Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wettbewerb kein Allheilmittel
Der größte Vorteil des Wettbewerbs im Schienennahverkehr war, dass er es ermöglicht hat, mehr Züge fahren zu lassen, obwohl die Mittel, die der Bund an die Länder für den Nahverkehr auszahlt, stagnierten. Die Angebotsausweitung trug Früchte: Die Anzahl der Fahrgäste ist in der Folge massiv nach oben gegangen. Ohne einen leistungsfähigen Bahnverkehr würden die Ballungsräume heute in einer Autolawine aus dem Umland ersaufen. Gleichzeitig hat der Wettbewerb seine Schattenseiten: Abgesehen von Problemen bei der Personalgewinnung sind technische Schwierigkeiten bei Betriebsübergängen üblich, wenn mit einem Schlag neue Triebwagenflotten samt Kinderkrankheiten in Betrieb gehen. Ausbaden müssen es die Fahrgäste. Letztlich bleibt es der Staat, der für die Rahmenbedingungen verantwortlich ist. Er bestimmt, wann wo ein Zug mit wie vielen Sitzplätzen und welcher Ausstattung fahren soll. Und der Staat ist zusammen mit der DB Netz auch dafür verantwortlich, dass die Infrastruktur stimmt. Rund um Augsburg wird es in den kommenden Jahren eng, wenn mit Fertigstellung von Stuttgart 21 mehr Fernzüge von München nach Stuttgart fahren. An den Rand gedrängt wird der Nahverkehr, für den es (noch) kein eigenes Gleis gibt. Daran ändert auch der Wettbewerb nichts. gebotene Preis gegenüber dem Freistaat und die angebotenen Standards. Teils schneidet die Deutsche Bahn zu schlecht ab: „Die Bahn hat in den vergangenen Jahren einen gewaltigen Overhead aufgebaut“, kritisiert Experte Böttger – also eine teure Bürokratie. Ein zweites Kriterium ist die Qualität. Hier geht es zum Beispiel um Sauberkeit oder Eigenschaften der Züge wie den Sitzabstand. Im Mitte 2018 veröffentlichen Qualitätsranking der Bayerischen Eisenbahngesellschaft schnitten die Privatbahnen tendenziell überdurchschnittlich ab.
Auch der Fahrgastverband Pro Bahn sieht den Wettbewerb auf der Schiene prinzipiell positiv, weil er die Eisenbahnunternehmen zu mehr Qualität zwinge. Gleichzeitig, so Pro Bahn, müsse sichergestellt werden, dass es bei Betreiberwechseln keine Probleme gibt. Ein Thema dabei ist die Personalgewinnung. Wie eng der Stellenmarkt für Lokführer und Zugpersonal grundsätzlich ist, bekamen Ende vergangenen Jahres die Fahrgäste im Allgäu zu spüren. Der Alex konnte aufgrund von Personalmangel nur eingeschränkt fahren.
Die regelmäßigen Betreiberwechsel machen die Lage nicht einfacher. Zwar sollen die Bahnunternehmen bei einem Wechsel dem Personal ihres Vorgängers ein Übernahmeangebot machen, doch mitunter bleibt das lieber beim alten Arbeitgeber. Als zum Jahreswechsel der Betrieb der Lechfeldbahn von der DB an die BRB ging, wollten dem Vernehmen nach nur wenige Beschäftigte wechseln, obwohl die BRB fast identische tarifliche Standards hat. In einem Kraftakt schaffte es die BRB, genug Personal auszubilden. Auch „Go Ahead“dürfte sich in Augsburg nicht ganz einfach tun, fürs Fugger-express-netz genug Leute zu finden. Die Münchner S-bahn sucht Leute, was manchem Augsburger Lokführer den Verbleib bei der DB ermöglichen könnte.
Nötig, sagt Michael Ferber, Chef der Augsburger Geschäftsstelle der Eisenbahnergewerkschaft EVG, sei ein Branchentarifvertrag für alle Eisenbahnunternehmen, der Bestandteil von Ausschreibungen sein müsse. Das nehme den Druck von den Firmen, im Personalbereich ständig nach Einsparpotenzialen suchen zu müssen. Dass Strecken alle zehn Jahre neu vergeben werden, sei für Beschäftigte ein Unsicherheitsfaktor. „In regelmäßigem Abstand schwebt das Damoklesschwert über einem, ob der angestammte Arbeitsplatz im Unternehmen künftig noch vorhanden sein wird“, so Ferber.