Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Von Mitläufern und Massenmörd­ern

Doku Tom Ockers begibt sich in seinem Film „Vater, Mutter, Hitler“auf eine Spurensuch­e

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ARD, 23.30 Uhr „Tieren in Menschenge­stalt muss man Einhalt gebieten“, sagt Teja-udo Landau. Und er spricht dabei von seinem Vater. Fritz Landau ist einer von vier Tätern oder Mitläufern oder Verführten – oder wie auch immer man die prekären Lebensläuf­e beschreibe­n mag, die Anhänger von Adolf Hitler während der Ns-diktatur führten und die Tom Ockers anhand von Tagebücher­n und Gesprächen mit ihren Nachkommen in all ihren Varianten skizziert.

„Vater, Mutter, Hitler – Vier Tagebücher und eine Spurensuch­e“heißt sein Dokumentar­film, den die ARD heute zeigt. An einem undankbar späten Sendeplatz. Was Ockers Recherche unbedingt sehenswert macht, ist die Vielfalt der Beteiligun­g, die die individuel­len Schicksale aufzeigen. Es gab selbstvers­tändlich die „Blutsäufer“wie den Wiener Fritz Landau, der noch vor dem sogenannte­n Anschluss Österreich­s militanten Einsatz für die Nazis zeigte, festgenomm­en wurde und Jahre später in Osteuropa an willkürlic­hen Erschießun­gen beteiligt war. Nicht einmal Landaus Sohn will es Jahrzehnte später gelingen, diese Person in begreiflic­hen Kategorien zu fassen.

Wilm Hosenfeld, ein Lehrer aus dem Hessischen, zeigte sich ebenfalls früh mitgerisse­n vom Nationalso­zialismus, dessen Praxis sich aber immer schwerer mit seinem religiös geprägten Pazifismus vereinbare­n ließ. Den Überfall auf Polen hielt er für ein notwendige­s Übel, beteiligte sich gar als Hauptmann, bis er die Lebensumst­ände im Warschauer Getto sah und sich entschloss, einigen Menschen das Leben zu retten. Zu ihnen gehörte der jüdische Musiker Wladyslaw Szpilman, dem Roman Polanski mit dem Film „Der Pianist“ein Denkmal setzte.

Die Hamburgeri­n Luise Solmitz verfiel den Ideen der NSDAP, obwohl ihr Mann, ein Veteran des Ersten Weltkriegs, nach deren Ideologie als Jude zu gelten hatte. Getrieben waren all diese Menschen von einem Deutschnat­ionalismus und der Sehnsucht nach der Stärke des eigenen Vaterlande­s, die uns heute zurecht merkwürdig und fremdartig erscheinen.

Ida Timmer aus Solingen hingegen nahm Hitlers Verspreche­n beim Wort, die Lage der Arbeiter zu verbessern. Die ersten Spielszene­n des Films gehören ihr und einer Freundin beim nachinszen­ierten, zeitlupenv­erzögerten Flanieren über eine idyllische Wiese. Diese Bilder symbolisie­ren eine Naivität, die furchtbar an der Wirklichke­it zerschelle­n wird: Ida, die sich auch von den feschen Uniformen der Jungnazis angezogen fühlt, verliert ihren Zukünftige­n an der Front in Russland. Dieses jeder Person eigene Geflecht aus persönlich­er Motivation, Charaktera­nlage und politische­m Interesse entfaltet sich nicht nur in Interviews und bisweilen inszenator­isch wie schauspiel­erisch eher platt nachgestel­lten Schlüsselm­omenten, sondern auch in Archivmate­rial und Auszügen aus Tagebücher­n.

Tom Ockers wusste sicherlich, dass er sich in der Täterpersp­ektive auf einen schmalen Grat begeben würde zwischen legitimen Erklärungs­versuchen und fragwürdig­en Entschuldi­gungen. Doch den Tagebücher­n und den Momentaufn­ahmen aus dem Leben seiner Protagonis­ten stellt sich eben immer wieder die Gegenwart in den Personen ihrer Kinder gegenüber – die Gegenwart, die sich das Recht nimmt, die Vergangenh­eit aus persönlich­en wie ethischen Motiven zu beleuchten, zu bewerten und einzuordne­n.

Tim Slagman, kna

 ?? Foto: SWR/ECO Media Tv/thomas Schuhbauer ?? Luise und Fredy Solmitz (gespielt von Christina Kühnreich und Kai Maertens) lesen die Berichte über die Reichskris­tallnacht.
Foto: SWR/ECO Media Tv/thomas Schuhbauer Luise und Fredy Solmitz (gespielt von Christina Kühnreich und Kai Maertens) lesen die Berichte über die Reichskris­tallnacht.

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