Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wenn Menschen für tot erklärt werden
Manche Vermisste tauchen auch nach Jahren nicht auf. Angehörige können dann beim Amtsgericht in Augsburg beantragen, dass es einen Beschluss gibt. Die Hürden dazu sind hoch, doch es passiert immer wieder
Einmal muss es passiert sein, zumindest erzählt man sich auf den Fluren des Augsburger Amtsgerichts noch ab und zu davon. Einmal also tauchte ein Mensch, den man hier für tot erklärt hatte, wieder auf, quicklebendig. Es muss freilich schon Jahre zurückliegen, denn allzu oft kommt es in Augsburg gar nicht vor, dass das Gericht beschließt, dass eine Person als verstorben anzusehen ist. Zwei Mal im Jahr vielleicht. Zu wenige Fälle jedenfalls, um den Überblick zu verlieren. Zuständig für diesen Verwaltungsakt ist eine Abteilung mit dem ebenso schlichten wie traurigen Namen „Abteilung für Todeserklärungen“.
Wobei das Wort „Abteilung“eher missverständlich ist, denn sie besteht genau genommen aus einer Person, der Rechtspflegerin Elvira
Tragische Geschichten hinter Todeserklärungen
Frana-feininger, die sich vorrangig auch um anderes kümmert, Nachlassangelegenheiten etwa. Doch es ist auch nicht so, als gäbe es gar keine Todeserklärungen in Augsburg. Manchmal hängt dann im Gebäude ein Schriftstück aus, ein kleiner Zettel neben vielen anderen Zetteln, ein Beschluss, dessen behördlicher Tonfall die tragische Geschichte dahinter nur erahnen lässt. „Es wird für tot erklärt d. Verschollene“steht dann drauf, darunter zuletzt etwa der Name eines Mannes, der in Augsburg gemeldet war und seit 1992 vermisst wird. Im Internet taucht sein Name in den Archiven einer kolumbianischen Tageszeitung auf, demnach war der Mann auf einer Reise durch Südamerika, als er sein Hotel für einen Ausflug zu einem Strandort verließ und nicht wieder auftauchte.
Ein anderer Mann aus der Region Augsburg war 2018 vom Amtsgericht für tot erklärt worden. Ein Bundeswehrsoldat, noch keine 30 Jahre alt, der als absolut zuverlässig und korrekt galt. Er sollte Ende 2000 zum Dienst in seinem Regiment erscheinen, dort aber kam er nicht an. Was genau mit ihm passierte, ist bis heute unklar. Doch Fälle dieser Art sind ungewöhnlich. Oft sind die Hintergründe der Todeserklärungen weniger rätselhaft.
Eine Gruppe, die vielfach für verstorben erklärt werden musste und teils noch muss, sind etwa Verschollene aus dem Zweiten Weltkrieg, wie Elvira Frana-feininger erklärt. Das Verfahren werde nur auf Antrag eingeleitet; bevor jemand für tot erklärt wird, sind zudem eine Reihe von Schritten nötig. So werden noch lebende Verwandte angehört und Suchdienste kontaktiert, etwa jener vom Roten Kreuz. Die zuständigen Rechtspfleger fragen standardmäßig auch bei der Staatsanwaltschaft oder der Polizei nach, ob dort Erkenntnisse darüber vorliegen, dass jemand ins kriminelle Milieu abgetaucht sein könnte. Oder ob jemand schlicht inhaftiert wurde. Es wird nachgeforscht, ob der Vermisste vielleicht doch noch lebt oder es bereits einen Sterbenachweis gibt. Das gesamte Verfahren dauert in der Regel ungefähr ein Jahr.
Und es gibt Fristen. Sie ergeben sich aus dem Verschollenheitsgesetz, das Rechtsgrundlage für Todeserklärungen ist. Verschollene unter 25 Jahre dürfen etwa nicht für tot erklärt werden, bei Menschen unter 80 Jahren gilt eine Zehnjahresfrist seit „dem Ende des Jahres, in dem der Verschollene nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat“– also nach dem letzten Lebenszeichen. Wenn Vermisste 80 Jahre alt oder älter sind, reicht es, wenn sie fünf Jahre als verschollen gelten. Bei „Kriegsverschollenheit“, „Seeverschollenheit“, „Luftverschollenheit“und „Gefahrverschollenheit“gelten anderen Fristen, es ist kompliziert. Ohnehin gilt ein Mensch nur als verschollen und kann für tot erklärt werden, wenn „ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründet“sind. Manchmal beantragen Angehörige die Erklärung, weil sie den Sterbenachweis für eine Lebensversicherung benötigen, manchmal steht im Grundbuch ein Eintrag zu Gunsten einer seit Jahrzehnten vermissten Person, den der Eigentümer gelöscht haben will. Oft, sagt Elvira Frana-feininger, gehe es den Angehörigen aber auch um einen persönlichen Abschluss.
Für die Ermittlungen der Augsburger Kripo spielt eine Todeserklärung indes keine Rolle. Viele Fälle der als vermisst gemeldeten Personen klären sich zwar im Laufe der kommenden Monate, manchmal aber bleiben jahrelange Rätsel. Sieben Menschen gelten bei der Kripo seit 2000 als Langzeitvermisste. Von der Liste vermisster Personen wird dort jemand erst gestrichen, wenn man eine Leiche findet oder die Person doch noch lebt. Hinter vielen Fällen stehen freilich bittere menschliche Schicksale und Tragödien, keine kuriosen Geschichten.
Dass Menschen, die für verstorben erklärt wurden, wieder auftauchen, scheint früher aber so ungewöhnlich nicht gewesen zu sein. Im Bürgerlichen Gesetzbuch gibt es jedenfalls einen Paragrafen, der regelt, was passiert, wenn jemand für tot erklärt wird, der Ehepartner wieder heiratet und der oder die Verstorbene dann doch noch lebt. Und irgendeinen Grund wird dieser Paragraf schon haben. Die neue Ehe kann demnach aufgehoben werden, „wenn beide Ehegatten bei der Eheschließung wussten, dass der für tot erklärte Ehegatte im Zeitpunkt der Todeserklärung noch lebte“.