Eingesperrt hinter maroden Mauern
Das veraltete Gefängniskrankenhaus auf dem Hohenasperg soll verlegt werden – Doch vom möglichen Standort für einen Neubau hält der Denkmalschutz nichts
- In der Neckargegend bei Ludwigsburg gibt es folgende Witzfrage: Welcher ist der höchste Berg Deutschlands? Die Antwort: Der Hohenasperg. Man ist zwar schnell droben, es dauert aber Jahre bis man wieder unten ankommt.
Der Sinn des Bonmots erschließt sich dadurch, dass seit unzähligen Generationen alle möglichen Leute auf dem Buckel mit der alten Festung eingesperrt werden – zuletzt kranke Häftlinge für ihre stationäre Behandlung. Das sei dort oben vielleicht nicht mehr ganz passend, meint jedoch unter anderem das baden-württembergische Justizministerium – und dies unter wechselnder Führung seit rund 15 Jahren. Wem es als Häftling aber gesundheitlich schlecht geht, hat gute Chancen, immer noch in die Festung zu kommen.
Bemerkenswerterweise erreichen aber auch andere Leute die Wälle, Türme und Bastionen. Ein größerer Teil ist für Ausflügler frei zugänglich. Angezogen fühlen sich etwa fröhliche Zecher. Es existiert nämlich oben auf den Mauern eine kleine Wirtschaft. Die Aussicht reicht weit ins Enz- und Neckartal sowie hinüber zu Strom- und Heuchelberg. Weshalb Besucher an schönen Tagen gerne draußen auf Bierbänken trinken.
Es lassen sich Gesprächsfetzen der Gäste auffangen. „Ich bin hochgeradelt. Da brauch ich jetzt echt eine Halbe.“Oder: „Weißt Du schon? Der Peter geht jetzt mit der Gabi.“Was eben so in einem Biergarten geredet wird. Irritierend ist nur eines: der Blick auf den Hintergrund. Rasiermesserdraht sperrt Fluchtwege ab. Gitter sichern Fenster. Kameras überwachen jene, die dem kritischen Bereich zu nahe kommen.
Die Absperrungen umrunden den inneren Bereich des Hohenaspergs. Er ist die zentrale Einrichtung für die stationäre medizinische Versorgung aller männlichen und weiblichen Gefangenen in BadenWürttemberg. Dort stehen unter anderem alte Soldatenquartiere, der Kellereibau, das Zeughaus und was man sonst in historischen Zeiten auf einer Festung brauchte. Sie sind das Justizvollzugskrankenhaus inklusive einer Anstalt für Sozialtherapie. Manche Fassade wirkt, als hätte es hier vier Jahrzehnte DDR gegeben: grau, bröckelig.
Nun ist natürlich wichtiger, was innen los ist. Nach unterschiedlichen Angaben warten dort 125 bis 170 Betten auf Erkrankte. Das Ambiente für sie scheint jedoch ebenso bescheiden zu sein wie der äußere Anblick. Justizkreise beschreiben die Einrichtungen einhellig als überlastet und überaltert. „Das Justizvollzugskrankenhaus auf dem Hohenasperg ist baulich nicht mehr auf dem neuesten Stand und eine Sanierung ist nicht möglich“, hat der vorherige, nach der Landtagswahl ausgeschiedene christdemokratische Justizminister Guido Wolf kurzum attestiert.
Aktuell verlautbart die Behörde unter der neuen, aber aus derselben Partei stammenden Ministerin Marion Gentges: „Das Justizvollzugskrankenhaus im gegenwärtigen Zuschnitt stößt vor allem bei der Behandlung psychisch auffälliger Gefangener an seine Kapazitätsgrenze, da eine strukturelle Weiterentwicklung auf dem Hohenasperg aufgrund der beengten räumlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der ebenfalls dort angesiedelten Sozialtherapeutischen Anstalt nicht möglich ist.“
Nebenbei wird noch erwähnt, dass sich das historisch unübersichtlich verbaute Gelände nicht so gut sichern lässt, wie man es heutzutage gerne möchte. 2007 schaffte ein Gewaltverbrecher sogar die Flucht über mehrere Meter Sicherheitsdraht.
Aus dieser Erkenntnis ergibt sich, dass ein Neubau her muss – und zwar an einem Ort, der nicht von Bastionen oder historischen Zeughäusern begrenzt wird. Da das Problem schon länger akut ist, haben sich bereits die Vorgänger Wolfs damit herumgeschlagen: der Sozialdemokrat Rainer Stickelberger von 2011 bis 2016, davor der Liberale Ulrich Goll. Ihr Ministerium hatte dabei immer das gleiche Terrain im Visier. Dieses ist gar nicht so weit weg, liegt und gehört zum Riesengefängnis im Stuttgarter Vorort Stammheim.
Dort steht neben den Häftlingsblöcken ein hässliches, fensterloses Mehrzweckgebäude: ein 1975 errichtetes Provisorium, um auf sicherem Gelände Verbrecher der Roten Armee Fraktion, der RAF, aburteilen zu können. Ulrike Meinhof trat in dem Bau vor ihre Richter, ebenso ihr Kumpan Andreas Baader und viele andere aus der Mörderbande. Bis 1997 fanden dort 49 RAF-Verfahren mit 90 Angeklagten statt.
Etwas seitlich davon hat das Stuttgarter Oberlandesgericht aber inzwischen ein neues Gebäude für seine Prozesse bekommen. Den Altbau braucht niemand mehr. Er wäre ein schönes Plätzchen für ein neues Krankenhaus, meinten früh Justizbedienstete. Zudem sei es sowieso die einzige Option auf dem Stammheimer Gelände.
Aber dann hat sich das Landesamt für Denkmalpflege pflichtbewusst gemeldet. Seine Ansicht: Der ausgediente Bau sei „ein Symbol für die wehrhafte Demokratie der Bundesrepublik Deutschland“. Die Rede ist von einem „Kulturdenkmal“. Also solches ist das Mehrzweckgebäude seit 2013 erfasst. Im Kontext dazu steht noch das ebenso denkmalgeschützte Gefängnishochhaus der Stammheimer Justizvollzugsanstalt. Dort töteten sich 1977 drei inhaftierte RAF-Terroristen selber, als ihre Freipressung durch die Flugzeugentführung nach Mogadischu scheiterte. Neben Baader waren es Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.
Am Erhalt beider Gebäude bestehe laut Denkmalpflege „vor allem wegen ihres dokumentarischen Wertes und wegen ihrer Veranschaulichung eines außerordentlichen zeitgeschichtlichen Phänomens ein öffentliches Interesse“. Fast schon folgerichtig hat es dann auch schon von verschiedenen Seiten Eingaben an den Landtag gegeben. Die Forderung: eine Bestandsgarantie für die Bauten.
Das Justizwesen reagiert angesichts solcher seit Jahren aufgerichteter Barrieren leicht verschreckt. Es hält sich bedeckt. Es wurde aber zumindest eine Machbarkeitsstudie erstellt. Es geht dabei auch darum, was Gefängnis und Krankenhaus zusammen machen können – beispielsweise in Form einer gemeinsamen Küche.
Eine Genehmigung für den Abbruch indes liegt jedoch noch nicht vor. Aber der Antrag ist wenigstens gestellt. Pflichtgemäß ist er vom Finanzministerium gekommen. Dessen Hochbauamt ist für die anvisierten Bauarbeiten und deren Finanzierung zuständig. Aus dem Justizministerium heißt es dazu: „Die denkmalschutzrechtlichen Belange werden derzeit zwischen dem Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg und den Denkmalschutzbehörden abgestimmt.“Mit anderen Worten: Die ganze Geschichte droht sich weiter in die Länge zu ziehen. Oben auf dem Hohenasperg bleiben die kranken Häftlinge in den angejahrten Quartieren.
Geld möchte die Justiz in sie eigentlich nicht mehr hineinstecken, scheinen die Tage des Krankenhauses doch gezählt zu sein. Wenn schon saniert wird, dann im Außenbereich jenseits des Sicherheitsdrahtes: dort, wo Mauern und Türme sind. Das Land gibt Millionen Euro für das Sichern und Aufhübschen der Wehranlagen aus – durchaus mit gutem Grund. Denn der Hohenasperg ist auch ein Denkmal erster Klasse. Wer einst unter württembergischen Herrschern das Wort Freiheit in den Mund nahm, konnte damit rechnen, dort oben zu landen. Weshalb der Volksmund später auch die Bezeichnung „Demokratenbuckel“kreierte.
Bekanntester Inhaftierter aus historischen Zeiten ist der Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart gewesen. Er saß 1777 bis 1787 auf der Festung. Seine Tat: zu viel Kritik an Herzog Carl Eugen und dessen absolutistischen und korrupten Neigungen. Als Schubart dann noch die Gespielin des Herrschers beleidigte, war das Maß voll. Eine Turmkammer wurde seine neue Heimat. Sie hat sich bis heute erhalten. Der Zugang ist aber nur vom Gefängnisbereich aus möglich. Aber die kleine Wirtschaft auf der Bastion hält des Dichters Namen in Erinnerung. Schubartstube heißt das Etablissement.
Für Ausflügler war es lange ein beliebtes Spiel, bei Spaziergängen auf den Wällen Gefangenen hinter ihren vergitterten Fenstern zuzuwinken. Ein skurriles Unterfangen. Später wurden ausgedehnte Sichtblenden vor den Gebäuden angebracht, richtige Palisaden. Fast die letzten von außen festzustellenden größeren Bauarbeiten im Bereich des Gefängniskrankenhauses.
Eine Betrachtung von innen ist schwer möglich – höchstens man hat etwas angestellt oder ist im Justizvollzugsdienst. Was in der Natur der Sache liegt. Weshalb der Justizvollzug in der öffentlichen Wahrnehmung eine Schattenwelt ist. In Baden-Württemberg gehören zu ihr 17 Gefängnisse mit 18 Außenstellen, dazu zwei Jugendarrestanstalten und eben das Krankenhaus auf dem Hohenasperg. Tendenziell ist aber nicht nur die Festung überlastet, sondern das ganze System. Es fehlen Haftplätze, altersgerechte ohne Barrieren sowieso.
Allgemeine Erleichterung soll eigentlich der Neubau einer Justizvollzugsanstalt für 600 Häftlinge bei Rottweil bringen. Bürgerproteste, Planungspannen und stetige Kostensteigerungen verzögern jedoch bisher selbst die Grundsteinlegung. Nach jüngsten Informationen soll die Anlage nun aber bis 2027 fertig werden. Der Preis nach einer letzten Anpassung: rund 240 Millionen Euro.
Landespolitische Insider spekulieren, dass diese Summe wiederum den Gestaltungsspielraum für ein neues Gefängniskrankenhaus einengt. Immerhin ist an ein „interdisziplinäres Krankenhaus mit psychiatrischem Schwerpunkt“gedacht. 205 Betten sind anvisiert. Die geplante Steigerung der Liegeplätze hängt offenbar mit einem Problem zusammen, auf das man als Außenstehender nicht so einfach stößt.
Demnach wächst laut Justizministerium die Zahl psychisch auffälliger Gefangener – im AltKrankenhaus Hohenasperg nach vorliegenden Informationen schwierig zu handhaben. Einige der Psychiatriehäftlingen könnten vorsichtshalber nicht zusammen untergebracht werden. Mord und Totschlag werden befürchtet.
Weshalb manches Bett frei bleiben müsse, argumentiert das Ministerium. Dies sorgt in der beengten Festung für weitere Nöte, denn die Kapazitäten werden dringend benötigt. Aus Sicherheitsgründen lassen die Justizvollzugsanstalten ihre Häftlinge ungern zu Behandlungen in normale Krankenhäuser.
Aber ganz gleich, ob nun die Klinik den Berg verlassen darf oder vielleicht doch noch zum Bleiben verurteilt wird: Die Gefängnisgeschichte des Hohenaspergs geht weiter. Denn es gibt ja in der Festung noch die Sozialtherapeutische Anstalt für psychisch auffällige Häftlinge. An ihrem Standort soll sich nichts ändern. Sie soll sogar noch erweitert werden.
Vielleicht fällt dann noch etwas Geld für Mörtel und Farbe ab. Am Zugang zum Gefängnisbereich gleich hinter dem inneren historischen Festungstor müssen Passanten durchaus fürchten, dass mal Verputz runterfällt. Und hier gehen alle vorbei, die auf der Bastion in der Schubartstube trinken und essen wollen.