Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
St. Pauli und seine Halbwelt
Tatort: Die goldene Zeit
Wenn das kein klassisches deutsches Krimi-thema ist: Ein Mord im Hamburger Rotlichtmilieu, jede Menge Abgründe auf der Reeperbahn, Künstler und Kommerz, Nutten mit Federboas und eine in Neonlicht getauchte Halbwelt für Touristen. Mittendrin in „Tatort – Die goldene Zeit“der Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), der das Verbrechen schon allein deshalb aufklären will, weil es ihn mit seiner eigenen St.-pauli-vergangenheit konfrontiert. Mit persönlichen Erinnerungen, als er als Türsteher sich ein Taschengeld verdiente – und „Eisenlübke“(Michael Thomas) als seinen Mentor hatte. Lübke, ehemaliger Sicherheitschef der angesagten Bordellfamilie Pohl, hat indes den kriminellen Wandel auf dem Kiez nicht verkraftet.
Als der junge Pohl von einem Jugendlichen vor seiner Wohnungstür abgestochen wird, glauben alle an einen Auftragsmord, hinter dem „die Albaner“stecken, die inzwischen in der Szene das Sagen haben. Nachdem der Clan-chef wohl einen 13-jährigen Auftragsmörder aus Bukarest geschickt hat, der für einen neuen Fernseher einen Menschen tötet, schwört Lübke Rache. Trostlos ist ein Kiez geworden, auf dem die Gangster früher noch die Revierstreitigkeiten selbst ausgetragen haben. Während Falkes Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) von Prostitution und Menschenhandel angewidert ist, bleibt er selbst seinem St. Pauli noch irgendwie nostalgisch verbunden.
Die Spannung der Kiez-ballade ist freilich allzu durchsichtig. Die Polizei muss den kindlichen Mörder schützen und der Rächer wird unvermittelt zum Aufpasser für den Jungen. Ob ein ehemaliger Schläger und ein nervlich überforderter Jungkiller allerdings das Flair der Reeperbahn aus der „goldenen Zeit“wiederherstellen können? Schon damals waren die Huren mit Herz Fiktion. Heute sind es traurige Mädchen aus Osteuropa, die auf den Busbahnhöfen eintreffen. Was würde wohl der kürzlich verstorbene Schauspieler und Szene-kenner Jan Fedder oben auf Wolke 14 zu diesem „Tatort“sagen? Rupert Huber