Ein Bäcker sorgt für Transparenz
Rainer Scharold setzt mit seinem neuen Betrieb in Friedberg ein spezielles Konzept um. Die Kunden können verfolgen, wie was entsteht, was sie auf den Tellern haben. Das kommt gut an
Vorne sitzen die Gäste bei Kaffee, Rührei und Butterbreze – hinten kneten die Mitarbeiter den Teig und formen die Laibe. Nur durch eine Glasscheibe getrennt können die Gäste verfolgen, wie das entsteht, was sie auf ihrem Teller haben. Rainer Scharold verfolgt mit seiner Schaubackstube in Derching ein Konzept, das bislang in der Region eine Rarität ist. „Die Kunden sollen das Handwerkliche an unserem Beruf sehen“, sagt der Juniorchef des Friedberger Traditionsunternehmens.
In fünfter Generation betreibt die Familie Scharold die Bäckerei, die an der Bauernbräustraße mitten in der Friedberger Altstadt ihre Wurzeln hat. 1983 entstand eine neue Backstube an der Herrgottsruhstraße, die drei Jahrzehnte später aber ebenfalls zu klein geworden war. Denn die Branche ist wie kaum eine zur Expansion gezwungen. „Es ist schwierig, in der heutigen Zeit eine kleine Bäckerei zu haben“, weiß Rainer Scharold. Die romantische Vorstellung vom Bäckermeister, der mit seiner Frau und einem Lehrling den Laden schmeißt, hat mit der Realität schon lange nichts mehr zu tun. Der Kunde erwarte, dass man 361 Tage im Jahr geöffnet habe, sagt Scharold: „Dazu braucht man eine gewissen Größe.“In einem Umkreis von 20 Kilometern betreibt die Bäckerei Scharold inzwischen elf Filialen und beschäftigt dort rund 160 Mitarbeiter.
Eine zweite Produktionsstätte folgte durch den Zukauf der Sielenbacher Bäckerei Kusterer, doch die Arbeit an zwei Standorten erwies sich auf die Dauer als kontraproduktiv. Durch Zufall ergab sich die Möglichkeit, direkt an der Autobahnausfahrt Friedberg im Derchinger Gewerbegebiet ein 6000 Quadratmeter großes Grundstück kaufen. Und Rainer Scharold, der schon lange davon träumte, eine Bäckerei nach seinen Vorstellungen zu bauen, ergriff zusammen mit seinem Vater Richard die Chance. Denn neben einer hohen Kundenfrequenz bietet der neue Standort auch kurze Wege zu allen Filialen.
In Zusammenarbeit mit dem Friedberger Architekturbüro Fußner + Kühne entstand ein moderner Bau, der optimierte Arbeitsabläufe, ökologische Aspekte und gestaltescheren Anspruch unter einen Hut bringt. 800 Quadratmeter groß ist die Produktionsfläche unter dem hohen Pultdach. Und die Gäste im Café können live mitverfolgen, wie dort gearbeitet wird. Sie sehen, wie die Teige in großen Rührmaschinen geknetet und dann von Hand portioniert werden. Sie haben freien Blick auf große Schränke mit Namen wie Dubai, Havanna, Arosa oder Novosibirsk, hinter denen sich Öfen (heißer Ort), Kühlungen (kalandere ter Ort) oder Tiefkühlkammern (eisiger Ort) verbergen. Auch das hat sich Rainer Scharold selbst ausgedacht. „Das ist leichter, als dem Mitarbeiter zu sagen: Geh zum Ofen hinten links“, sagt der 38-Jährige.
Die Schaubackstube zwingt auch zu einem hohen Maß an Ordnung und Sauberkeit. Da nehmen die Mitarbeiter durchaus einmal öfter den Besen in die Hand, als es die Abläufe eigentlich erfordern. Mehl oder Reste anderer Backzutaten auf dem Boden werden rasch beseitigt. Eine vertrauensbildende Maßnahme in Zeiten, in denen wieder Berichte über hygienische Mängel in Bäckereien zu lesen sind.
Im April ist die Backstube von der Friedberger Herrgottsruhstraße ins Gewerbegebiet Derching umgezogen. Inzwischen hat sich alles eingespielt, und das Café mit 80 Plätzen innen und 30 außen hat sich zum wichtigsten Einzelstandort des Unternehmens entwickelt. Wochenzu tags ist dort von 6 bis 19 Uhr geöffnet, am Wochenende bis 17 Uhr. Die 65 Parkplätze sind zur Frühstücksund Mittagszeit gut belegt, vor allem von Autos mit einheimischen Kennzeichen. Auch die 800 Menschen, die in den umliegenden Betrieben arbeiten, nutzen die Schaubackstube, um Hunger und Durst zu stillen.
Reisende verschlägt es dagegen eher zum benachbarten Schnellimbiss, dessen bekanntes Logo schon von der Autobahn aus zu sehen ist. Rainer Scharold sucht darum noch nach Möglichkeiten, besser auf sich aufmerksam zu machen. Eine überdimensionale Breze soll schon bald auswärtige Gäste auf die Bäckerei aufmerksam machen, und auch eine Schnellladestation für Elektrofahrzeuge ist in Planung. Während einer halbstündigen Pause mit Kaffee und Gebäck wird nicht nur der Magen, sondern auch der Akku des Autos zu 80 Prozent gefüllt.