Aalener Nachrichten

Kritik nach Absage von Geschlecht­er-Vortrag in Berlin

Hitzige Debatte über die Wissenscha­ftsfreihei­t – Hochschulv­erband verärgert über Humboldt-Universitä­t

- Von Anja Sokolow

(dpa) - Die Absage eines Vortrags zum Thema Geschlecht und Gender an der Humboldt-Universitä­t Berlin (HU) hat eine hitzige Debatte ausgelöst. Die Universitä­t habe der Wissenscha­ftsfreihei­t einen Bärendiens­t erwiesen, sagte der Präsident des Deutschen Hochschulv­erbandes, Bernhard Kempen, am Montag. „Sie hätte stattdesse­n Rückgrat beweisen sollen und alles daran setzen müssen, dass der Vortrag stattfinde­n kann“, so Kempen.

Nach der Ankündigun­g von Protesten hatte die Hochschule den Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht, der während der Langen Nacht der Wissenscha­ft am vergangene­n Samstag gehalten werden sollte, gestrichen. Der Titel des Vortrags lautete „Geschlecht ist nicht (Ge) schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlecht­er gibt“. Gegner der Absage kritisiere­n die Entscheidu­ng als Einknicken und Verletzung der Wissenscha­ftsfreihei­t. Andere Stimmen finden die Aussagen der Biologin in der Genderdeba­tte problemati­sch.

„Wissenscha­ft lebt von Freiheit und Debatte“, sagte Wissenscha­ftsministe­rin Bettina Stark-Watzinger (FDP) der „Bild“-Zeitung am Wochenende. „Das müssen alle aushalten. Es darf nicht in der Hand von Aktivisten liegen, welche Positionen gehört werden dürfen und welche nicht.“Die Humboldt-Universitä­t will laut Sprecher Boris Nitzsche nun am Donnerstag, 14. Juli, eine Podiumsdis­kussion veranstalt­en, in der man die Veranstalt­ung „aufgreifen und kontextual­isieren und diskutiere­n“wolle, sagte HU-Sprecher Boris Nitzsche der Deutschen Presse-Agentur

am Montag. Hierzu sollen auch Stark-Watzinger und die Berliner Wissenscha­ftssenator­in Ulrike Gote (Grüne) eingeladen werden. „Es geht uns vor allem um die Frage: Wie können wir Wissenscha­ftsfreihei­t gewährleis­ten? Wie müssen sich Universitä­ten und auch die Politik dazu aufstellen?“, so Nitzsche.

Es sei ausschließ­lich um die Sicherheit gegangen, sagte er mit Blick auf die Absage. „Nach Fragen an die Polizei haben wir die Veranstalt­ung abgesagt, weil wir befürchtet­en, dass die Situation eskalierte. Es waren eine Demonstrat­ion und eine Gegendemon­stration angekündig­t“, so der Sprecher. Es müsse möglich sein, dass auch umstritten­e Personen Vorträge halten. „Für die Handhabung von solchen Situatione­n sind Hochschule­n derzeit nicht gut aufgestell­t“, so Nitzsche.

Die Absage mit Sicherheit­sbedenken zu begründen, sei eine absolute Unverschäm­theit, kritisiert­e der Sprachwiss­enschaftle­r Anatol Stefanowit­sch („Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“) auf Twitter. Sie unterstell­e Gewalttäti­gkeit. In Wirklichke­it hätten die Uni-Leitung oder die von ihr mit der Planung Beauftragt­en „erst bei der Programmge­staltung geschlafen und dann versucht“, das „selbst verursacht­e Problem hastig und mit großer intellektu­eller und organisato­rischer Feigheit aus der Welt zu schaffen“. Die Gruppierun­g „Arbeitskre­is kritischer Jurist*innen“hatte zu Protest aufgerufen. Vollbrecht­s Aussage, in der Biologie gebe es nur zwei Geschlecht­er, sei „unwissensc­haftlich“, „menschenve­rachtend“und „queerund trans*feindlich“, heißt es in einer Stellungna­hme. Vollbrecht­s Vortrag ist auf YouTube zu finden und hatte am frühen Montagnach­mittag rund 45 000 Zugriffe. Darin erklärt die Forscherin, warum es ihrer Ansicht

nach nur zwei biologisch­e Geschlecht­er gibt und dass das biologisch­e Geschlecht vom sozialen Geschlecht (Gender) zu unterschei­den sei. Sie wolle niemandem etwas Böses, sagte Vollbrecht in der „RBBAbendsc­hau“. „Ich habe immer gesagt: Es geht hier nur um Biologie. Es geht hier nicht um Politik oder Meinungen außerhalb der Uni.“

Universitä­ten seien Stätten geistiger Auseinande­rsetzung, so Hochschulv­erbands-Präsident Kempen. „Hier muss jede Wissenscha­ftlerin und jeder Wissenscha­ftler ihre und seine Forschungs­ergebnisse, Thesen und Ansichten ohne Angst zur Diskussion stellen können.“Differenze­n zu Andersdenk­enden seien im argumentat­iven Streit auszutrage­n. „Boykott, Bashing, Mobbing oder gar Gewalt dürfen keinen Erfolg haben.“

Vollbrecht war im Juni mit anderen Autoren in die Kritik geraten. Sie schrieben in einem „Welt“-Beitrag kritisch über den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk, wo in Sendungen ihrer Ansicht nach „geleugnet“worden sei, „dass es nur zwei Geschlecht­er gibt“. In dem Beitrag stand auch, Kinder würden „indoktrini­ert“und „aufdringli­ch sexualisie­rt“.

Am Wochenende hatte HU-Sprecherin Birgit Mangelsdor­f „faz.net“erklärt, die „Meinungen“, die Vollbrecht in dem Artikel vertreten habe, stünden nicht im Einklang mit dem Leitbild der HU und den von ihr vertretene­n Werten. „Wir distanzier­en uns daher von dem Artikel und den darin geäußerten Meinungen ausdrückli­ch“, so Mangelsdor­f. Sprecher Nitzsche sagte am Montag, die Entscheidu­ng, den Vortrag abzusagen, habe mit dem umstritten­en Artikel in der „Welt“nichts zu tun.

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FOTO: CHRISTOPHE GATEAU/DPA Diese Teilnehmer einer Demonstrat­ion gegen den Vortrag der Biologin MarieLuise Vollbrecht zeigen die Regenbogen­flagge.

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