Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Das Warten auf den sicheren Tod
Holocaust In der Hallstraße waren Menschen vor ihrer Deportation untergebracht. Schüler erinnern daran, wie Juden, Kommunisten, Kranke und Minderheiten systematisch aussortiert wurden
Die Hallstraße 14 war ein zentraler Ort der lokalen Judenverfolgung. Das Haus, das Karl Wassermann, Inhaber der Herrenbekleidungsfirma Pfaunlacher und Schwab, 1938 erwarb, war ab 1942 beschlagnahmt. Hier mussten die Wassermanns und weitere jüdische Familien bis zu ihren Deportationen nach Auschwitz, Theresienstadt oder Piaski warten. Karl Wassermann und seine Ehefrau Jenny gingen von hier aus zur Zwangsarbeit in die Ballonfabrik. Im März 1943 wurden sie und die anderen Bewohner nach Auschwitz verbannt und dort getötet.
Ein weiteres „Judenhaus“in Augsburg befand sich in der Hochfeldstraße 31. Es gehörte seit 1925 Fritz Farnbacher, dem Besitzer der Kurzwaren- und Spielzeughandlung Wernecker & Farnbacher mit Sitz in der Hermannstraße 11. Im Januar 1938 wurde er gezwungen, das Wohnhaus zu verkaufen und andere Familien aufzunehmen. Seine Frau musste ebenfalls in der Ballonfabrik arbeiten, bis das Ehepaar wie die Bewohner der Hallstraße Mitte März 1943 mit der Reichsbahn nach Auschwitz deportiert und bereits am 17. März dort ermordet wurde.
Zum dritten Mal hatte die Erinnerungswerkstatt zum Holocaustgedenktag eingeladen und zusammen mit Augsburger Schulen die Lebensläufe von Menschen vorgestellt, die die Ns-zeit nicht überlebten. In diesem Jahr verlasen Schülerinnen und Schüler des Maria-theresiaund des Gersthofer Paul-kleegymnasiums im Rathaus die Ergebnisse der neuen Recherchen. Vier der verlesenen Biografien wurden von engagierten Lokalhistorikern wie Angela Bachmair, Michael Friedrich und Alfred Hausmann verfasst. Für die anderen Lebensgeschichten zeichneten die Schüler verantwortlich.
Neben den Familien Wassermann und Farnbacher erinnerten sie an die Augsburger Juden Curt Pach, Julie Heilbronner und Justus Bendit sowie an eine Psychiatrie-patientin, den denunzierten Widerstandskämpfer Josef Graf und den Sinto Ferdinand Reinhardt.
Die zweifache Mutter Sophie K. aus Pfersee musste sterben, weil sie das „rassische Erbgut“bedrohte. Sie wurde 1944 in der berüchtigten Kreis-heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-irsee gezielt durch eine Spritze getötet. Sophie K. hatte zehn Geschwister und wohnte nach ihrer Heirat mit einem Gärtner in der Eberlestraße.
Der Ehemann hatte sie im November 1934 erstmals wegen „häuslicher Unruhe und sinnloser Handlungen“in die Psychiatrische Abteilung des Städtischen Krankenhauses gebracht. Der zuständige Medizinalrat Hermann Pfannmüller, der in Augsburg die „erbbiologische Kartei“aufbaute, ordnete für Sophie K. die Zwangssterilisation zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“an. Der schriftliche Einspruch des Ehemannes und die Tatsache, dass sie bereits zwei gesunde Kinder hatte, stimmten das Gericht nicht um. Sie verbrachte nahezu ein Jahrzehnt in der Psychiatrie, bevor sie in Kaufbeuren starb.
Ferdinand Reinhardt (1923 – 1943) gehörte zur kulturellen Minderheit der Sinti und wohnte 1937 auf dem „Zigeunerplatz Kiernermühle“an der Gersthofer Straße. Seine Familie verdiente mit dem Handel von Pferden, Haushaltswaren und Tischdecken ihren Lebensunterhalt.
Seit 1933 galten die 35 Menschen in neun Wohnwagen im Ns-jargon als „asozial“, 1938 verfügt die Stadt, das Lager aufzulösen. Die Eltern von Ferdinand wurden 1940 verhaftet, er selbst wurde 1942 in ein KZ nach Niedersachsen deportiert. 1943 wurde er – wie 13000 weitere Sinti und Roma – nach Auschwitz deportiert, lebte noch sieben Monate und starb dann an Fleckfieber. Seinen bis heute erhaltenen Totenschein unterzeichnete der berüchtigte Lagerarzt Josef Mengele.