So könnte das Büro der Zukunft aussehen
Die Pandemie gilt als Beschleuniger der Digitalisierung. Während sich viele mit einem hybriden Modell aus Heimarbeit und Bürozeiten anfreunden, fragen sich Forscher, wie ein zeitgemäßer Arbeitsplatz zu gestalten wäre
Augsburg Das Büro der Zukunft ist am Stuttgarter Fraunhofer IAO bereits Gegenwart. Kein Wunder, schließlich steht das Akronym des Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation – und der Arbeitsplatz der Forscher ist gleichzeitig ihr Experimentierraum. In diesem Labor gibt es akustisch abgetrennte Bürozellen für Still- und Einzelarbeit, offener gestaltete Arbeitsbereiche ermöglichen Austausch für Teamwork. Feste Sitzplätze gibt es hingegen nicht, denn die Mitarbeitenden können je nach Tagesaufgabe entscheiden, wo sie arbeiten wollen.
Carina Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut, selbst gerade im Homeoffice und erklärt, wie das funktioniert: Jeder und jede habe ein persönliches Set aus Tastatur, Maus und mobilem Endgerät. Im Workspace Innovation Lab, wie der Mix aus offenen und geschlossenen Büroflächen offiziell heißt, forscht Müller mit ihren Kolleginnen und Kollegen zu den neuen Herausforderungen der Arbeitswelt. Die Pandemie und ihre Auswirkungen auf Beruf und Leben haben die Digitalisierung in Deutschland enorm beschleunigt, das steht für die Wissenschaftlerin fest. Die Büroarbeit sei flexibler und dynamischer geworden.
In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt: Homeoffice kann und musste funktionieren. Jetzt arbeitet nur noch gut ein Viertel der Beschäftigten zumindest zeitweise zu Hause, schätzt das ifo Institut. „Die
Menschen suchen wieder häufiger den persönlichen Kontakt im Büro“, sagt Jean-Victor Alipour, Experte für Homeoffice beim ifo Institut. Die Quote war bereits vor der Abschaffung der HomeofficePflicht Ende Juni gefallen. „Wir erwarten, dass sich in Zukunft vor allem hybride Arbeitsmodelle durchsetzen werden“, sagt Alipour.
Von den neuen Erfahrungen geprägt, können sich viele Menschen auch in Zukunft vorstellen, von zu Hause aus zu arbeiten. Bei einer YouGov-Umfrage haben 71 Prozent der Befragten den Wunsch geäußert, auch in Zukunft im Homeoffice
arbeiten zu können. Ständig zu Hause arbeiten möchte ein gutes Viertel, 45 Prozent wollen das Homeoffice und den Arbeitsplatz im Büro mehrmals in der Woche wechseln. Eine Studie der FOM Hochschule kommt zu dem Ergebnis, dass im Schnitt ein Homeoffice-Anteil von rund 35 Prozent oder 1,75 Tagen pro Woche von vielen als erstrebenswert betrachtet wird. Dass eine Mischung aus Präsenz und Homeoffice die Arbeitswelt von morgen prägt, davon geht auch die gewerkschaftsnahe Hans-BöcklerStiftung in Forschungsergebnissen aus. Hybrides Arbeiten wird somit von der Ausnahme zum „New Normal“, zur neuen Normalität.
Auch die Hierarchien werden flacher, ein repräsentatives Einzelbüro habe als Statussymbol ausgedient, erklärt Wissenschaftlerin Müller. Aus kargen Großraumbüros sollen multifunktionale Räume werden, die Kreativität und Teamarbeit fördern sollen. Die Mitarbeitenden des Fraunhofer Instituts beraten neben der Forschung auch Unternehmen, die die neuen Erkenntnisse selbst umsetzen wollen. Wie das Verhältnis von Präsenzarbeit zu Homeoffice sein soll, ist laut Müller abhängig von der Branche, dem Unternehmen und den Mitarbeitenden. Klassische Beratungsfirmen und ITDienstleister wären naturgemäß besonders affin für flexibles Arbeiten und agiles Arbeiten. „Diese Unternehmen haben sich in der Krise leichter getan als andere Branchen“, sagt Müller.
So bestätigt Tobias Wirth, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Fly-Tech aus Friedberg, er mache schon seit 2017 gute Erfahrungen mit hybriden Arbeitsmodellen in seiner Firma. Und in Gersthofen arbeiten die Dienstleister WOGRA AG, der Digital two GmbH und der SportBrain GmbH, die Firmen bei der Entwicklung individueller Systeme unterstützen, auf drei Stockwerken im Kuka-Tower eng zusammen. Man teilt sich auf 700 Quadratmetern Büros und Besprechungsräume genauso wie Sitzsäcke und eine Tischtennisplatte. Arbeit vom heimischen Computer oder von unterwegs sei selbstverständlich. Dass dieses Modell gut funktioniert, kann auch Andreas Fuchs bescheinigen. Er ist Teamleiter Social Media bei SportBrain und mit dem agilen
Arbeitsmodell zufrieden. „Ich kann die Arbeitsplätze, je nach Arbeitsanforderung, flexibel nutzen.“
Doch nicht nur Computerfirmen in Schwaben passen sich an an. Auch beim Weltbild Verlag in Augsburg wird mit dem Umzug in eine neue Zentrale zum Jahreswechsel die Kombination aus Homeoffice und Desk-Sharing, also freier Platzwahl im Büro, umgesetzt. Die meisten Mitarbeitenden befinden sich laut Weltbild im Homeoffice und kommen ein bis zwei Tage ins Büro. Damit hat das Unternehmen sehr gute Erfahrungen gemacht. „Durch das Homeoffice konnten wir an Effizienz zulegen. Unsere Mitarbeiter sparen sich Fahrtzeiten, Terminsachen werden pünktlich fertig“, sagt Weltbild-CEO, Christian Sailer. Eine neue Betriebsvereinbarung zu Homeoffice und mobilem Arbeiten gäbe es bei Weltbild bereits, die dieses Arbeiten auch nach der Pandemie ermögliche.
„Unternehmen müssen sich aber auch fragen: Was ist der Anreiz zu pendeln?“, betont Carina Müller, vom Fraunhofer IAO. Auch Behörden stellten sich diese Frage bereits vor der Pandemie. So entsteht unter anderem in Aichach ein Behördensatellit, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die täglichen Anfahrtsstrapazen nach München zu ersparen. Die Eröffnung des Standorts mit 20 vorgesehenen Arbeitsplätzen ist für Anfang des Jahres 2022 geplant. Aber braucht es überhaupt ein drittes Büro, wo sich das Homeoffice bereits bewährt hat? Vom Bayerischen Staatsministerium der
Finanzen und für Heimat heißt es auf Anfrage, dass sich die Arbeitswelt und die entsprechenden Bedarfe durch die Pandemie umfassend verändert hätten. Mit dem Betrieb des Bürosatelliten sollen zunächst Erfahrungen zur Nutzung gesammelt und dann ausgewertet werden.
Für Expertin Carina Müller sind diese dritten Arbeitsorte wie CoWorking-Spaces und Bürosatelliten vor allem für Personen nützlich, die
Das Einzelbüro hat als Statussymbol ausgedient
zu Hause nur schlecht arbeiten können und sich dadurch das Pendeln sparen. Ob Homeoffice, Bürosatellit oder Laptop am Strand: Das Kennenlernen und eine Einarbeitung vor Ort bleibe enorm wichtig.