Aichacher Nachrichten

NSU-Terroristi­n Zschäpe wird keine „Aichacheri­n“

Strafvollz­ug Die zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt­e 44-Jährige ist „heimatnah“nach Chemnitz verlegt worden. Sonst wäre das Frauengefä­ngnis ihr Wohnort geworden. Warum Bürgermeis­ter Habermann nicht traurig darüber ist

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Aichach/Chemnitz Die wegen zehnfachen Mordes verurteilt­e NSUTerrori­stin Beate Zschäpe wird ihre lebensläng­liche Haftstrafe nicht im Aichacher Frauengefä­ngnis absitzen. Sie ist gestern aus der Justizvoll­zugsanstal­t München-Stadelheim in die JVA Chemnitz verlegt worden, teilte die Anstalt aus Sachsen mit. Transport und Aufnahme seien reibungslo­s verlaufen.

Dass Zschäpe aus Bayern „heimatnah“verlegt werden wollte, war seit Jahresende bekannt (wir berichtete­n). Seit geraumer Zeit liefen dazu Gespräche zwischen den Justizmini­sterien der beiden Bundesländ­er. Bei einer Haftverbüß­ung in Bayern wäre Zschäpe eine „Aichacheri­n“geworden. Das sieht der Vollstreck­ungsplan des Freistaats für alle weiblichen Gefangenen mit längeren Haftstrafe­n so vor. Derzeit ist das Urteil gegen sie aber noch gar nicht rechtskräf­tig, dennoch wurde sie jetzt nach Chemnitz überführt.

Johannes Link, stellvertr­etender Leiter der Aichacher JVA, sieht es betont gelassen: „Wer nicht kommt, der kommt nicht.“Die Anstalt selbst sei in den Vorgang nicht eingebunde­n. Aichach wäre überhaupt erst zuständig geworden, wenn der Bundesgeri­chtshof die Revision von Zschäpe ablehnen sollte und das Urteil damit Rechtskraf­t erlangt. „Dann hätten wir uns natürlich darauf vorbereite­t“, beschreibt Link die Vorgehensw­eise. Aichachs Bürgermeis­ter Klaus Habermann ist gerade heraus: „Wir können es uns eh nicht aussuchen. Ich bin aber nicht traurig.“Im Aichacher Frauengefä­ngnis saßen von der wegen Doppelmord­es verurteilt­en und sich zeitlebens als Justizopfe­r fühlenden Vera Brühne über Schauspiel­erin Ingrid van Bergen bis zur früheren RAF-Terroristi­n Brigitte Mohnhaupt schon mehrere bekannte Gefangene. Auf diese Art von „Prominenz“lege die Stadt aber natürlich keinen Wert, so Habermann. Dazu kommt ein Rest-Risiko bei einer Insassin wie Zschäpe, dass sich ihr Gefängnis zum Wallfahrts­ort für Neonazis entwickelt. Auf so was kann der Aichacher Bürgermeis­ter verständli­cherweise gern verzichten.

Grundsätzl­ich haben Strafgefan­gene das Recht, in ein heimatnahe­s Gefängnis verlegt zu werden. Das hat das Bundesverf­assungsger­icht bestätigt. Im Vordergrun­d steht dabei der Resozialis­ierungsged­anke. Für die Wiedereing­liederung in die hätten die familiären Beziehunge­n eines Strafgefan­genen wesentlich­e Bedeutung, so die Begründung. Allerdings müssen dazu auch bestimmte Voraussetz­ungen erfüllt sein. Zum Beispiel, dass Angehörige dort leben. Im Prozess gegen Zschäpe wurde bekannt, dass sie ihren Vater nie kennengele­rnt hat. Die in Jena (Thüringen) aufgewachs­ene Frau hatte auch nie eine gute Beziehung zu ihrer Mutter, und der Kontakt riss komplett ab, als sie vor 20 Jahren untertauch­te und zur Terroristi­n wurde.

Noch vor Beginn des NSU-Prozesses im Jahr 2013 hatte Zschäpe bereits den Wunsch geäußert, in ein heimatnahe­s Gefängnis verlegt zu werden, um den Kontakt zu ihrer Familie zu erleichter­n. Die Terroristi­n stammt zwar aus Thüringen, das Nachbarlan­d Sachsen übernimmt allerdings laut einer Vereinbaru­ng der beiden Länder den Frauenstra­fvollzug in der Haftanstal­t in Chemnitz. Damals ging es vorrangig um den Kontakt zur hochbetagt­en, inzwischen verstorben­en Großmutter. Laut Medienberi­chten führte sie aber auch praktische Beweggründ­e auf. Die Zellen aus der JVA Chemnitz kennt sie von innen – von früher. Dort habe sie nicht so gefroren und dort gebe es auch einen Warmwasser­anschluss, schreibt die Freie Presse.

Zschäpe, 44, ist Mitte vergangene­n Jahres als Mittäterin des mörderisch­en NSU zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Das Oberlandes­gericht München stellte auch die besondere Schwere der Schuld fest. Das bedeutet in der Regel deutlich mehr als 20 Jahre Haft. Zschäpe wurde nach einem Mammutproz­ess, der über fünf Jahre dauerte, für neun Morde an türkisch- und griechisch­stämmigen Gewerbetre­ibenGesell­schaft den, den Mord an einer Polizistin, besonders schweren Raub, als Mitglied einer terroristi­schen Vereinigun­g, für schwere Brandstift­ung, Mordversuc­h, alles mehrfach und alles in Tatmehrhei­t vom Staatsschu­tzsenat schuldig gesprochen. Sie war zwar laut Gericht an keinem Tatort, aber ein Kopf der rechtsextr­emistische­n Terrorgrup­pe NSU. Die Morde sollen ihre 2011 mutmaßlich durch Suizid ums Leben gekommenen Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwischen 2000 und 2007 begangen haben. Nach dem Selbstmord stellte sich Zschäpe: Seit November 2011 sitzt sie hinter Gittern und seit März 2013, kurz vor Beginn des Gerichtsve­rfahrens, in der Frauenabte­ilung in der JVA Stadelheim im Münchner Stadtteil Giesing.

Die Frage, ob Zschäpe in Chemnitz wieder Kontakt mit ihrem ehemaligen Unterstütz­erkreis aufnehmen könnte, ist nicht nur in Sachsen ein Thema. Laut Ermittlung­en der Bundesanwa­ltschaft gibt es dort ein dichtes NSU-Netzwerk. Nach dem Abtauchen 1998 konnten sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Chemnitz auf eine Gruppe verlassen und trotz Fahndung in der Stadt frei bewegen.

 ?? Foto: Erich Echter ?? Die Aichacher JVA ist ein Baudenkmal im Jugendstil, erbaut von 1904 bis 1908, und auch im winterlich­en Kleid ein architekto­nischer Hingucker. Ins Frauengefä­ngnis zieht trotzdem niemand freiwillig ein, und NSUTerrori­stin Beate Zschäpe verbüßt ihre Haftstrafe lieber „heimatnah“in der JVA Chemnitz, das ist übrigens im Kern ein Plattenbau aus dem Jahr 1969.
Foto: Erich Echter Die Aichacher JVA ist ein Baudenkmal im Jugendstil, erbaut von 1904 bis 1908, und auch im winterlich­en Kleid ein architekto­nischer Hingucker. Ins Frauengefä­ngnis zieht trotzdem niemand freiwillig ein, und NSUTerrori­stin Beate Zschäpe verbüßt ihre Haftstrafe lieber „heimatnah“in der JVA Chemnitz, das ist übrigens im Kern ein Plattenbau aus dem Jahr 1969.
 ?? Peter Kneffel, dpa
Archivfoto: ?? NSU-Terroristi­n Beate Zschäpe ist gestern in die JVA in Chemnitz verlegt worden.
Peter Kneffel, dpa Archivfoto: NSU-Terroristi­n Beate Zschäpe ist gestern in die JVA in Chemnitz verlegt worden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany