Auf dem Friedhof der ausgestorbenen Wörter
Sprache Duden-Verlag erinnert an Begriffe, die er ausgemustert hat. Etwa den Überschwupper, den Angstmann und die Kodaker
Berlin Sprache lebt. Wörter kommen in die Welt und sie vergehen auch wieder. Zum Totenmonat November lädt der Duden-Verlag zum Besuch auf dem Wortfriedhof ein: Im Buch „Was nicht mehr im Duden steht“erinnert Lektor Peter Graf an Wörter, die es quasi nicht mehr gibt.
Alle drei bis fünf Jahre wird das Rechtschreibewerk aktualisiert, erläutert Graf. Grundlage ist eine elektronische Textsammlung, der „Dudencorpus“, der mittlerweile mehr als 4,5 Milliarden Wortformen umfasst, geerntet aus literarischen Texten, Zeitungsartikeln bis hin zu Bastel- und Gebrauchsanleitungen. Ein riesiger Wortschatz, der ständig wächst. So enthielt der „Urduden“von 1880 gerade mal rund 27000 Einträge. 145000 Stichwörter verzeichnet die jüngste, 2017 erschienene Auflage des RechtschreibeDudens. Darunter 5000 neue Worte von Bierdusche bis Livestream. Doch immer wieder verschwinden auch Begriffe, weil sie in der Umgangssprache nicht mehr verwendet werden. Die „Sommerfrische“beispielsweise hat vom Duden längst den Stempel „veraltend“aufgedrückt bekommen. Das Ganze heißt heute Urlaub.
Manches verbannte Wort klingt für heutige Ohren nur noch altbacken. Der „Überschwupper“(Verdeutschung von „Pullover“) beispielsweise wurde schon 1941 aus dem Duden getilgt. Der „Schwitzer“(Verdeutschung von „Sweater“) verschwand erst in den 60er Jahren. Das „Zugemüse“(„Gemüsebeilage“) schaffte es immerhin bis zum Jahr 2000. Der „Nuditätenschnüffler“(1934 gestrichen) war eine Bezeichnung für Sittlichkeitswächter, die im prüden Kaiserreich die Museen, Parks und Bibliotheken durchkämmten, um alles Nackte und Anzügliche auszumerzen.
Wörter werden auch aussortiert, weil sie durch Konkurrenten verdrängt werden: Die „Hundswut“(gestrichen 1991) wurde von der „Tollwut“ersetzt, der „Angstmann“1961 gestrichen, weil der „Henker“sich durchsetzte. Der altertümliche „Mohammedanismus“überlebte noch bis 2013, seitdem gibt es nur noch den Islam. Seit 1929 gestrichen sind auch die „Kodaker“– jene Amateurfotografen und Paparazzi der ersten Stunde. 1888 hatte Kodak eine erste tragbare Kamera auf den Markt gebracht, mit der man Schnappschüsse auch außerhalb von Fotostudios machen konnte. Sie löste eine erste Debatte über die Privatsphäre aus, weil Groschenblätter solche Fotos gern veröffentlichten. Vor allem Frauen fühlten sich von „Kodakteufeln“verfolgt.
Weil Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg seine Kolonien verlor, verschwanden etwa auch Ortsnamen wie „Lüderitzland“(1947) oder abwertende Begriffe wie „Zulukaffer“(1934) aus dem Rechtschreibewerk. Bezeichnend dann, dass ab 1934 Nazi-Worte für kurze Zeit in den Duden Eingang fanden. Gestrichen wurden sie dann ab der 13. Auflage von 1947: Betroffen davon waren rund fünf Prozent aller Begriffe – darunter die „Blutfahne“und der „Volksschädling“. Weitere Streichungen folgten in späteren Auflagen – etwa „Rassenkampf“oder „Entvolkung“.
Auch die deutsche Teilung schlug sich im Rechtschreibewerk nieder: Mit der 14. Auflage – in der DDR 1951 und in der Bundesrepublik 1954 erschienen – begann die Teilung in einen West- und einen OstDuden. „Kollektiv“stand gegen „Team“und „Kaufhalle“gegen „Supermarkt“. Bereits 1991 lag wieder ein Einheitsduden vor. Nur wenige DDR-Spezifika schafften es nicht in das gemeinsame Werk, darunter „Thälmannpionier“und „Hausfrauenbrigade“.