Ein Sieg für die Demokratie
Mit der großen Mehrheit gegen eine Impfpflicht hat der Bundestag gezeigt, dass er immer noch über eine funktionierende demokratische Grundimmunität verfügt und obendrein für eine ordentliche Dosis Glaubwürdigkeit in die Politik gesorgt. Die war nämlich zuletzt ein Fall für die Intensivstation: Wer erinnert sich nicht an die Beteuerungen führender Politiker aller Parteien im Vorfeld der Bundestagswahl, dass es selbstverständlich keine Impfpflicht geben werde. Versprochen. DemokratenEhrenwort.
Und dann war die Debatte doch da, und spätestens zu diesem Zeitpunkt konnten alle Verschwörungstheoretiker, die schon immer geargwöhnt hatten, dass eine allgemeine Impfpflicht eine von dunklen Mächten von vornherein beschlossene Sache sei, triumphierend sagen: Haben wir’s doch gleich gewusst!
Die Erklärungen aus der Politik für den Sinneswandel waren aber auch denkbar dünn. Da sei noch eine gefährliche Impflücke, hieß es, was natürlich keinerlei Logik folgt: Wer eine Impfpflicht ausschließt, tut das ja nur für den Fall einer Impflücke, denn sonst bräuchte man über eine Pflicht nicht zu reden.
Dazu gesellte sich die vergleichsweise milde Omikron-Variante und lauter werdende Fragen nach der absoluten Wirksamkeit und möglicherweise unterschätzten, negativen Folgen der Corona-Impfung. Zusätzlich sorgte die Einführung wirksamer Medikamente, die bei schweren Verläufen erfolgreich eingesetzt werden, für Diskussionen, ob es vor diesem Hintergrund überhaupt noch eine Basis für eine Impfpflicht geben kann.
All das wurde nun im Parlament auf den Prüfstand gestellt. Gewonnen hat das Vertrauen in unsere parlamentarische Demokratie, auch wenn der Weg dorthin einigermaßen chaotisch und nicht frei von gegenseitigen Anfeindungen verlaufen ist. Wenn das noch kuriert wird, findet Deutschland am Ende doch noch einen guten Weg aus der Pandemie und der gesellschaftlichen Spaltung. Die Chancen dafür stehen nach dieser Entscheidung besser denn je.