Undenkbare Dynamik
Borussia Dortmund stellt sich nach Blamage beim FC St. Pauli auf ungemütliche Tage ein – Kiezkicker bereit fürs Derby
(SID) - Natürlich stand wieder eine Kiste Bier in der Kabine, da lässt sich Timo Schultz nicht lumpen. Aber die Pokalparty nach der Sensation gegen den Titelverteidiger Borussia Dortmund artete nicht aus, dafür sorgte der Trainer des FC St. Pauli, der nach Siegen stets einen ausgibt. Denn schon am Freitag steht nach dem Rausch der nächste Kracher in der 2. Liga an – das Derby beim Erzrivalen Hamburger SV (18.30 Uhr/Sky). „Da müssen wir auch wieder voll da sein, denn der Stadtrivale ist auch gut drauf“, sagte Schultz nach dem 2:1 (2:0) gegen den BVB und schaltete am Mittwoch sofort in den Derbymodus: „Da wollen wir mindestens so eine gute Leistung zeigen.“
Erst das Derby, dann womöglich zwei Viertelfinals im DFB-Pokal: Hamburg freut sich wieder auf Fußball-Festtage, die gab es ja schon lange nicht mehr an der Elbe seit dem Abstieg des HSV. Dass beide Clubs gleichzeitig die Chance auf das Halbfinale haben, gab es zuvor nur 1965/66 und 1996/97. Das Weiterkommen des HSV beim 1. FC Köln nach einem kuriosen Elfmeterschießen war ja schon eine Überraschung, aber was St. Pauli dann später am Millerntor zeigte, war ein wahres Spektakel. „Wir haben Außergewöhnliches geleistet“, sagte
Schultz nach dem Triumph über Erling Haaland und Co.
Dabei fighteten die Kiezkicker nicht einfach nur, sondern spielten auch richtig guten Fußball: „Für uns als Verein ist es nicht normal, dass wir die erste Runde überstehen. Jetzt stehen wir im Viertelfinale und spielen um den Einzug ins Halbfinale. Das ist fantastisch.“
Vollkommen gegensätzlich war die Stimmung am Tag nach der Sensation beim Geschlagenen. Marco Rose hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen, die Hände steckten in den Taschen seiner schwarzen Jacke, als er am Mittwoch das Training leitete. Mit grimmigem Blick rätselte der Trainer von Borussia Dortmund nach der Blamage beim FC St. Pauli immer noch: Wie konnte das passieren? Viel zu leichtfertig hatten seine Stars die ganz große Chance auf die Titelverteidigung weggeschmissen. „Das ist maximal bitter für uns“, sagte Rose. Der Schmerz über das Aus war umso größer, da Bayern München ja schon in der zweiten Runde gepatzt hatte – und der Weg zum „Pott“dadurch vermeintlich frei war. „Die Endgültigkeit macht es besonders bitter“, sagte Rose.
Besonders vom laschen Auftritt seiner Mannschaft war der Trainer angefressen. Gerade die Anfangsphase
hatten Haaland und Co. verschlafen, Rose sprach sogar von einem „Nicht-Fight“in den ersten Minuten. „Wenn man die ersten 15 Minuten des Spiels betrachtet, mit der Art und Weise, wie wir das Pokalspiel angegangen sind, ist es folgerichtig, dass man hintenraus die Dinge nicht immer reparieren kann“, sagte Rose. Der BVB war schon früh in Rückstand geraten, danach entwickelte sich eine Dynamik am Millerntor, die die BVBStars nicht mehr umkehren konnten.
Und so stand nach dem Aus in der Champions League die zweite große Enttäuschung in dieser Saison fest. Weil die Bayern in der Liga zudem schon mit sechs Punkten vorne sind, bleibt den Schwarz-Gelben eigentlich nur noch die Europa League. Rose erwartet deshalb ungemütliche Tage beim BVB. „Wir müssen alles, was auf uns einprasselt, hinnehmen“, sagte er.
Die Pleite befeuerte einmal mehr die alte Diskussion, dass dem BVB echte Typen fehlten, die sich auch in schwierigen Momenten nicht verkriechen. „Das ist einfach schade und auch ein Stück weit doof von uns, dass wir genau die Klischees jetzt wieder bedienen“, sagte Rose in der ARD. Experte und Weltmeister Bastian Schweinsteiger vermisste einen Lerneffekt beim BVB: „Vielleicht müssen sie darauf achten, dass sie künftig Spieler holen, die diesen Hunger ausstrahlen.“