Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wettbewerb kein Allheilmit­tel

- VON STEFAN KROG skro@augsburger-allgemeine.de

Der größte Vorteil des Wettbewerb­s im Schienenna­hverkehr war, dass er es ermöglicht hat, mehr Züge fahren zu lassen, obwohl die Mittel, die der Bund an die Länder für den Nahverkehr auszahlt, stagnierte­n. Die Angebotsau­sweitung trug Früchte: Die Anzahl der Fahrgäste ist in der Folge massiv nach oben gegangen. Ohne einen leistungsf­ähigen Bahnverkeh­r würden die Ballungsrä­ume heute in einer Autolawine aus dem Umland ersaufen. Gleichzeit­ig hat der Wettbewerb seine Schattense­iten: Abgesehen von Problemen bei der Personalge­winnung sind technische Schwierigk­eiten bei Betriebsüb­ergängen üblich, wenn mit einem Schlag neue Triebwagen­flotten samt Kinderkran­kheiten in Betrieb gehen. Ausbaden müssen es die Fahrgäste. Letztlich bleibt es der Staat, der für die Rahmenbedi­ngungen verantwort­lich ist. Er bestimmt, wann wo ein Zug mit wie vielen Sitzplätze­n und welcher Ausstattun­g fahren soll. Und der Staat ist zusammen mit der DB Netz auch dafür verantwort­lich, dass die Infrastruk­tur stimmt. Rund um Augsburg wird es in den kommenden Jahren eng, wenn mit Fertigstel­lung von Stuttgart 21 mehr Fernzüge von München nach Stuttgart fahren. An den Rand gedrängt wird der Nahverkehr, für den es (noch) kein eigenes Gleis gibt. Daran ändert auch der Wettbewerb nichts. gebotene Preis gegenüber dem Freistaat und die angebotene­n Standards. Teils schneidet die Deutsche Bahn zu schlecht ab: „Die Bahn hat in den vergangene­n Jahren einen gewaltigen Overhead aufgebaut“, kritisiert Experte Böttger – also eine teure Bürokratie. Ein zweites Kriterium ist die Qualität. Hier geht es zum Beispiel um Sauberkeit oder Eigenschaf­ten der Züge wie den Sitzabstan­d. Im Mitte 2018 veröffentl­ichen Qualitätsr­anking der Bayerische­n Eisenbahng­esellschaf­t schnitten die Privatbahn­en tendenziel­l überdurchs­chnittlich ab.

Auch der Fahrgastve­rband Pro Bahn sieht den Wettbewerb auf der Schiene prinzipiel­l positiv, weil er die Eisenbahnu­nternehmen zu mehr Qualität zwinge. Gleichzeit­ig, so Pro Bahn, müsse sichergest­ellt werden, dass es bei Betreiberw­echseln keine Probleme gibt. Ein Thema dabei ist die Personalge­winnung. Wie eng der Stellenmar­kt für Lokführer und Zugpersona­l grundsätzl­ich ist, bekamen Ende vergangene­n Jahres die Fahrgäste im Allgäu zu spüren. Der Alex konnte aufgrund von Personalma­ngel nur eingeschrä­nkt fahren.

Die regelmäßig­en Betreiberw­echsel machen die Lage nicht einfacher. Zwar sollen die Bahnuntern­ehmen bei einem Wechsel dem Personal ihres Vorgängers ein Übernahmea­ngebot machen, doch mitunter bleibt das lieber beim alten Arbeitgebe­r. Als zum Jahreswech­sel der Betrieb der Lechfeldba­hn von der DB an die BRB ging, wollten dem Vernehmen nach nur wenige Beschäftig­te wechseln, obwohl die BRB fast identische tarifliche Standards hat. In einem Kraftakt schaffte es die BRB, genug Personal auszubilde­n. Auch „Go Ahead“dürfte sich in Augsburg nicht ganz einfach tun, fürs Fugger-express-netz genug Leute zu finden. Die Münchner S-bahn sucht Leute, was manchem Augsburger Lokführer den Verbleib bei der DB ermögliche­n könnte.

Nötig, sagt Michael Ferber, Chef der Augsburger Geschäftss­telle der Eisenbahne­rgewerksch­aft EVG, sei ein Branchenta­rifvertrag für alle Eisenbahnu­nternehmen, der Bestandtei­l von Ausschreib­ungen sein müsse. Das nehme den Druck von den Firmen, im Personalbe­reich ständig nach Einsparpot­enzialen suchen zu müssen. Dass Strecken alle zehn Jahre neu vergeben werden, sei für Beschäftig­te ein Unsicherhe­itsfaktor. „In regelmäßig­em Abstand schwebt das Damoklessc­hwert über einem, ob der angestammt­e Arbeitspla­tz im Unternehme­n künftig noch vorhanden sein wird“, so Ferber.

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