„Habeck verschweigt die Härte der kommenden Energiekrise“
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt über steigende Gaspreise, benachteiligte Rentner und einen Bypass für die Bundeswehr
- Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland sollen bis Ende des Jahres abgeschaltet werden. Aus Sicht von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ist das angesichts der drohenden Energiekrise ein „gravierender Fehler“. Im Interview wirft der oberste Vertreter der CSU in Berlin der AmpelRegierung vor, den Bürgern das Ausmaß des Problems im kommenden Winter zu verschweigen – und erläutert die Vorschläge der Union für eine Entlastung der Bürger angesichts der steigenden Inflation.
Herr Dobrindt, Sie sind seit 20 Jahren im Bundestag, die meiste Zeit als Mitglied der Regierungsfraktion. Haben Sie sich schon an die Rolle als Oppositionspolitiker gewöhnt?
Es ist eine andere Herausforderung, aber auch in der Opposition nehme ich Verantwortung wahr. Wir sind nicht die Claqueure der Bundesregierung, sondern wir sind ihre Kontrolleure. Inzwischen haben wir in dieser neuen Rolle im Bundestag eine gute Form gefunden.
Die Wahrnehmung konzentriert sich naturgemäß auf den Oppositionsführer, also CDU-Chef Friedrich Merz. Hat die CSU im Bundestag im Moment schon systembedingt ein Wahrnehmungsproblem? Nein, Friedrich Merz und ich haben ein exzellentes Verhältnis zueinander. Wir führen diese Fraktion gemeinsam. Bei den Gesprächen über das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr war ich der Verhandlungsführer für die gemeinsame Unionsfraktion. Daran sieht man schon, es gibt ein sehr gutes und verlässliches Miteinander zwischen Friedrich Merz und mir.
In immer mehr Ländern geht die CDU mit den Grünen Koalitionen ein, jetzt sogar im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Droht der Union da ein Problem mit der Profilierung und Abgrenzung?
Ich gehöre nicht zu denen, die romantische Gefühle gegenüber den Grünen entwickelt haben. Ich rate auch allen in der CDU, diese Gefühle nicht entstehen zu lassen. Die Grünen sind unser Wettbewerber und nicht unser natürlicher Partner. Die Entscheidungen in NordrheinWestfalen und Schleswig-Holstein sind aus der jeweiligen Situation heraus nachvollziehbar. Aber eine Regierung mit den Grünen darf für die Union nie die einzige Option sein. Mir liegt die FDP in der politischen Debatte meistens näher, als es die Grünen tun.
An welcher Stelle haben Sie das größte Problem mit grüner Politik? Ganz aktuell ist die Energiefrage. Ich vertraue nicht darauf, dass die Grünen bereit sind, sie ideologiefrei zu lösen. Der Süden Deutschlands wird bei der Förderung der Wasserkraft klar benachteiligt. Und die ideologische Absage an eine Diskussion über den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke zeigt: Wirtschaftsminister
Habeck verschweigt die Härte der kommenden Energiekrise. Die Gaskrise wird nicht nur Unternehmen treffen, jeder Bürger wird sie spüren. In dieser Lage die drei noch betriebenen Kernkraftwerke abschalten zu wollen, ist ein gravierender Fehler.
Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann argumentiert, im Winter
drohe ein Mangel an Gas, aber nicht an Strom.
Aktuell werden in Deutschland noch immer 13 Prozent der Gasmenge verstromt. Im Mai dieses Jahres hatten wir einen absoluten Rekord an Gasverstromung. Jede Gigawattstunde Gas, die verstromt wird, wird uns im Herbst und Winter fehlen. Deshalb geht es jetzt schlicht um die Frage: Kernkraft, Kohle oder kalter Winter?
Es ist zwingend geboten, sowohl die Kohlekraftwerke hochzufahren, als auch die Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen.
Die Ampel hat wegen der hohen Energie- und Lebensmittelkosten zwei Entlastungspakete geschnürt. Ist es richtig, die Folgen der Inflation auf diese Weise abzufedern? Die Inflation entscheidet inzwischen bei vielen Familien darüber, ob am Monatsende der Kühlschrank voll oder leer ist. Darauf muss die Politik reagieren. Aber die Bundesregierung benachteiligt die Rentnerinnen und Rentner und lässt sie bei der Energiepauschale von 300 Euro unberücksichtigt. Das ist eine große Ungerechtigkeit. Wenn die Energiepreise weiter so steigen, braucht es weitere Entlastungen. Dem kann sich auch der Bundesfinanzminister nicht entziehen.
Christian Lindner will aber im kommenden Jahr wieder die Schuldenbremse einhalten und weniger ausgeben.
Ein solider Haushalt ist auch dringend notwendig. Aber zur Wahrheit gehört, dass der Staat bereits bei einem Prozent Inflation zwei Milliarden Euro zusätzlich durch die Mehrwertsteuer einnimmt. Diesen Inflationsprofit muss die Ampel an die Bürger zurückgeben. Wir haben vorgeschlagen, sowohl bei den Lebensmitteln als auch bei der Energie die Mehrwertsteuersätze zu senken. Außerdem kann ich mir einen befristeten Bürger-Basispreis für Gas vorstellen, der einen Grundbedarf pro Haushalt und Personen abdeckt. Ohne diese Lösung werden wahrscheinlich viele Menschen in den nächsten Monaten die steigenden Gaspreise nicht mehr bezahlen können.
Die Union trägt das Sondervermögen für die Bundeswehr mit. Sie haben jüngst gefordert, es brauche dauerhaft mehr Geld für die Bundeswehr, 20 Milliarden Euro pro Jahr. Soll das dann, wie das Sondervermögen auch, an der Schuldenbremse vorbei finanziert werden? Die Bundeswehr braucht keine Einmalüberweisung, sondern wir brauchen einen Dauerauftrag in unsere Verteidigungsfähigkeit. Deswegen haben wir vereinbart, dass neben den 100 Milliarden Euro für die Streitkräfte das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreicht werden muss. Und wenn die Nato mehr und neue Aufgaben übernimmt, muss auch dies im Bundeshaushalt abgesichert sein. Da die Aufgaben der Nato zunehmen, werden wir also künftig mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung ausgeben müssen.
Auch bisher sind schon Milliardenbeträge in die Bundeswehr geflossen – das Ergebnis überzeugt nicht so richtig. Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass das Geld überhaupt ankommt?
Die Verteidigungsministerin hat die Aufgabe, eine neue Beschaffungsstrategie vorzustellen. Wir haben ihr vorgeschlagen, einen Bypass zu entwickeln, um mit diesen 100 Milliarden schneller die notwendige Ausrüstung zu beschaffen, und zwar ohne das Beschaffungsamt der Bundeswehr. Dieses muss parallel reformiert werden.
Stichwort: Mehr Geld für die Bundeswehr. Wenn die Union die Ampel kritisiert, kommt oft die Antwort: Ihr hattet ja lange genug Zeit, es besser zu machen. Nervt Sie das? Ich glaube, dass die Falschen diese Vorwürfe erheben. Putin hat nicht nur den Frieden in Europa zerstört, er hat auch die Friedensdividende zerstört. Wir alle sind davon ausgegangen, dass die wirtschaftliche Annäherung zwischen Ost und West zu mehr Wohlstand führt und dass dies den Frieden sichert. Putin hat sich anders entschieden. Das heißt nicht, dass diese Entscheidungen in der Vergangenheit falsch waren – sie waren auf Frieden ausgerichtet. Noch im letzten Jahr wurde aus der grünen und linken Ecke für einen Ausstieg aus der Nato und aus der atomaren Teilhabe geworben und immer gegen weitere Investitionen für die Bundeswehr gestimmt. Was wir jetzt von den Grünen über die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und über ihre Rolle dabei hören, das erinnert schon stark an alternative Fakten.