Ein ganz neuer Blick aus dem Büro
Das Büro ans Meer verlegen? Dafür bieten Unternehmen inzwischen Unterkünfte an. Arbeitnehmer berichten, warum sie ihren Laptop zeitweise in Lissabon aufgeschlagen haben.
Augsburg In einer YouGov-Studie im Auftrag des Technologieunternehmens Slack gab fast die Hälfte aller befragten Büroarbeiter an, für einige Zeit von einem Urlaubsort arbeiten zu wollen. Umgesetzt haben es nur sieben Prozent der Befragten. „Workation ist als Kombination der englischen Begriffe für Arbeit („Work“) und Urlaub („Vacation“) erst einmal die Hybridversion eines Urlaubsaufenthalts oder einer kürzeren oder längeren Reise, die zusätzlich Arbeitsphasen beinhaltet“, erklärt Simon Werther, Professor für Leadership an der Fakultät für Tourismus der Hochschule München.
Der Reisekonzern Tui hat eigene Workation-Angebote im Portfolio. Das Start-up Bleisured bietet seit Januar in Lissabon zwölf Apartments für Menschen an, die ihren Arbeitsplatz für ein, zwei Monate ins Ausland verlegen wollen und können. Sie wohnen allein oder in einer WG mit Gleichgesinnten, dazu bietet Bleisured GruppenEvents wie Segeltrips an.
Simon Link ist einer der Gründer des Unternehmens. Der 23-Jährige, der ursprünglich aus dem Raum Wertingen kommt und seinen Bachelor an der Universität Augsburg abschloss, ist überzeugt von der portugiesischen Metropole: Er selbst absolvierte dort seinen Master – und blieb. Für das Arbeiten von dort spreche die hohe Lebensqualität, die hohe Internetgeschwindigkeit. Und, dass die Einheimischen gut Englisch sprächen. Er selbst reist für eine Workation auch schon mal auf die Kanarischen Inseln. Seiner Erfahrung nach spreche viel für Europa als Workation-Ziel: Steuern, Sozialversicherung, Zeitverschiebung, das alles sei damit einfacher.
Noch näher liegt das Workation-Retreat „Coconat“im brandenburgischen Bad Belzig. Mitgründerin Julianne Becker beherbergt dort in 20 Mehrbettzimmern Einzelpersonen und Gruppen für, wie die Website sagt, „konzentrierte Arbeit auf dem Land“. Für sie ist Workation „eine produktivere und gesündere Art von Arbeit: Wir strukturieren den Tag mit den Essenszeiten, es gibt Pausen.“75 Prozent der Nutzer kämen aus Berlin. 25 Prozent aus anderen Orten in Deutschland oder dem Ausland. Mit dem Raum in Deutschland wollten sie nachhaltiges Reisen unterstützen, sagt sie: „Man muss nicht nach Bali fliegen, sondern kann einfach den Zug nehmen.“Die Gäste seien im Durchschnitt 35
Jahre alt und kämen aus allen Branchen: Große Unternehmen und Start-ups seien genauso vertreten wie Freelancer oder Studenten, die an ihrer Masterarbeit feilen.
„Das Konzept ist nicht neu, doch hat es in den letzten Jahren durch den zunehmenden Fokus auf örtlich und zeitlich flexibler Arbeit immer mehr Aufmerksamkeit bekommen. Digitale Nomadinnen und Nomaden haben sich inzwischen umfangreich in Netzwerken und Communitys verbunden, sodass Erfahrungswerte zu den besten Orten für Workation ausgetauscht werden“, erklärt Werther. „Beliebt sind beispielsweise Orte in Ländern mit stabiler und zuverlässiger Infrastruktur, einem hohen Sicherheitsstandard und geringen Lebenshaltungskosten“, von Chiang Mai in Thailand bis zu den Kanarischen Inseln.
Jonas Finkele aus Krumbach hatte sein Büro für zwei Wochen auf den Azoren aufgeschlagen und plant eine Workation in Südostasien für Ende des Jahres. Mit Bleisured war er für einen Monat im Frühling dieses Jahres in Lissabon. „Ich war nach dem Abi schon viel
Reisen und während des Studiums im Auslandssemester und fand das immer toll, dass man sagt, man muss jetzt nicht gleich auswandern, man kann auch für kürzere Zeiträume an andere Orte kommen.“
In seinem aktuellen Job als Entrepreneur in Residence hilft der 25-Jährige zum Beispiel dem Startup CleanHub bei Finanzierungsthemen. Dabei könne er komplett frei und ortsunabhängig arbeiten. „Ich nutze die Wochenenden und kann dann viel mehr von einem Ort mitnehmen, als wenn ich nur für kurze Zeit dort bin“, ist sich Finkele sicher.
Er selbst habe schon beim ersten Gespräch vor der Anstellung gefragt, wie örtlich flexibel er arbeiten könne. Die Reaktion, erinnert sich Finkele, war sehr offen. Sein Vorteil: Er arbeite in einer Remote-First-Company. Jedem sei freigestellt, ins Büro zu gehen, und die Teammitglieder seien in ganz Europa verstreut, alle Meetings finden online statt.
Jannika Mock aus München verbrachte den Februar dieses Jahr ebenfalls in Lissabon: „Das war eine super Möglichkeit, weil ich damals nach meinem Master in einem deutschen MedTech-Unternehmen gearbeitet habe. Gerade im Februar ist es so grau in Deutschland, und ich wollte auch mal raus.“Ihr war wichtig, dass ihre Mitbewohner auf Zeit auch arbeiteten und der Arbeitsplatz passte. Aber auch die Freizeit: „Ich kann abends rausgehen. In Lissabon
ist es ja doch immer wärmer. Das war ziemlich perfekt für mich, weil man ganz normal verdient hat, und trotzdem noch einen Urlaub verbringen kann.“
Bei Mock, die als Product Owner arbeitet, habe es vonseiten des Unternehmens nur die Bedingung gegeben, aus rechtlichen und Versicherungsgründen innerhalb Europas zu bleiben, sonst sei großes Vertrauen da: Wenn die Arbeit gemacht werde, gebe es kein Problem. „Die Entwickler, mit denen ich zusammenarbeite, sitzen eh überall in der Welt: in Indien, Polen, auch in Portugal. Das ist von vornherein remote.“Also Arbeiten von einem beliebigen Ort aus. Die 25-Jährige räumt ein, dass es nicht für alle Berufe so einfach sei, zum Beispiel für die Sekretärin im Team.
Es gibt Dinge, die Neulinge bei ihrer Workation vielleicht nicht bedenken: Finkele hatte zum Beispiel Schwierigkeiten, für nur einige Monate eine passende Unterkunft in Indonesien zu finden: „Entweder nur ein teures Airbnb oder lokale Anbieter für Wohnungen, die normalerweise viel längere Mietzeiträume haben.“Auch einen vorhandenen und schnellen Internetzugang sowie einen anständigen Schreibtisch braucht man.
Werther betont: Einmal muss man sich als Person abgrenzen können, sich auch Ruhephasen gönnen. Darüber hinaus müsse die Arbeit im Ausland flexibel ausführbar sein, rechtlich erlaubt und bei Angestellten vom Arbeitgeber genehmigt sein. „Auch hohe Anforderungen an Datenschutz können hier ein einschränkender Faktor sein.“
Mock hatte Bedenken wegen der Motivation. „Ich war es aber gewohnt, remote, also von einem beliebigen Ort aus zu arbeiten, wegen Corona. Deshalb wusste ich, dass es laufen muss.“Ein weiterer Vorteil: Ihre drei Mitbewohner aus Deutschland und Großbritannien waren in genau der gleichen Situation. „Und ich konnte mich gut konzentrieren, weil ich wusste, abends will ich Lissabon sehen, etwas erleben.“Aber kommt man dann überhaupt mit Einheimischen in Kontakt? Finkele sagt: „Man muss schon ehrlicherweise zugeben, dass man viele internationale Leute trifft. Ich hatte aber im Café um die Ecke mit Einheimischen gequatscht und die auch öfter getroffen.“Die Erfahrung sei aber anders als bei Work and Travel oder einer Reise: „Die Orte, an denen ich mich aufgehalten habe, waren tendenziell einheimischer als die, die man als Tourist findet.“
Nehmen die Workation-Unterkünfte dann nicht den Lissabonnern Wohnraum weg? Link sagt: „Was wir anbieten, ist zwischen der Langzeitvermietung und Airbnb. Das ist auch sozial nachhaltiger: Die Leute wollen hier nicht nur Urlaub machen, die haben hier ihren Alltag. Untertags arbeiten sie, abends gehen sie zum Essen raus. Sie wollen sich auch sozial integrieren.“
Links Zielgruppe sind „Young Professionals“zwischen 25 und 35 Jahren. Mock sagt: „Es ist auch meine Generation, die gerade einfordert, remote und auch im Ausland zu arbeiten.“Trotzdem würde sie Menschen jeden Alters eine Workation empfehlen. Werther zufolge könne Workation in der Breite der arbeitenden Bevölkerung ankommen, wenn der Beruf dafür geeignet sei, aber kurz- und mittelfristig. Und abhängig von der Lebensphase. „Gerade diese Bandbreite an Angeboten, New Work aktiv zu leben und für mich individuell zu gestalten, das wird die Zukunft der Arbeit ausmachen. Doch Workation ist dabei nur eines von vielen Angeboten.“
Digitale Nomadinnen und Nomaden haben sich inzwischen sehr gut vernetzt.
Oft sitzen die Entwickler ohnehin überall in der Welt. Da ist die Arbeit von vornherein remote.