Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Tempolimit oder nicht? Warum das die falsche Frage ist

130 km/h auf Autobahnen? Deutschlan­d führt mit Leidenscha­ft eine überholte Debatte. In Wahrheit entscheide­n ganz andere Themen über die Mobilität von morgen

- VON TOBIAS SCHAUMANN scht@augsburger-allgemeine.de

Die wiederaufg­eflammte Debatte um das Tempolimit auf Autobahnen fällt in eine Zeit, in der das Auto an sich mitunter hysterisch diskutiert wird. Das macht sie spannend, selbst wenn alle Pros und Kontras längst ausgetausc­ht und keine neuen, besseren Argumente in Sicht sind.

Befürworte­r einer Begrenzung verweisen auf das durch „Rasen“erhöhte Unfallrisi­ko sowie auf die höheren Emissionen. Dagegen stehen viele Statistike­n. Die mit Abstand meisten schweren Crashs ereignen sich in der Stadt und auf der Landstraße. In Österreich (Tempolimit 130 km/h) sterben pro Kilometer mehr Menschen auf der Autobahn als in Deutschlan­d. Das größte Risiko sind übrigens nicht die Straßengat­tungen, sondern die Fahrer, vor allem sehr junge und sehr alte.

Viele Autobahnab­schnitte sind überdies ohnehin reglementi­ert – durch starre Begrenzung­en oder schlicht durch massiven Verkehr. Ob es der Umwelt nennenswer­t hilft, wenn auf den paar verbleiben­den „freien“Kilometern niemand mehr schneller als 130 km/h fahren darf, ist unter Experten umstritten. Unzweifelh­aft entstehen die großen ökologisch­en Probleme nicht da, wo der Verkehr rollt, sondern da, wo er steht.

Noch schwerer haben es die Gegner eines Tempolimit­s. Gegen das Totschlaga­rgument, jedes Verkehrsop­fer sei eines zu viel, lässt sich kaum ankämpfen. Polemiker der anderen Seite verweisen an dieser Stelle gerne darauf, dass der Verzehr eines Schweinebr­atens ebenso gesundheit­s- wie umweltschä­dlich sei und folglich ebenso verboten gehöre. Bringt uns das weiter? Nein.

Selbst die industriep­olitische Karte sticht derzeit eher nicht. Dass sich schnelle deutsche Premium-wagen im Ausland möglicherw­eise schlechter verkaufen lassen, weil in ihrem Herkunftsl­and nicht mehr Vollgas gegeben werden darf? Kommt Auto-gegnern oder gar -Neidern gerade recht. Das im Ausland anerkannte Gütesiegel „Tested on German Autobahn“zählt zu Hause nicht viel. Die internatio­nale Betrachtun­g gleitet ins Absurde ab, führt man sich vor Augen, welche weiteren Länder kein Tempolimit haben. Dann fallen Namen wie Somalia und Burkina Faso. Auf einer Stufe mit Deutschlan­d! Soll heißen: genauso rückständi­g.

Rückständi­g aber ist in Wahrheit die ganze Debatte. Das Land hätte sie in den 70er, 80er Jahren führen sollen, als die Unfalltote­n Jahr für Jahr die Einwohnerz­ahlen von Kleinstädt­en erreichten.

Die Zukunft jedoch entscheide­t sich nicht an dem Aufreger-thema, ob Deutschlan­d ein Tempolimit bekommt oder nicht. Es geht längst um viel mehr: Wie sieht die Mobilität von morgen aus? Wie lässt sie sich ökologisch gestalten, ohne dass die individuel­le Freiheit auf der Strecke bleibt?

Das sind die Fragen, die eine kontrovers­e, emotionale Auseinande­rsetzung viel eher rechtferti­gen. Die Antworten, die sich bislang andeuten, weisen in eine Richtung: Das Autofahren, wie wir es kennen, hat seine Hochzeit hinter sich. Es wird sich radikal ändern.

Stichwort Elektromob­ilität. Anders als ein Benzintank verbietet eine Batterie Vollgas-orgien. Die Energieres­erven sind knapp, gängige Stromer aus gutem Grund durchweg abgeregelt. Stichwort Verkehrsmi­x. Für Überlandpa­ssagen eignet sich die Bahn, wäre sie konkurrenz­fähig, besser.

Stichwort Digitalisi­erung. Flexible Anzeigen leiten den Verkehr cleverer als starre Verbote. Für autonomes Fahren spricht ausgerechn­et das geringere Unfallrisi­ko. Der Computer hat keinen Hang zum Rasen. Die Technik ist noch nicht ausgereift. Aber der Autopilot kommt. So lange hält Deutschlan­d es ohne Tempolimit aus.

Deutschlan­d auf einer Stufe mit Burkina Faso

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