Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Feind, der aus der Kälte kam
Beim größten Nato-manöver seit dem Ende des Kalten Krieges machen viele deutsche Soldaten mit. Denn 2019 bildet die von Ausrüstungsmängeln geplagte Bundeswehr die „Speerspitze“des Bündnisses
Oslo Die feindlichen Truppen kommen von Norden. Es ist ein düsterer, nasskalter Tag, gerade ist der erste Schnee auf die kargen Nadelwälder gefallen. Nahe des norwegischen Provinznests Telneset in der Hedmark setzen die Angreifer mit ihren leichten, schwimmfähigen Kettenpanzern über den Fluss Glomma. Doch der Vorstoß ist nicht unbemerkt geblieben. Etwa 160 Kilometer weiter südlich, nahe der Kleinstadt Rena, formieren sich die Kräfte der Verteidiger zur Gegenoffensive. Beide Seiten werden massiv von ihren Luftstreitkräften unterstützt – und auch in der eiskalten Nordsee stehen sich mächtige Marineflotten gegenüber. Der „Krieg“, zum Glück ein simulierter, hat begonnen, exakt nach dem „Drehbuch“des größten Nato-manövers seit dem Ende des Kalten Krieges.
Rund 50 000 Soldaten aus allen 29 Staaten des Nordatlantik-bündnisses sowie aus Finnland und Schweden proben in Norwegen gemeinsam den Ernstfall, den Angriff einer feindlichen Macht auf ein Mitgliedsland. Es ist klar, dass die Nato dabei Russland im Blick hat, auch wenn das offiziell niemand sagt.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen betont beim Truppenbesuch in Rena, dass das Großmanöver „gegen niemanden gerichtet“, sondern ein Signal der Nato-staaten untereinander sei, „dass das starke Bündnis seine Mitglieder schützt“. Schutz, den sich gerade die Nato-mitgliedsländer Polen, Estland, Lettland und Litauen wünschen, in denen Russland mit der Annexion der Krim und der Unterstützung prorussische Separatisten im blutigen Konflikt in der Ostukraine tiefe Ängste geweckt hat. So hält die Nato nun erstmals seit dem Ende der „Reforger“-manöver im Jahr 1993 wieder eine echte Großübung. Russland hat angekündigt, in den internationalen Gewässern vor Norwegen, in denen auch die Nato-kriegsschiffe kreu- zen, Schießübungen mit Marschflugkörpern durchzuführen. Die Nato reagiert gelassen.
Deutschland stellt mit rund 8000 Soldaten den zweitgrößten Truppenanteil nach Gastgeber Norwegen. Im Feldlager der „Verteidigungstruppen“in Rena lässt sich Ursula von der Leyen von Brigadegeneral Ulrich Spannuth über den bisherigen Verlauf des Manövers informieren. Hauptziel sei, so Spannuth, zu gewährleisten, dass im Ernstfall „die Verlegung eines Gefechtsverbands in einem sehr engen Zeitfenster funktioniert“. Für die Bundeswehr ist es eine Art Generalprobe, denn im kommenden Jahr stellt sie erstmals die „schnelle Speerspitze“der Nato. Im Rahmen der „Very High Readiness Joint Task Force“(VJTF), auf Deutsch „Einsatzgruppe mit sehr hoher Einsatzbereitschaft“, müssen dann bestimmte Truppenteile zwölf Monate lang praktisch ständig auf Abruf stehen. Innerhalb von nur zwei bis sieben Tagen sollen sie in der Lage sein, befreundeten Ländern im Falle eines Angriffs von außen zur Seite zu springen. Im Moment läuft mit der Truppenübung die „heiße Phase“des Großmanövers in Norwegen. Doch die Vorbereitungen haben bereits im August begonnen, vor allem die Logistik sei eine gewaltige Herausforderung, so der Brigadegeneral. 13 Frachtschiffe waren demnach wochenlang im Einsatz, um unzählige Container und rund 4000 Fahrzeuge, darunter zahlreiche Marder- und Leopard2-panzer, von Emden in den norwegischen Hafen Frederikstad zu bringen. Und nur einmal, berichtet der Brigadegeneral stolz, sei der gewaltige Warenstrom für einige Stunden unterbrochen worden – als hoher Wellengang das Auslaufen der Schiffe verhinderte.
Für die Bundeswehr ist das Manöver aber auch in einer anderen Hinsicht ein Lackmustest. Ist die Truppe voll einsatzfähig, obwohl es seit Jahren große Probleme mit mangelhafter oder gar fehlender Ausrüstung gibt? Dass die Ausrüstungsgegenstände für das Manöver zum Teil bei anderen Truppenteilen geliehen werden mussten, daraus macht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen keinen Hehl: „Das sind die Spuren, die 25 Jahre des Sparens hinterlassen haben.“Im „Camp Gardemoen“, der deutschen Nachschubbasis bei Oslo, sagt der Kommandeur des Logistikbataillons aus Beelitz bei Berlin, dass es seine Einheit „so gar nicht gibt“. Die 350 Fahrzeuge und 800 Soldaten unter seinem Befehl seien zuvor von insgesamt sieben Standorten zusammengezogen worden. Ursula von der Leyen hört nachdenklich zu. „Das wollen wir ändern“, sagt sie. Die Trendwende bei der Ausrüstung, das betont das Verteidigungsministerium immer wieder, sei geschafft, viele Anschaffungen
„Das sind die Spuren, die 25 Jahre des Sparens hinterlassen haben.“Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen