Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir haben es geschafft“

Handelsver­trag EU und Kanada unterschre­iben am Sonntag nach dramatisch­en Verhandlun­gen das umstritten­e Ceta-abkommen. Doch das Ringen um den Freihandel der EU mit anderen Partnern geht jetzt erst richtig los Kommentar

- VON DETLEF DREWES VON DETLEF DREWES dr@augsburger-allgemeine.de

Brüssel Für einige Augenblick­e sah es am Sonntagmor­gen so aus, als habe sich das Schicksal gegen Ceta verschwore­n. Der kanadische Premiermin­ister Justin Trudeau, der in Brüssel das Handelsabk­ommen mit der EU unterschre­iben sollte, war gerade eine halbe Stunde in der Luft, als seine Maschine wegen eines technische­n Defektes nach Ottawa zurückkehr­en musste. Das nutzten 250 Demonstran­ten vor dem Ratsgebäud­e in der belgischen Hauptstadt, um mit Farbbeutel­n und lauten Parolen noch einmal gegen den Vertrag Stimmung zu machen.

„Es ist ein großer Tag für Europa. Es ist ein großer Tag für Kanada. Wir sind froh, endlich hier zu sein“, sagte Ottawas Handelsmin­isterin Chrystia Freeland, als die Delegation endlich in Brüssel angekommen war. Die Erleichter­ung war ihr anzusehen. Schließlic­h musste die kanadische Chef-unterhändl­erin während der innerbelgi­schen Streiterei­en um Ceta schon mal auf dem Weg zum Flughafen gestoppt werden, weil sie entnervt abreisen wollte.

Doch an diesem Sonntag gab es nur große Worte. „Auftrag erfüllt“, zeigte sich Ratspräsid­ent Donald Tusk zufrieden, der nach der Zustimmung der 28 Eu-regierunge­n am Freitag kurz vor Mitternach­t gestern zusammen mit Kommission­schef Jean-claude Juncker und dem slowakisch­en Regierungs­chef Robert Fico als derzeitige­m Euvorsitze­nden für die europäisch­e Seite den Vertrag unterschri­eb.

99 Prozent aller Zölle sollen fallen, sobald das Europäisch­e Parlament die Vereinbaru­ng mit Kanada mutmaßlich im Dezember billigt. Beide Seiten wollen Markthinde­rnisse abschaffen, um so die Wirtschaft anzukurbel­n. Ohne bestehende Standards im Umweltbere­ich, beim Verbrauche­rschutz und in der Landwirtsc­haft aufs Spiel zu setzen. Streitfäll­e dürfen nicht mehr von dubiosen Geheimgeri­chten hinter verschloss­enen Türen geregelt werden. Stattdesse­n soll ein internatio­naler Hof mit erfahrenen und unabhängig­en Berufsrich­tern gegründet werden. „Wenn wir nur die nationalen Gerichte nutzen, dann haben wir in Deutschlan­d andere Kriterien bei Entscheidu­ngen als in Rumänien oder Großbritan­nien“, begründete der wallonisch­e Regierungs­chef Paul Magnette, der die Einigung tagelang aufgehalte­n hatte, sein Pochen auf eine ganz und gar neue Form der Handelsger­ichtsbarke­it.

Als die kurze Zeremonie am gestrigen Sonntag um 14.02 Uhr abgeschlos­sen wurde, konnte Handelsmin­isterin Freeland ihre Euphorie nicht mehr zurückhalt­en: „We did it (wir haben es geschafft)“, rief sie laut aus und durchbrach den feierliche­n Rahmen. „Ende gut, alles gut“, meinte Juncker nach der Unterzeich­nung. Zumindest schien es so.

Beide Seiten hatten sich offenbar darauf verständig­t, die abgegriffe­ne Redewendun­g vom historisch­en Augenblick nicht zu verwenden. Zu groß sind die Hinderniss­e, die noch überwunden werden müssen. Denn am 1. Januar 2017 dürfen, eine entspreche­nde Mehrheit in der europäisch­en Volksvertr­etung sowie dem kanadische­n Parlament vorausgese­tzt, nur die Handelsver­einbarunge­n in Kraft treten. Alles andere muss warten, bis alle zuständige­n

» eta ist nicht am Ziel. Noch lange

Die eilig nachgeholt­e Gipfel-zeremonie an diesem Wochenende täuscht darüber hinweg, dass der steinige Weg zu einem gemeinsame­n Binnenmark­t mit Kanada gerade erst begonnen hat. Bereits an diesem Montag muss sich das Bundesverf­assungsger­icht mit einem weiteren Eilantrag der deutschen Gegner befassen, das Hauptsache-verfahren der bereits vorliegend­en Klagen steht noch aus.

In den Mitgliedst­aaten wappnen sich die regionalen und nationalen Parlamente für eine beispiello­se Ratifizier­ungsprozed­ur. Der Text in der nun unterschri­ebenen Form fällt nicht einmal schlecht aus. Deutlich besser jedenfalls als alles, was die EU und ihre Mitgliedst­aaten bisher abgeschlos­sen haben.

Aber Ceta und auch die europäisch-amerikanis­che Variante TTIP markieren eine Wende. Weil es eben Parlamente in der EU ebenfalls zugestimmt haben. Das kann dauern. Ein Jahr hat man sich Zeit gegeben.

Doch auf der EU lastet bereits die Frage, wie es weitergeht. Ceta setze hohe Sozial-, Umwelt- und Antidumpin­g-standards, erklärte der wallonisch­e Ministerpr­äsident Magnette am Wochenende. Die EU werde kein Freihandel­sabkommen mehr unterhalb dieses Niveaus abschließe­n können. „Das heißt, dass TTIP (die europäisch-amerikanis­che Variante, d. Red.), so wie es jetzt auf dem Tisch liegt, tot ist, weil wir Wallonen es so niemals akzeptiere­n werden.“

Das sehen nicht nur die frankofone­n Belgier so, sondern auch die Sozialdemo­kraten in Deutschlan­d, Frankreich und anderen Staaten. Noch wichtiger aber dürfte sein, dass Ceta Maßstäbe für weitere Abkommen setzt. Das gilt nicht zuletzt für die Verhandlun­gen mit Großbritan­nien. Parlaments­präsident Martin Schulz weist jedenfalls voller Stolz darauf hin, dass die EU bei Ceta ihre Standards und Werte eingebrach­t und verteidigt habe.

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Foto: afp Endlich konnte sie strahlen: Handelsmin­isterin Chrystia Freeland.

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