Hilfe am Limit
Spenden Im Libanon hausen hunderttausende Flüchtlinge in Lagern entlang der syrischen Grenze. Ihre Situation ist erbärmlich. Es fehlt an Nahrung und an brauchbarem Wohnraum. Die Caritas Augsburg bemüht sich, die Menschen zu versorgen – und ist doch hilflo
An der letzten Station droht die Stimmung zu kippen. „Wir müssen weg“, flüstert Ramzi. Die Caritas-Helfer steigen schnell in ihr Auto, der Fahrer gibt Gas. Auch der kleine Lastwagen, zu einem Drittel noch voll mit Lebensmittel-Spenden aus der Diözese Augsburg, wendet und braust davon. Zurück bleiben mehrere Dutzend syrische Flüchtlinge. In bunte Gewänder gehüllte Frauen, Kinder in ausgelatschten Plastiksandalen, Männer, die zuvor lautstark Kommandos gegeben hatten.
Es ist eine ärmliche Straße in der libanesischen Stadt Zahle. Vor einer ehemaligen Hühnerfarm, die als Wohnhaus vermietet ist, hatten die Flüchtlinge auf ihre Essens-Rationen gewartet. Hatten zugeschaut, wie andere Familien aufgerufen wurden und der Reihe nach Reis, Bulgur, Milchpulver und Öl in Empfang nahmen. Doch etwas ist schiefgelaufen bei der Vorbereitung. Die Grundnahrungsmittel reichen nicht für alle. Bevor die Wartenden das merken, wird die Verteilung abgebrochen. Wie schnell Dankbarkeit in Aggression umschlagen kann, wenn die einen etwas bekommen, die anderen nicht, hat Ramzi Abu Zaid oft erlebt. Der 33-Jährige ist Koordinator eines regionalen Migrations-Zentrums der Caritas, eine halbe Stunde von der syrischen Grenze entfernt. Sicherheitshalber zieht er sich mit seinen Leuten an diesem Tag zurück.
Flüchtlingshilfe im Libanon ist kein leichtes Unterfangen. Zu oft sind die Helfer selbst hilflos, weil nicht genug da ist. Zu viele wollen versorgt sein, das sechste Jahr nun schon. Und zu angespannt ist das Verhältnis der Libanesen zu den Syrern. Noch bis 2005 war der Libanon von Syrien besetzt, nach dem Bürgerkrieg, der zwischen 1975 und 1990 das Land verwüstete. Das Trauma wirkt nach. „Geheimdienstleute, die uns damals drangsalierten, sind jetzt als Flüchtlinge hier“, sagt Ramzi. Der große, ernste Mann verzieht keine Miene: „Es ist schwer für uns. Aber als Christen sind wir dazu verdammt, zu helfen.“
An die zwei Millionen Menschen aus Syrien haben sich Schätzungen zufolge im benachbarten Libanon in Sicherheit gebracht, ein Großteil lebt in wild entstandenen Lagern oder zum Teil abbruchreifen Häusern. Offiziell registriert sind in dem Land mit vier Millionen Einwohnern 1,2 Millionen Flüchtlinge. 2015 schloss der Libanon die Grenzen. Trotzdem kamen über die Berge immer noch Flüchtlinge. „Etwa eine Million allein in der BekaaEbene“, erklärt Ramzi und deutet auf eine Karte in seinem Büro. Das fruchtbare Hochland liegt so nahe an Syrien und einem der IS-Stützpunkte, dass das Auswärtige Amt in Berlin vor Reisen in bestimmte Gebiete ausdrücklich warnt, auch in das antike Baalbek. Es bestehe die Gefahr von Entführungen. Dennoch arbeiten in dem Gebiet 20 internationale und 45 lokale Nichtregierungsorganisationen. Ihre wichtigste Aufgabe: die Menschen mit Essen versorgen. Die Caritas bemüht sich, mit ausländischen Spenden 140000 Flüchtlinge zu ernähren.
Die Ärmsten hausen verstreut in kleinen Camps, einzelnen Hütten und Verschlägen am Rande von Wein- und Gemüsefeldern und in Gewerbegebieten. Holzpaletten, bespannt mit Werbeplakaten, bieten oft nur notdürftig Schutz. Container, in denen vor dem syrischen Bürgerkrieg Saisonarbeiter wohnten, sind zu Dauerbehausungen für Familien geworden, auch im Winter. Noch im Mai liegt Schnee auf den Höhen des Anti-Libanon-Gebirges, das das Land von Syrien trennt. Nur wer es sich leisten kann, weil er als Land- oder Bauarbeiter etwas verdient, findet in einer Wohnung Unterschlupf. Ein Zimmer, in dem sechs bis acht Personen leben, knapp 100 Euro im Monat – in einem der besseren Häuser, die der Lastwagen mit den Spenden aus Augsburg an diesem Tag ansteuert.
Alle Familien, die etwas bekommen, stehen auf einer Liste. Sie warten schon, die Frauen halten ihre Pässe und die Registrierung des UNFlüchtlingshilfswerks in den Händen. Die Verteilung läuft generalstabsmäßig ab. Sozialarbeiterin Mireille hakt die Namen auf ihrer Liste ab, vergewissert sich, dass die Identität stimmt, notiert Handynummern, lässt unterschreiben. Erst dann dürfen die Säcke und Kanister weggeschleppt werden. Mit ihren wallenden schwarzen Locken, engen Jeans und nackten Armen verkörpert die junge Frau westliche, im libanesischen Straßenbild nicht ungewöhnliche Kleidersitten. Die Syrerinnen hingegen sind muslimisch verhüllt. Kein Härchen schaut unter ihren Kopftüchern hervor. Was sie eint, ist die arabische Sprache.
Der Umgangston ist freundlich in dem Haus, das der Lastwagen angesteuert hat, freundlicher als bei vielen anderen Ablade-Stationen. Das Oberhaupt der 16 in dem Gebäude wohnenden Familien bringt eine große Flasche Limonade für die Gäste. Er hat gleich erkannt, wer die wichtigste Rolle spielt und bedient zuerst den Mann aus Deutschland: Wolfgang Friedel, 57, Leiter des Referats Migration und Auslandshilfe beim Caritasverband für die Diözese Augsburg. Überall, wo er hinkommt, fällt er auf mit seiner großen und fülligen Statur – und den Taschen voller Gummibärchen.
Friedel ist mehrmals im Jahr mit Spendengeld im Libanon. Das sei ein Beitrag, dass nicht zu viele Flüchtlinge nach Europa kommen, sagt er. Und er will die Christen stärken. Ihr Anteil an der multikulturellen Bevölkerung im Libanon ist von einst über 50 auf unter 40 Prozent gesunken, trotz der vielen Kirkostet chen und Heiligenfiguren an Hauseingängen und auf Felsen an der Straße. Friedel ist stets mit Bargeld unterwegs. Er weiß, wo er es ohne hohe Gebühren in US-Dollars umtauscht, er kennt die Großhändler in Zahle, mit denen er die besten Preise für Lebensmittel aushandelt. Und er lässt sich Zeit beim Feilschen. Ein halber Tag ist schnell vorbei.
El Masri heißt der Händler, bei dem er schließlich kauft, ein Patriarch, der hinter einem wuchtigen, mit Zetteln überladenen Schreibtisch residiert, ständig das Telefon am Ohr, Ungeduld in der Stimme. Er ist der Günstigste. Mindestens 120 Familien sollten einen Monat lang versorgt werden. Am Ende reichen die 14000 Dollar, die Friedel dabei hat, für 150. Jede bekommt einen Sack Reis, einen Sack Bulgur, Milchpulver, Sonnenblumenöl, Zucker, Salz, Tee, ein paar Gläser Tomaten, Spaghetti und Datteln.
Das Caritas-Team vor Ort muss akzeptieren, dass sich Friedel um jedes Detail kümmert. Andere Geldgeber aus Polen, Österreich und Italien kommen auch zu Besuch, verhandeln aber nicht alles selbst. Friedel sagt: „Kein Euro Spendengeld soll verloren gehen.“Vor Jahren habe es an der Spitze der libanesischen Caritas einen Korruptionsfall gegeben. Die betreffenden Personen seien zwar nicht mehr im Amt, doch er bleibe vorsichtig.
Für Misstrauen hat Ramzi Verständnis. Er selbst ist skeptisch gegenüber den Geschichten, die er von den Flüchtlingen hört. Sie kommen aus Idlib, Rakka, Homs – aus syrischen Städten, mit denen Schreckensnachrichten verbunden sind. Was für ihn zählt, ist nur die konkrete Not der Menschen. Und selbst da hat er manchmal Zweifel.
In einem kleinen, schäbigen Lager, unmittelbar an einem Hang des Anti-Libanon-Gebirges, auf dessen Kuppe die Grenze verläuft, macht eine rot gekleidete Frau auf sich aufmerksam. Sie bittet die Besucher, ihre Behausung anzuschauen und geht mit ihrem schreienden, geistigbehinderten Sohn an der Hand und der kleinen Tochter zu einer zugigen Wellblechhütte. 100 Dollar im Monat müsse sie dafür zahlen, klagt sie, nachts kämen die Ratten. Ihr Mann habe keinen Job und die zwei älteren Kinder müssten drei Stunden zur Schule laufen. Caritas-Assistent Christian, 33, übersetzt die Klage auf Englisch, wird aber von einem arabisch schimpfenden Mann unterbrochen, dem Eigentümer der Hütte. Er sagt, die Familie müsse morgen gehen, weil sie nicht zahle. Er brauche das Geld für die Ausbildung seiner Kinder. Christian übersetzt, die Frau schaut die Besucher flehend an. Ob der Rauswurf echt ist oder inszeniert, um Geld herauszuschlagen, ist unklar, der Abschied beklemmend still. Christian ist erschüttert, Ramzi zuckt nur mit den Schultern. „Manche lügen“, sagt er.
Ramzi hat genug damit zu tun, die Lebensmittel-Verteilung abzuwickeln. In einem der etwas größeren Lager sind 25 Familien zu beliefern. 60 andere hatte dort tags zuvor das UN-Flüchtlingshilfswerk versorgt. Hier reiht sich Zelt an Zelt, dazwischen Gräben mit schmutzigem Wasser, in dem Abfall schwimmt. Überall sind Kinder jeden Alters. „In diesem Lager geht keines der Kinder in die Schule“, sagt Ramzi. Er kann nichts für sie tun, seine Mittel sind beschränkt.
Am Ende eines anstrengenden Tages dann die drohende Eskalation in der ärmlichen Straße. Erschöpft kommt das Caritas-Team an der Geschäftsstelle in Zahle an. 24 Rationen hatten gefehlt, um alle Familien in der ehemaligen Hühnerfarm zu beliefern, weil der „Schuwisch“, das Oberhaupt des Hauses, eine falsche Zahl gemeldet hatte. Wolfgang Friedel hat noch Geld übrig. Um des Friedens willen sollen die fehlenden Rationen zu je 91,43 US-Dollar nachgekauft werden. Ramzi nimmt den Auftrag ungerührt an.
Das Essen reicht nicht. Die Helfer müssen weg Mit dem Geld sollen 120 Familien ernährt werden