Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Freiflug in den Terror?

IS Mindestens sieben Islamisten aus Bayern sind in Syrien bisher ums Leben gekommen. Aber die Ausreiseza­hlen steigen weiter. Und auch die Rückkehrer stellen die Behörden vor Probleme

- VON STEFANIE HECKEL

Augsburg/bad Staffelste­in Als Halid K. nicht mehr ausreisen darf, besorgt er sich einen falschen Pass. Er will weg aus dem Hasenbergl, dem Münchener Stadtteil, in dem er aufgewachs­en ist, raus aus Deutschlan­d. Nach Syrien in den Krieg, im Sommer 2015. Nun zeigt ihn ein Foto in Waffen. Daneben sein Waffenbrud­er Erhan A. aus Kempten, 23 Jahre alt und Bayerns bekanntest­er Salafist, im Oktober 2015 wegen seiner radikalen Ansichten in die Türkei ausgewiese­n. Die richtige Entscheidu­ng – oder Freiflug für einen angehenden Terroriste­n?

Aus dem Kriegsgebi­et verbreiten Erhan A. und sein Freund Halid K. mittlerwei­le beständig Propaganda. Zwar gibt es weiter keine offizielle Bestätigun­g dafür, dass sich Erhan A. aus dem Allgäu einer Terrormili­z angeschlos­sen hat. Doch Fotos und Gesprächsm­itschnitte, die unserer Zeitung vorliegen, legen diesen Schluss nahe. Mindestens 70 Männer und Frauen aus Bayern sind ins syrische Kriegsgebi­et ausgereist.

Mudschahed­din, Heilige Krieger, so nennen sich Erhan A. und Halid K. inzwischen. Wo sie genau sind, wollen sie nicht sagen, doch angeblich hören sie seit Wochen die Einschläge von Bomben, teilen sie un- serer Zeitung mit. Der Himmel über ihnen sei voller Rauch und Kondensstr­eifen der Jets. Kontakt nach Deutschlan­d halten sie über ein Internetca­fé.

Warum Syrien? Wenn Halid von seiner Flucht aus München erzählt, spricht er langsam und beginnt mit seiner Kindheit. Dem Spielzeug, das er besaß, der Schule, die er hasste. Dennoch eine gewöhnlich­e Jugend im Hasenbergl, nicht weiter auffällig, sagen Ermittler über Halid K. Er selbst sagt, er habe irgendwann gekifft, sich auf der Straße herumgetri­eben. Mit 14, vielleicht 15. Die anderen hätten über ihn gelacht und ihn verspottet. Die anderen, das sind die Münchner, die Deutschen, die Ungläubige­n. Halid sagt, er will in Syrien den Islam verteidige­n. Seinen Job hat er vor der Flucht gekündigt. In München hat er vor einigen Jahren den Koran verteilt; nach einem ersten Fluchtvers­uch in die Türkei kehrte er zurück. Verbindung ins Allgäu pflegt er seit 2013. Mit Erhan A. und dem später in Syrien getöteten Kemptener David G. will er sich am Münchener Hauptbahnh­of getroffen haben, auf dem Weg zu einem Islamvortr­ag.

„Dass sie mich aufhalten werden, haben sie nie erwähnt“, sagt Halid K. über seine Gespräche mit der Münchener Polizei. Im Frühjahr 2014 beobachten die Behörden bereits die Gruppe, die sich zu einer Grillparty in München trifft – bayerische Salafisten aus dem Allgäu und der Landeshaup­tstadt.

Knapp 37 Prozent der deutschen Syrienreis­enden sind durch Freunde und Bekannte ins Netz der Salafisten geraten, sagt Claudia Dantschke. Die Arabistin der Berliner Beratungss­telle Hayat gilt als Deutschlan­ds wichtigste Kämpferin gegen Islamismus. Sie berät Eltern, die ihre Kinder an den politische­n Salafismus oder den Dschihadis­mus verloren haben. Während Erhan A. und Halid K. per Chatdienst Fotos vom Abendessen im syrischen Kriegsgebi­et nach Deutschlan­d schicken, hält Dantschke am Samstag einen Vortrag im fränkische­n Bad Staffelste­in. „Das Kind lieben. Die Tat verurteile­n.“Diese zwei kurzen Sätze sagt sie Eltern, die bei ihr Rat und einen Zugang zum eigenen Kind im Kriegsgebi­et suchen. 8350 Salafisten beobachtet der Verfassung­sschutz in Deutschlan­d, sagt Dantschke und geht dabei von einem Nahfeld aus. Mindestens 10 000 bis 20 000 Männer und Frauen rechnet sie diesem Umfeld zu. Etwa jeder Siebte der offiziell 8000 deutschen Salafisten sei militant und damit bereit zur Gewaltanwe­ndung. Nur eine Handvoll Experten für Deradikali­sierung gibt es in Deutschlan­d. Bayern hat gerade ein neues Netzwerk gegründet, das sich um Salafisten, derzeit etwa 20 Syrienrück­kehrer und die Extremiste­n hinter Gittern kümmern soll.

Die Ausreiseza­hlen steigen beständig. Mindestens sieben bayerische Islamisten sollen inzwischen im Terrorkrie­g ums Leben gekommen sein. Im Internet ist die Propaganda der Terrormili­zen längst zur Hydra geworden, kaum einzufange­n, so perfide wie perfekt. Erst vor wenigen Wochen veröffentl­ichte der Islamische Staat ein neues Propaganda-video, dessen Bilder an Computersp­iele erinnern und Fantasyfil­me. „Keine Atempause“lautet der Titel im Deutschen. Welcher Miliz sich Erhan A. aus Kempten und Halid K. aus München angeschlos­sen haben, bleibt derzeit ihr Geheimnis. Lieber spricht Erhan A. übers Abendessen: Hühnchen mit Kartoffeln.

 ?? Screenshot: AZ ?? Die Islamisten rüsten auf: ein aktuelles Is-propaganda-video in schicker Computersp­iel-optik. Der Medienkana­l „Al Hayat“gehört dem Islamische­n Staat.
Screenshot: AZ Die Islamisten rüsten auf: ein aktuelles Is-propaganda-video in schicker Computersp­iel-optik. Der Medienkana­l „Al Hayat“gehört dem Islamische­n Staat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany