NSU-Terroristin Zschäpe wird keine „Aichacherin“
Strafvollzug Die zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilte 44-Jährige ist „heimatnah“nach Chemnitz verlegt worden. Sonst wäre das Frauengefängnis ihr Wohnort geworden. Warum Bürgermeister Habermann nicht traurig darüber ist
Aichach/Chemnitz Die wegen zehnfachen Mordes verurteilte NSUTerroristin Beate Zschäpe wird ihre lebenslängliche Haftstrafe nicht im Aichacher Frauengefängnis absitzen. Sie ist gestern aus der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim in die JVA Chemnitz verlegt worden, teilte die Anstalt aus Sachsen mit. Transport und Aufnahme seien reibungslos verlaufen.
Dass Zschäpe aus Bayern „heimatnah“verlegt werden wollte, war seit Jahresende bekannt (wir berichteten). Seit geraumer Zeit liefen dazu Gespräche zwischen den Justizministerien der beiden Bundesländer. Bei einer Haftverbüßung in Bayern wäre Zschäpe eine „Aichacherin“geworden. Das sieht der Vollstreckungsplan des Freistaats für alle weiblichen Gefangenen mit längeren Haftstrafen so vor. Derzeit ist das Urteil gegen sie aber noch gar nicht rechtskräftig, dennoch wurde sie jetzt nach Chemnitz überführt.
Johannes Link, stellvertretender Leiter der Aichacher JVA, sieht es betont gelassen: „Wer nicht kommt, der kommt nicht.“Die Anstalt selbst sei in den Vorgang nicht eingebunden. Aichach wäre überhaupt erst zuständig geworden, wenn der Bundesgerichtshof die Revision von Zschäpe ablehnen sollte und das Urteil damit Rechtskraft erlangt. „Dann hätten wir uns natürlich darauf vorbereitet“, beschreibt Link die Vorgehensweise. Aichachs Bürgermeister Klaus Habermann ist gerade heraus: „Wir können es uns eh nicht aussuchen. Ich bin aber nicht traurig.“Im Aichacher Frauengefängnis saßen von der wegen Doppelmordes verurteilten und sich zeitlebens als Justizopfer fühlenden Vera Brühne über Schauspielerin Ingrid van Bergen bis zur früheren RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt schon mehrere bekannte Gefangene. Auf diese Art von „Prominenz“lege die Stadt aber natürlich keinen Wert, so Habermann. Dazu kommt ein Rest-Risiko bei einer Insassin wie Zschäpe, dass sich ihr Gefängnis zum Wallfahrtsort für Neonazis entwickelt. Auf so was kann der Aichacher Bürgermeister verständlicherweise gern verzichten.
Grundsätzlich haben Strafgefangene das Recht, in ein heimatnahes Gefängnis verlegt zu werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Im Vordergrund steht dabei der Resozialisierungsgedanke. Für die Wiedereingliederung in die hätten die familiären Beziehungen eines Strafgefangenen wesentliche Bedeutung, so die Begründung. Allerdings müssen dazu auch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Zum Beispiel, dass Angehörige dort leben. Im Prozess gegen Zschäpe wurde bekannt, dass sie ihren Vater nie kennengelernt hat. Die in Jena (Thüringen) aufgewachsene Frau hatte auch nie eine gute Beziehung zu ihrer Mutter, und der Kontakt riss komplett ab, als sie vor 20 Jahren untertauchte und zur Terroristin wurde.
Noch vor Beginn des NSU-Prozesses im Jahr 2013 hatte Zschäpe bereits den Wunsch geäußert, in ein heimatnahes Gefängnis verlegt zu werden, um den Kontakt zu ihrer Familie zu erleichtern. Die Terroristin stammt zwar aus Thüringen, das Nachbarland Sachsen übernimmt allerdings laut einer Vereinbarung der beiden Länder den Frauenstrafvollzug in der Haftanstalt in Chemnitz. Damals ging es vorrangig um den Kontakt zur hochbetagten, inzwischen verstorbenen Großmutter. Laut Medienberichten führte sie aber auch praktische Beweggründe auf. Die Zellen aus der JVA Chemnitz kennt sie von innen – von früher. Dort habe sie nicht so gefroren und dort gebe es auch einen Warmwasseranschluss, schreibt die Freie Presse.
Zschäpe, 44, ist Mitte vergangenen Jahres als Mittäterin des mörderischen NSU zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Oberlandesgericht München stellte auch die besondere Schwere der Schuld fest. Das bedeutet in der Regel deutlich mehr als 20 Jahre Haft. Zschäpe wurde nach einem Mammutprozess, der über fünf Jahre dauerte, für neun Morde an türkisch- und griechischstämmigen GewerbetreibenGesellschaft den, den Mord an einer Polizistin, besonders schweren Raub, als Mitglied einer terroristischen Vereinigung, für schwere Brandstiftung, Mordversuch, alles mehrfach und alles in Tatmehrheit vom Staatsschutzsenat schuldig gesprochen. Sie war zwar laut Gericht an keinem Tatort, aber ein Kopf der rechtsextremistischen Terrorgruppe NSU. Die Morde sollen ihre 2011 mutmaßlich durch Suizid ums Leben gekommenen Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwischen 2000 und 2007 begangen haben. Nach dem Selbstmord stellte sich Zschäpe: Seit November 2011 sitzt sie hinter Gittern und seit März 2013, kurz vor Beginn des Gerichtsverfahrens, in der Frauenabteilung in der JVA Stadelheim im Münchner Stadtteil Giesing.
Die Frage, ob Zschäpe in Chemnitz wieder Kontakt mit ihrem ehemaligen Unterstützerkreis aufnehmen könnte, ist nicht nur in Sachsen ein Thema. Laut Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gibt es dort ein dichtes NSU-Netzwerk. Nach dem Abtauchen 1998 konnten sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Chemnitz auf eine Gruppe verlassen und trotz Fahndung in der Stadt frei bewegen.