängstlich gewesen sei, habe sie sich gut aufgehoben gefühlt, sagt sie. Und schneller nach Hause habe sie ja auch gedurft.