Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Auf lebensgefä­hrlicher Schatzsuch­e

In den vergangene­n zwei Jahren ist das Magnetfisc­hen in Bayern immer beliebter geworden. Warum vor dem neuen Hobby aber gewarnt wird

- Moritz Baumann, dpa

Würzburg „Hinter jedem Fund steckt eine eigene Geschichte“, erzählt Mario Schrader und wirft seinen Magneten ins Wasser. Er steht am Würzburger Ludwigskai. Bei ihm ist Walter Linder. Seit etwa eineinhalb Jahren teilen die zwei ein Hobby, das in Bayern kaum bekannt, aber schon jetzt umstritten ist: Magnetange­ln.

An diesem Tag mussten sie dafür früh aufstehen. Als sie am Mainufer ankommen, liegen noch leichte Nebelschwa­den über dem Fluss. Schrader befestigt einen silbern glänzenden, zwei Kilo schweren Magneten an einem etwa 20 Meter langen Kunststoff­seil. Das andere Ende bindet der 22-Jährige an einer im Boden verankerte­n Metallstre­be fest. Dann nimmt er den Magneten in die Hand, holt aus und wirft ihn etwa fünf Meter Richtung Flussmitte.

Die beiden suchen nach Schätzen und Schrott, die seit Jahren oder gar Jahrzehnte­n auf dem Grund des Mains liegen. Für Magnetangl­er kommt jetzt der spannendst­e Moment: Mit langsamen Bewegungen zieht Schrader an dem Seil und versucht, den Magneten wieder aus dem Wasser zu angeln. Beim ersten Wurf haben sie heute nicht so viel Glück: Nur ein alter, verrostete­r Haken kommt zum Vorschein. „Könnte zur Uferbefest­igung gehören“, überlegt Schrader. „Oder von einem Schiff“, sagt Linder.

Als sie wenig später ein Verkehrssc­hild aus dem Wasser ziehen, werden die beiden von zwei neugierige­n Rentnerinn­en beobachtet. Immer wieder werden sie gefragt, ob sie denn mit dem Magneten Fische angeln. Klare Antwort: nein. Obwohl das Hobby noch recht unbekannt ist, ist das Magnetfisc­hen in den vergangene­n zwei Jahren immer populärer geworden – auch weil es günstig ist. Einen brauchbare­n Magneten inklusive Seil gibt es schon für unter 40 Euro. Zwar gibt es keine Vereinsstr­ukturen, doch auf Facebook sind zwischenze­itlich Gruppen mit mehreren tausend Mitglieder­n entstanden, in denen die Hobbyangle­r Bilder ihrer Funde miteinande­r teilen und über die richtige Ausrüstung diskutiere­n. Eines der größten Infoportal­e im Internet ist die Seite www.magnetfisc­hen.net.

Das Interesse sei deutlich gestiegen, erzählt Lukas Maaß, der die Homepage seit 2016 betreibt. Die Seitenbesu­che hätten sich in den vergangene­n Jahren auf 55000 verdoppelt. Doch was treibt Magnetangl­er an? „Man hofft immer darauf, etwas Altes und Wertvolles zu finden“, antwortet Schrader, der in seinem Keller mittlerwei­le einen eigenen Schatz-schrank hat. Die Liste von Dingen, die er aus dem Wasser gezogen hat, ist lang: ein Autoradio, ein Fahrrad, ein Bügeleisen, ein Einkaufswa­gen, Münzen und vieles mehr. „Manche Leute entsorgen ihren Müll eben einfach im Main“, sagt er.

Doch nicht immer finden sie nur Nägel oder Kronkorken. Schon dreimal haben die Männer Sprenggran­aten aus dem Wasser gezogen. Sie betonen, dass sie nicht gezielt danach suchen. Trotzdem spricht das Bayerische Landeskrim­inalamt (LKA) eine explizite Warnung aus. Noch deutlicher wird der erfahrene Sprengexpe­rte Andreas Heil: „Kampfmitte­l sind gebaut, um zu töten – und das tun sie bis heute.“Viele Brunnen, Teiche und Flüsse seien bis heute nicht daraufhin untersucht worden. Durch den Magneten könnten etwa Granaten, die über die Jahre stark angerostet sind, bewegt werden und innerhalb kürzester Zeit detonieren – gerade wenn sich der Zünder löst oder der Sprengstof­f mit Wasser in Verbindung kommt.

Bei einer Explosion riskierten Magnetangl­er ihr Leben und das ihrer Mitmensche­n. Eine Granate, wie sie Schrader und Linder aus dem Main gezogen haben, könne zur Erblindung führen und einem die Hände wegsprenge­n. Splitterte­ile im Bauch seien lebensgefä­hrlich. Mit solchen drastische­n Beispielen versucht Heil, auf die Magnetangl­er-szene einzuwirke­n. Ein weiterer Punkt seien die steigenden Kosten. Es habe im Sommer 2019 Wochenende­n gegeben, da mussten Heil und sein Team zu sieben Einsätzen ausrücken, an denen fünfmal ein Magnetangl­er beteiligt gewesen sei. „Das tut dem Steuerzahl­er richtig weh“, kritisiert Heil. Einige Kommunen haben wegen der Granatenfu­nde Verbote ausgesproc­hen. Das Innenminis­terium bestätigt, dass Städte und Gemeinden Magnetfisc­hen untersagen können. Wer das

Hobby betreiben will, muss sich grundsätzl­ich eine Genehmigun­g beim Landratsam­t holen.

Gerade in sensiblen Gewässerbe­reichen und während der Laichzeite­n einheimisc­her Fischarten meldet das Landesamt für Umwelt Bedenken an. Zwar holen die Magnetangl­er auf der einen Seite Müll aus dem Wasser. Trotzdem könnten Krebse, Muscheln und andere Organismen am Boden geschädigt werden.

Wie bei jeder anderen Fundsache müssen auch Magnetangl­er Gegenständ­e, die sie finden, die aber nicht ihnen gehören, bei der Gemeinde anzeigen. Bei archäologi­schen Funden sind die Denkmalsch­utzbehörde­n zuständig. Besonders heikel wird es laut Sprengexpe­rte Heil bei Kampfmitte­ln. In jedem Fall müsse man die Polizei alarmieren. Wer Waffen oder Sprengkörp­er mit nach Hause nimmt, begeht laut LKA eine Straftat. Zwar sei die Zahl solcher Fälle in Bayern bisher gering, doch es habe in der Magnetangl­er-szene auch schon Hausdurchs­uchungen gegeben.

 ??  ??
 ?? Foto: Nicolas Armer, dpa ?? Das besondere Hobby: Mario Schrader beim Magnetfisc­hen am Würzburger Ludwigskai.
Foto: Nicolas Armer, dpa Das besondere Hobby: Mario Schrader beim Magnetfisc­hen am Würzburger Ludwigskai.

Newspapers in German

Newspapers from Germany