Neue Akten, neue Fragen
Um die Ermordung von Präsident John F. Kennedy ranken sich noch immer unzählige Spekulationen. Was wusste Moskau wirklich?
Washington Wer war der Mann in New Orleans, der im November 1963 hundert Dollar auf die baldige Ermordung von Präsident John F. Kennedy wetten wollte? Was wusste der geheimnisvolle Anrufer, der sich 25 Minuten vor den tödlichen Schüssen auf den Präsidenten in Dallas bei einer britischen Provinzzeitung meldete und eine „große Nachricht“in den USA ankündigte? Warum traf sich Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald zwei Monate zuvor in Mexiko mit einem sowjetischen Experten für Attentate?
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kennedys Tod am 22. November 1963, einem sonnigen Freitag in Texas, sorgt der Mord für neue Fragen und neue Verschwörungstheorien. Einem Gesetz aus dem Jahr 1992 folgend, hat Präsident Donald Trump fast 3000 bisher geheimgehaltene Dokumente über den Kennedy-Mord auf der Internetseite des Nationalarchivs (www.archives.gov) veröffentlichen lassen.
Die New York Times verglich die Masse der Dokumente mit dem Fund verstaubter Schriftstücke in einer „Schatzkiste“auf einem Dachboden. Es gibt viel Langweiliges, aber auch viel Interessantes. Laut der regierungsamtlichen Version der Ereignisse war Oswald, ein 24-jähriger ehemaliger Scharfschütze der Marineinfanterie, ein Einzeltäter ohne Organisation im Rücken. Oswald selbst bestritt eine Verwicklung in den Mord, konnte aber weiter nichts zur Aufklärung beitragen, weil er zwei Tage nach dem Mord an Kennedy von dem Nachtclubbesitzer Jack Ruby erschossen wurde. In etlichen Theorien taucht auch Ruby als Teilnehmer eines Komplotts auf.
In den neuen Akten finden sich Hinweise darauf, dass auch die Sowjetunion befürchtete, mit dem Mord an Kennedy in Verbindung gebracht zu werden. Selbst mit einem US-Raketenangriff als Vergeltung wurde demnach in Moskau gerechnet.
Die Frage nach einer Verwicklung der Sowjets dürfte nun zu den Aspekten gehören, die neu aufs Tapet kommen. Unter den Dokumenten ist ein Bericht des Geheimdienstes CIA vom 23. November 1963. Darin ist von einem Gespräch Oswalds mit dem sowjetischen Konsul in Mexiko-Stadt, Walerij Wladimirowitsch Kostikow, im September die Rede. Kostikow wird als KGBAgent und Spezialist für Sabotage und Attentate beschrieben. Oswalds Reise nach Mexiko ist schon seit längerem Gegenstand heftiger Spekulationen.
Dasselbe gilt für die Verbindungen Oswalds zur rechtsradikalen Szene in New Orleans, wo das merkwürdige Wettangebot von einem Kneipenbesucher aufgeschnappt und dem Geheimdienst gemeldet wurde. Allerdings war der Informant zur fraglichen Zeit so betrunken, dass er den Mann, der auf Kennedys baldigen Tod wetten wollte, nicht identifizieren konnte. Selbst der Name der Kneipe wollte ihm nicht mehr einfallen.
Eine der merkwürdigsten Spuren, mit den sich die Ermittler in den Tagen nach dem Mord befassten, gehörte der Anruf bei der britischen Zeitung Cambridge News am Tag des Attentates. Bis heute weiß niemand, wer der Anrufer war – auch die derzeitigen Journalisten des Blattes erfuhren erst jetzt von der Angelegenheit. „Da fällt einem die Kinnlade runter“, sagte Anna Savva, eine Reporterin der Cambridge News am Freitag.
Solche Details werden dafür sorgen, dass der Mythos KennedyMord auch nach der neuen Veröffentlichung weiterleben wird.