Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein Glücksfall: Unbekanntes von Mozart und Salieri
Entdeckung Die beiden Wiener Komponisten schrieben eine Kantate für die von ihnen geschätzte Sängerin Anna Selina Storace. Dazu wurden jetzt in Prag bislang verschollene Noten gefunden
Augsburg Dass unbekannte Noten von Mozart gefunden werden, kommt nicht alle Tage vor.
Wir erinnern uns noch gut an jene aufregenden Tage, als vor etlichen Jahren der Mozartstadt Augsburg durch einen Eulenspiegel die „Uraufführung“eines kompletten Mozart-orgelkonzertes angeboten wurde und der damalige Generalmusikdirektor der Stadt voller Begeisterung statt Skepsis zugriff – worauf denn auch die angesetzte „Uraufführung“zum Top-ereignis hochstilisiert wurde.
Nur kam dann durch die Recherche dieser Zeitung heraus: Die „Uraufführung“fällt aus; das Orgelkonzert ist als Klavierkonzert seit Jahrhunderten bekannt. Keine rühmliche Geschichte war das damals für die Mozartstadt.
Jetzt aber sieht es tatsächlich so aus: Unbekannte Noten Mozarts sind entdeckt. Zwar wusste die Musikwissenschaft durch einen uralten Zeitungsvermerk von der mutmaßlichen Existenz des Stücks mit der Köchel-verzeichnis-nummer 477a – doch die Noten mussten bislang als verschollen gelten. Es ist einem Glücksfall zu verdanken, dass sie jetzt aus dem Tschechischen Museum der Musik (Prag) in die Öffentlichkeit gelangten – und mit ihnen, auch nicht unbedeutend, unbekannte Noten von Antonio Salieri und das dazugehörige unbekannte Textbuch von Lorenzo da Ponte – allesamt drei Schwergewichte der Wiener Klassik im Ausgang des 18. Jahrhunderts. Insofern alles andere als zu unterschätzen.
Auch deswegen, weil nun erstmals eine Gemeinschaftskomposition von Mozart und Salieri (und dem weniger bekannten Alessandro Cornet) nachgewiesen werden kann. Komplett anders als in Milos Formans Film „Amadeus“, wo Salieri als erbitterter Konkurrent Mozarts dargestellt ist, pflegten die beiden Komponisten freundschaftlichen Umgang, wie es auch einem Brief Mozarts an sein „liebstes bestes Weibchen“vom Oktober 1791 nach einer vorausgegangenen „Zauberflöten“-aufführung zu entnehmen ist: „…um 6 Uhr hohlte ich Salieri und die Cavalieri mit den Wagen ab, und führte sie in die Loge … du kanst nicht glauben wie artig beide waren, – wie sehr ihnen nicht nur meine Musick, sondern das Buch und alles zusamen gefiel. – Sie sagten beyde daß sey ein Operone – würdig bei der größten festiviteet vor dem großten Monarchen aufzuführen. – und Sie würden sie gewis sehr oft sehen, den sie haben noch kein schöneres und angenehmeres spectacel gesehen. – Er hörte und sah mit aller Aufmerksamkeit und von der Sinfonie bis zum letzten Chor, war kein Stück, welches ihm nicht ein bravo oder bello entlockte, und sie konten fast nicht fertig werden, sich über diese Gefälligkeit bei mir zu bedanken.“
Das war, wie gesagt, im Oktober 1791 – mithin gut sechs Jahre nach der Entstehung von KV 477a, dieser Kantate zu Ehren der sowohl von Mozart wie von Salieri verehrten Sängerin Anna Selina Storace, Mozarts „Susanna“übrigens bei der Wiener „Figaro“-premiere Anfang Mai 1786. Für diese humoristische, biografisch anspielungsreiche Nancy-storace-kantate vertonte Salieri die ersten beiden Strophen, Mozart die folgenden beiden, dann war Cornet an der Reihe.
Wie aber gelang nun der Fund? Er gelang zufällig, zunächst en passant. Der 1978 in Heidelberg geborene Komponist und Musikwissenschaftler Timo Jouko Herrmann, der bereits über Salieri promoviert hat, entdeckte online in der Librettosammlung des Tschechischen Museums für Musik das Textbuch zu Lorenzo da Pontes Kantate „Per la ricuperato salute di Ofelia“– bis dato von der Forschung nicht wahrgenommen. Und als Herrmann um eine digitale Zusendung des Textbuchs bat, schrieb das Museum zu- rück: nur Textbuch oder „auch die Noten“?
So begann die Entdeckung der angehängten gedruckten Noten in Lorenzo da Pontes Büchlein. Die kleine Sensation hat indessen einen Wermutstropfen: Als Noten gerettet sind lediglich Vokal- und Bassstimme der Komposition, alles andere bleibt zunächst weiterhin verschollen, obwohl davon auszugehen ist, dass der Wiener Verlag Artaria die Kantate von 30 Strophen seinerzeit vollständig verlegt hat. Der Augsburger Mozart-spezialist Manfred Hermann Schmid, der als emeritierter Tübinger Ordinarius für Musikwissenschaft die ganze Entdeckung für plausibel hält, geht davon aus, dass die Kantate mit Streichern, Oboen und Hörnern besetzt war.
Obwohl die Sensation also noch nicht vollständig sein kann, liegt dennoch bislang genügend Notenmaterial vor, um die Kantate 477a zu rekonstruieren. Zumindest in einer Klavierfassung – was der Entdecker Timo Jouko Herrmann derzeit auch tut. Sie soll in wenigen Wochen herausgegeben werden.