Aichacher Nachrichten

Rena schenkt Familien Exklusivze­it

Was geschieht, wenn in Familien mit Kindern mit Behinderun­g oder einer schweren Erkrankung unbedingt Hilfe benötigt wird? Der Verein Dachskinde­r aus Meitingen bietet Entlastung. Vermittelt wird dort nur angestellt­es Fachperson­al

- VON STEFANIE BRAND

Aichach‰Friedberg/Meitingen Wenn Rena kommt, dann beginnt für eine Familie im Augsburger Land eine ganz besondere Zeit. Dann bekommen sie alle eine Portion „Exklusivze­it“. Rena ist gelernte Ergotherap­eutin und ist beim Verein Dachskinde­r angestellt, der auch Betroffene­n im Wittelsbac­her Land hilft. Der Verein, der in Meitingen gegründet wurde, unterstütz­t Familien mit Kindern mit Behinderun­g oder einer schweren Erkrankung.

Nur zweimal im Monat kann Rena für drei bis vier Stunden zu Besuch kommen. Das hat sich das Ehepaar, das gemeinsam einen 23-jährigen Sohn hat, der mehrfach schwerstbe­hindert ist, genau ausgerechn­et. Mehr Geld steht dem Ehepaar aus dem Pott der Verhinderu­ngspflege nicht zur Verfügung. Ist bei der häuslichen Pflege die private Pflegepers­on vorübergeh­end an der Pflege gehindert, übernimmt die Pflegevers­icherung die nachgewies­enen Kosten einer Ersatzpfle­ge – auch Verhinderu­ngspflege genannt – für längstens sechs Wochen je Kalenderja­hr.

Diese wenigen Stunden Ersatzpfle­ge sind für die Familie etwas Besonderes. Für den 23-Jährigen bedeutet es weit, mehr als fachmännis­ch versorgt zu sein. „Sie haben begonnen, gemeinsam zu filzen“, verrät die Mutter und freut sich darüber, ihren Sohn nicht nur gut versorgt zu wissen, sondern auch zu spüren, dass er sich sicher fühlt und Rena sich mit ihm beschäftig­t.

Nicht mit jeder Betreuungs­kraft hatte die Familie so viel Glück. Stattdesse­n berichten die Eltern von einer wahren Odyssee, die sie hinter sich gebracht hatten, bis sie den Tipp erhielten, sich beim Verein Dachskinde­r zu melden. Ebenso wie die Mutter jedes gesunden Kindes wünscht sich die Mutter des 23-Jährigen auch und vielleicht noch viel mehr, dass es ihrem Sohn gut geht.

Dieses Gutgehen beginnt mit einem fröhlichen Abschied von der Mutter – ohne dass ihr Sohn sich an sie klammert – und endet mit einem gesunden Sitz im Rollstuhl und einem Blick, einem Laut oder einer Bewegung, die sagt „wir sind gut ausgekomme­n“, wenn die Eltern zurückkehr­en. Nur wenn alles passt, können auch die Eltern die „Exklusivze­it“genießen.

Alleine oder mit ihrem Mann durch das Haus zu fegen, im Garten zu arbeiten, einzukaufe­n, bummeln zu gehen oder essen zu gehen – das alles genießen die Eltern dann zu wenn sie ihren Sohn in guter Obhut wissen. Zwar könnten sie den 23-Jährigen auch mitnehmen, aber das lange Sitzen im Rollstuhl, lange Autofahrte­n oder eine Umgebung, die nicht auf Rollstuhlf­ahrer eingestell­t ist, bringen ihm wenig Freude. Da bleibt er lieber zu Hause, geht mit Rena spazieren oder filzt.

Das Haptische und das Greifen ist etwas, das Rena und den jungen Mann eint und direkt von Anfang an eine Basis schuf, die für Vertrauen sorgte. Während der Schwerstkr­anke über das Berühren von Händen und Haaren Nähe aufbaut, um eine Person kennenzule­rnen, mag es auch Rena gerne, über eine Berühzweit, rung Kontakt zu ihm herzustell­en. „Rena hat das richtige Gespür und ist direkt auf unseren Sohn zugegangen“, erinnert sich die Mutter an den Sommer, in dem Rena erstmals mit Angela Jerabeck, der Gründerin des Dachskinde­r-Vereins, zu ihnen kam. „Dass sich jemand so viel Zeit nimmt, die Einarbeitu­ng begleitet und uns mit fachlichem Wissen unterstütz­t, habe ich noch nicht erlebt“, schwärmt die Mutter vom Engagement der Dachskinde­r. Nach einem ersten Besuch in der Familie machte sich Angela Jerabeck, die vierfache Mutter, die selbst im Kinderkran­kenpfleged­ienst aktiv war, auf die Suche nach einer Person, die zu der Familie passt. Alternativ­en für die Eltern von Kindern mit Behinderun­g oder einer schweren Erkrankung gebe es kaum, erklärt sie. Deswegen hat der Dachskinde­rVerein das erklärte Ziel, eine Kurzzeitpf­legeeinric­htung zu errichten. „Mit viel Glück ist der Baubeginn für das Haus Dachsbau im kommenden Jahr“, verrät Jerabeck vorausblic­kend.

Bis die Einrichtun­g steht, will der Verein die Entlastung­spflege und -betreuung vor Ort ausbauen. Dass die Dachskinde­r Fachkräfte in die Familien schicken, sorgt für eine gute Ausgangsba­sis. Die speziellen Bedürfniss­e der Kinder vermitteln die Eltern vor Ort. Um zu lernen, welche Bedürfniss­e der 23-Jährige hat und wie welche Laute und Gesten zu deuten sein könnten, kam Rena im Sommer öfter in die Familie. Seine Mutter zog sich in dieser Zeit zurück und blieb doch in greifbarer Nähe.

Heute, nach einigen Wochen, in denen Rena regelmäßig in die Familie kommt, ist das Vertrauen zueinander gewachsen. Und die Familie kann die Exklusivze­it, die die Dachskinde­r-Pflegekraf­t ihnen durch ihre Anwesenhei­t schenkt, mehr und mehr genießen.

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Symbolbild: Felix Zahn, dpa
Mitunter brauchen Familien mit Kindern mit Behinderun­g Entlastung: Der Verein Dachskinde­r aus Meitingen bietet Hilfe an. Symbolbild: Felix Zahn, dpa

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