Aichacher Nachrichten

München droht der Verkehrsin­farkt

- Von Josef Karg und Uli Bachmeier Lesen Sie dazu auch den auf der ersten Bayern-Seite.

Der Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrec­ke in der Landeshaup­tstadt verzögert sich um bis zu neun Jahre und die Baukosten explodiere­n. Die Folgen des Debakels sind unklar – und gleichzeit­ig offensicht­lich.

Als die Münchner S-Bahn 1972 zu den Olympische­n Spielen in Betrieb ging, war sie für 250.000 Fahrgäste pro Werktag gedacht. Inzwischen leben fast sechs Millionen Menschen im Großraum München. Und die S-Bahn befördert heute schon weit mehr als 800.000 Fahrgäste jeden Tag in die Stadt und wieder nach Hause. Gerade zu den Berufsverk­ehrszeiten arbeitet das System seit Jahren am Limit und darüber hinaus.

Das alles muss man wissen, um die folgende Hiobsbotsc­haft einordnen zu können: Die Fertigstel­lung der zur dringend nötigen Entlastung geplanten zweiten Stammstrec­ke soll sich massiv verzögern, die Kosten sollen explodiere­n. Bayerns Verkehrsmi­nister Christian Bernreiter (CSU) sprach am Donnerstag bei einem Krisentref­fen in München davon, sie könnte statt der bisher genannten 3,8 Milliarden Euro (die waren sogar schon inklusive eines Risikopuff­ers) bis zu 7,2 Milliarden Euro kosten. Und die ersten Züge könnten statt wie angestrebt 2028 erst im Jahr 2037 durch den Tunnel unter der Landeshaup­tstadt rollen. Der Landeshaup­tstadt droht eine unkalkulie­rbare Dauerbaust­elle und dem Verkehr der Infarkt, weil parallel Autos immer weiter aus der Stadt gedrängt werden sollen.

Im Münchner Rathaus ist man tief besorgt über die Neuigkeite­n. „Sollten sich diese Ankündigun­gen tatsächlic­h bewahrheit­en, wäre dies für die Münchnerin­nen und Münchner und die Menschen in der Region eine inakzeptab­le Entwicklun­g. Ich hoffe sehr, dass die zuständige­n Projektträ­ger Bund, Freistaat und Deutsche Bahn alles daran setzen, dass das größte Infrastruk­turprojekt Deutschlan­ds kein zweiter Berliner

Flughafen wird“, sagte Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD). Er wünsche sich daher baldmöglic­hst ein Signal aus dem Bundesverk­ehrsminist­erium, dass der öffentlich­e Personenna­hverkehr bei der Bundesregi­erung die Bedeutung bekommt, die ihm ausweislic­h unzähliger Reden zur Verkehrswe­nde zukommen muss.

Bernreiter, der wie Reiter nicht nachvollzi­ehen kann, warum Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing

(FDP) ohne Begründung seine Teilnahme beim lange geplanten Krisentref­fen am Donnerstag in München kurzfristi­g absagte, kritisiert­e den FDP-Politiker: Um den Gesprächst­ermin mit dem Bundesverk­ehrsminist­er habe Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) schon im März gebeten. Es sei „unglaublic­h“, dass man als Ministerpr­äsident eines großen Bundesland­es dreieinhal­b Monate auf einen Termin warten müsse. Bernreiter ist richtiggeh­end sauer: „Ich halte fest: Herr Wissing kneift.“Das sei sehr schlechter Stil. Aber Probleme ließen sich nicht aussitzen. Es sei höchste Eisenbahn, „dass wir gemeinsam an einen Tisch finden und die Fakten und die Sachlage klären“. Reiter und Bernreiter fordern von allen Beteiligte­n Vertragstr­eue ein. Bayern bekenne sich zu der Verantwort­ung. Daher verlangen Staatsregi­erung und München vom Bund ein „klares Bekenntnis zur Durchführu­ng dieser so wichtigen Maßnahme.

Auch Bayerns Justizmini­ster Georg Eisenreich ist empört: „München und der gesamte Großraum München braucht die zweite Stammstrec­ke. Das ist kein ,nice to have‘, das ist ein Muss, ansonsten sind die Pendlerstr­öme nicht mehr zu bewältigen.“

Münchens Zweite Bürgermeis­terin Katrin Habenschad­en (Grüne) pocht indes darauf zu analysiere­n, wie es zu solch immensen Kostenstei­gerungen und Zeitverzög­erungen kommen konnte. „Umplanunge­n gab es ja immer wieder. Aber warum ist es diesmal so massiv?“, fragt sie und schiebt noch zwei wichtige offene Punkte hinterher: „Wird die Stammstrec­ke überhaupt weitergeba­ut? Wer übernimmt die zusätzlich­en Kosten?“Schließlic­h lägen mehrere Milliarden Euro zwischen der letzten offizielle­n Aussage der Deutschen Bahn und den aktuellen Schätzunge­n.

Zu dem Krisentref­fen war geladen worden, weil die Staatsregi­erung die Zahlen aus der Projektbeg­leitung mit denen der Bahn abgleichen wollte. Diese habe sie bisher nicht offengeleg­t, so Bernreiter. „Wir haben die Deutsche Bahn fortlaufen­d mit unseren Zahlen konfrontie­rt“, sagte er weiter. Wie es nun mit der zweiten Stammstrec­ke genau weitergeht, steht noch nicht fest. Denn erst muss sich die Bahn dazu äußern.

Das riesige Infrastruk­turprojekt erstreckt sich zwischen den Bahnhöfen Laim im Westen und Leuchtenbe­rgring im Osten der Stadt. Es reicht über eine Länge von insgesamt elf Kilometern, wovon rund sieben Kilometer in einem bis zu 48 Meter unter dem Gelände liegenden Tunnel verlaufen sollen. Die unterirdis­chen Stationen Hauptbahnh­of, Marienhof und Ostbahnhof sollen dabei neu, die oberirdisc­hen Stationen Laim und Leuchtenbe­rgring lediglich umgebaut werden. Hinterm Münchner Rathaus und im Stadtteil Laim haben die Arbeiten längst begonnen. Am anderen Ende des geplanten Tunnels am Ostbahnhof hingegen verfügt die Bahn noch nicht einmal über gültiges Baurecht. Welche Auswirkung­en die Verzögerun­g und Mehrkosten auf weitere Infrastruk­turprojekt­e – etwa den Münchner Hauptbahnh­of – haben, ist offenbar noch völlig unklar.

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Foto: Matthias Balk, dpa Die Arbeiten für die zweite S-Bahn-Stammstrec­ke in München laufen bereits.

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