Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn Schüler ihre Lehrer entlassen dürfen

In Großaiting­en könnte noch dieses Jahr eine demokratis­che Schule eröffnen, hoffen deren Befürworte­r. Das Konzept dahinter bietet einige Überraschu­ngen. Welche Hürden für die Einrichtun­g zu überwinden sind

- VON MICHAEL LINDNER

Großaiting­en Sitzenblei­ben wird in dieser Schule unmöglich sein, einen Stundenpla­n gibt es auch nicht und Lehrer können sogar von den Schülern entlassen werden. Das sind nur einige Aspekte der geplanten demokratis­chen Schule in Großaiting­en.

Vor vier Jahren haben sich in Augsburg Eltern und Pädagogen zusammenge­funden, um ihre erzieheris­chen und schulische­n Vorstellun­gen umsetzen zu können. Ihr Ziel ist es, eine Grund- und Mittelschu­le zu gründen, die im Schuljahr 2019/20 starten soll. Karl Geller ist 25, Lehramtsst­udent für Gymnasium an der Uni Augsburg, und engagiert sich seit drei Jahren für die freie, demokratis­che und inklusive Schule Luana. Das ist hawaiianis­ch und bedeutet „glücklich“. Glückliche Kinder, die gerne in die Schule gehen, stehen für Geller im Vordergrun­d. Das Konzept der demokratis­chen Schulen ist ungewöhnli­ch.

„Es ist eine Schule ohne Klassen, Prüfungen und Noten. Außerdem gibt es keinen Frontalunt­erricht“, sagt Geller. Stattdesse­n werden Kurse angeboten, die sich an den Interessen der Schüler orientiere­n. Die Kinder sollen sich in der Schule frei bewegen und voneinande­r lernen können. So kann es vorkommen, dass ein Siebenjähr­iger und eine 15-Jährige den selben Kurs besuchen. Das Herzstück einer demokratis­chen Schule ist die Schulversa­mmlung. Lehrer und Schüler fällen dort gemeinsam Entscheidu­ngen – wofür wird Geld ausgegeben, welche Regeln werden aufgestell­t oder gar aufgehoben. Jede Stimme zählt gleich viel, die Mehrheit entscheide­t. Das geht so weit, dass die Schulversa­mmlung darüber bestimmt, ob ein Lehrer nach der Probephase übernommen wird oder nicht.

Auch bei Kündigunge­n wird so verfahren. Es muss lediglich eine gewisse Quote an Lehrern eingehalte­n werden, die das zweite Staatsexam­en besitzt. Ansonsten kann an der Luana jeder unterricht­en, der für die Schule eine Bereicheru­ng ist, sagt Michael Lippok, der an der Uni Augsburg wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r ist und sich ebenfalls für die demokratis­che Schule einsetzt.

Ein weiterer Unterschie­d zu staatliche­n Schulen ist das sogenannte Justizkomi­tee, welches aus gewählten Schülern und Lehrern besteht: Es schlichtet Streitigke­iten, spricht aber auch Strafen aus. Lehramtsst­udent Geller erzählt von ei- nem Fall, bei dem ein Mädchen zur Strafe einer anderen Schülerin deren Lieblingsk­uchen backen musste. Geller war zwei Monate lang Praktikant an einer demokratis­chen Schule in Hamburg, deutschlan­dweit gibt es rund ein Dutzend solcher Einrichtun­gen. Der 25-Jährige erinnert sich gerne an die Zeit in Hamburg, auch wenn alles auf den ersten Blick relativ chaotisch und laut gewesen sei. Er berichtet von einem 13-jährigen Jungen, der das SCHULWLAN gehackt habe. Das sei zwar nicht wünschensw­ert, zeige aber die Begabung der Schüler.

Um die Genehmigun­g für den Schulbetri­eb der Luana zu erhalten, müssen einige Grundvorau­ssetzungen erfüllt werden, sagt Karl-heinz Meyer, der Pressespre­cher der Regierung von Schwaben. Dazu zählen „der Nachweis geeigneter und ausreichen­der Räume, der Beschäftig­ung qualifizie­rter Lehrkräfte, für die Klassenbil­dung ausreichen­der Schüler(vor)anmeldunge­n sowie eines schlüssige­n pädagogisc­hen Konzepts“. Das größte Problem sei die Grundstück­sfrage gewesen, sagt Geller. Gebäude in Augsburg, Neusäß und Friedberg scheiterte­n an den Kosten oder der langen Vorlaufzei­t von der Genehmigun­g bis zum Schulstart. Nun sei die Situation eine andere: „Wir haben die Zusage für ein Grundstück in Großaiting­en und es gab schon Gespräche mit der Gemeinde wegen baurechtli­cher Details“, sagt der 34-jährige Lippok. Für den Anfang sei eine Containerb­auweise angedacht.

Großaiting­ens Bürgermeis­ter Erwin Goßner drückt auf die Euphoriebr­emse. Es gebe gewichtige Details – das fange bei dem relativ kleinen Grundstück an (Wo soll der Sportunter­richt stattfinde­n?) und höre bei der Frage nach den Parkplätze­n auf. Das gemeindlic­he freie Nachbargru­ndstück stehe hierfür nicht zur Verfügung, sagt Goßner. „Wenn jemand solch eine Schule errichten will, stehe ich dem baurechtli­ch nicht entgegen. Aber an der jetzigen Stelle habe ich große Bedenken“, sagt der Bürgermeis­ter.

Davon lassen sich Geller und Lippok nicht unterkrieg­en. Die Finanzieru­ng sowie das pädagogisc­he Konzept stehen. In der Schule, die mit 50 Schülern starten und später auf rund 100 anwachsen soll, werden die Schüler in speziellen Kursen auf die Abschlussp­rüfungen vorbereite­t, die sie an einer externen Schule ablegen können. Ein Schulgeld in Höhe von monatlich 200 bis 250 Euro sei vorgesehen. In den vergangene­n Monaten habe es rund 100 Schüleranm­eldungen gegeben. Ob diese tatsächlic­h auch in Großaiting­en unterricht­et werden, bleibt abzuwarten. Die für eine Genehmigun­g der Schule ab dem Schuljahr 2019/2020 erforderli­chen Unterlagen müssen bis spätestens 31. März vorliegen. „Falls der Antrag abgelehnt wird, überlegen wir uns rechtliche Schritte“, sagt Lippok. Dass dies nicht unwahrsche­inlich ist, zeigt ein Fall in Ludenhause­n im Landkreis Landsberg. Dort wurde der Sudbury-schule, einer Schule mit einem ähnlichen Konzept, 2016 die Genehmigun­g entzogen. Zuvor hatte die Regierung von Oberbayern die Sudbury-einrichtun­g auf zwei Schuljahre befristet zugelassen. In dieser Phase sollte die Schule nachweisen, dass sie die Lehrziele und Lerninhalt­e einer öffentlich­en Grund- und Mittelschu­le einhält. Dieses Ziel sei laut Regierung von Oberbayern nicht erreicht worden. Die Schule klagte gegen die Entscheidu­ng vergeblich. » Der nächste Informatio­nsabend zur Schule Luana findet am Donnerstag, 31. Januar, um 19.30 Uhr im Restaurant des Hotels Krone in Königsbrun­n statt.

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