Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Lief eine Hilfsaktion für eine bedrohte Frau aus dem Ruder?
Warum sich ein Münchner Geschäftsmann vor Gericht verantworten muss und welche neuen Erkenntnisse der Prozess bringt
Augsburg Es ist ein ungewöhnlicher Fall, der vor dem Landgericht verhandelt wird. Ein bisher unbescholtener Münchner Zahnarzt soll mit einem Geschäftsmann, der ebenfalls kriminell nie aufgefallen war, eine Geiselnahme begangen haben. So wirft es ihnen die Staatsanwaltschaft vor. Hintergrund: Die Männer eilten nachts einer im Kreis Aichachfriedberg lebenden Zahnarzthelferin zur Hilfe, die von ihrem Freund bedroht wurde.
Laut Anklage übertrieben es die Männer mit ihrer Hilfsaktion. Sie sollen den Freund der Arzthelferin mit einem Baseballschläger und einer Gaspistole bedroht haben. Zudem sollen sie gedroht haben, ihn umzubringen, falls er nicht umgehend zurück nach Frankreich fährt, wo er eigentlich lebte. Im Prozess zeigt sich jetzt aber: Die Arzthelferin wurde offensichtlich tatsächlich von ihrem damaligen Freund massiv bedroht und auch misshandelt. Vor Gericht sagte die 33-Jährige aus, ihr Freund – ein Türke, der in Frankreich Asyl beantragt hatte – habe sie mehrfach geschlagen. Auch an jenem Abend im Oktober, als sie ihren Chef anrief und um Hilfe bat. Er habe sie bedroht und beleidigt, etwa als „größte Schlampe“.
Dazu kam: Die Arzthelferin war zu der Zeit schwanger – von einem anderen Mann. Ihr Freund dachte zwar, er sei der Vater. Er habe sie aber dennoch aufgefordert, das Ungeborene abzutreiben, es „wegmachen“zu lassen. Andernfalls werde er das Baby töten. Heute wisse sie, dass er sie nur heiraten wollte, um in Frankreich oder Deutschland bleiben zu können. Die Frau sagt, sie sei „blind vor Liebe“gewesen, wie bei einer „Gehirnwäsche“. Heute habe sie zu dem Mann keinen Kontakt, das Baby brachte sie zur Welt.
Allerdings wollte ihr Freund die Trennung nicht akzeptieren. Er habe ihr hunderte Nachrichten und E-mails geschickt und mitten in der Nacht angerufen, erzählt sie. Im sozialen Netzwerk Facebook habe er ein gefälschtes Profil von ihr angelegt und dort Fotos von ihr veröffentlicht. Sie habe deshalb bei der Polizei in München Anzeige erstattet, danach aber nie mehr etwas von den Beamten gehört. Das Stalking sei zu Ende, sagte die Frau.
Ebenfalls als Zeuge ausgesagt hat ein Berufsfotograf, der in jener Nacht mit dem Arzt und dem Geschäftsmann zur Wohnung der Arzthelferin fuhr. Er ging dann aber nicht mit in die Wohnung, weil er „in nichts reingezogen“werden wollte. Der Fotograf machte aber durch ein Fenster Fotos, die zeigen, wie der Geschäftsmann den Baseballschläger hält, während der Freund der Arzthelferin seine Tasche packt. Die Fotos fanden die Ermittler auf dem Handy des Fotografen – sie sind jetzt Beweisstücke.
Derzeit steht nur der 58-jährige Geschäftsmann (Verteidiger: David Herrmann und Roland Autenrieth) vor Gericht. Der Zahnarzt ist schwer erkrankt. Deshalb wurde das Verfahren gegen ihn ausgesetzt. Das Opfer, der Ex-freund der Arzthelferin, hätte schon als Zeuge aussagen müssen. Er kam aber nicht. Stattdessen schickte er der Justiz eine Mail, in der er nach Az-informationen auch Rassismusvorwürfe erhebt. Ob das Gericht versuchen wird, ihn zwangsweise vorführen zu lassen, ist unklar.