Krass nass
Beim Canyoning in Schröcken geht es talwärts durch sechs Wasserfälle
Die Leute haben mehr Angst vor dem Ertrinken als vor dem Abstürzen.“So erklärt es sich Jürgen Strolz, dass seine Kundschaft immer die Felswand anstarrt. Die Felswand, an der gerade ein Wasserfall herunterrauscht. Unter einem tut sich gleichzeitig ein Abgrund auf, aber der scheint gar nicht zu existieren.
Jürgen Strolz ist Canyoning-Guide im Vorarlberger Alpendorf Schröcken, und natürlich lässt er uns weder ertrinken noch abstürzen. Wir sind zu dritt in der Schlucht unterwegs. Die Dritte im Bunde ist Jenny, 34 Jahre, Urlauberin aus dem Rhein-MainGebiet. Sie probiert Canyoning, diese Mischung aus Klettern, Schwimmen und Abseilen in einer Wasser führenden Schlucht, zum ersten Mal aus. Dick eingepackt in Neoprenanzüge haben wir an einer Hauswand den Umgang mit dem Klettersteig-Set und das Abseilen geübt. Jetzt geht es von Nesslegg, einem Weiler an der Passstraße oberhalb von Schröcken, hinab zum Seebach.
„14 Grad“, informiert uns Jürgen über die Wassertemperatur, während wir über eine Wiese in Richtung des Baches stapfen. Über einen großen schrägen Stein rauscht Wasser, wir lassen uns zum ersten Mal hineingleiten. Für einen Moment läuft es einem buchstäblich eiskalt den Rücken hinunter, als das Bergwasser in den Neoprenanzug eindringt. Schnell aber hat sich der Körper daran gewöhnt, und die Temperatur wird während der nächsten beiden Stunden keine Rolle mehr spielen. „Ich hätte es mir viel kälter vorgestellt“, sagt Jenny. „Wir sind die ganze Zeit in Bewegung, da habt ihr keine Zeit zu frieren“, erklärt Jürgen. Außerdem kommt das Seebachwasser nicht aus einem Gletscher, sondern vom Kalbelesee am Hochtannbergpass, wo es von der Sonne aufgewärmt wird.
Zeit, sich auf den Wasserfall zu konzentrieren. Es ist der erste von sechs, durch die wir uns während der Tour abseilen werden. Das Wasser rauscht zehn Meter in die Tiefe. Jürgen holt ein Seil aus dem Rucksack, und einer nach dem anderen lassen wir uns mit dem Rücken voran in Richtung Abgrund kippen. Die Technik hat Jürgen uns erklärt: Je steiler der Abgrund, desto stärker zurücklehnen. Und auch wenn das Wasser ins Gesicht schwappt, nur den Kopf zur Seite drehen, nicht den ganzen Oberkörper. Wer es trotzdem macht, kommt aus dem Gleichgewicht und baumelt schnell mal ungeschickt am Seil. Links und rechts fließt das Wasser vorbei, und schon ist man selbst im unteren Pool angekommen. Die Füße – ausgestattet mit Spezialschuhen und erstaunlich rutschfesten Sohlen – ertasten den Boden, das Seil wird aus dem Klettergurt gelöst. Geschafft! Weiter geht die Tour, wir klettern und waten durch den Bach, bis der nächste Wasserfall ins Blickfeld rückt.
Für Jürgen ist die Schlucht sein tägliches Arbeitsfeld. Er leitet den Schröckener Outdoor-Anbieter Holzschopf, den Sport betreibt er seit Mitte der 1990er-Jahre. Also etwa genau so lang wie Canyoning im Alpenraum ein Thema ist. „Ich war beim ersten deutschsprachigen Lehrgang für CanyoningGuides dabei“, erzählt der Vorarlberger. Vorher sei ihm gar nicht aufgefallen, was er mit dem Seebach für ein Outdoor-Paradies vor der eigenen Haustür hatte. Den anderen Menschen in Schröcken auch nicht. „Für die Leute hier war das einfach ein Graben, ein nutzloser Graben“, erzählt er. Zurück vom Canyoning-Kurs und angesteckt vom Interesse für die neue Sportart, erschloss
Sommerzeit
er den Tobel unterhalb seines Dorfes selbst, setzte Verankerungen, spannte Seile. „Am Anfang war das sehr aufwendig“, erinnert sich Jürgen. Schon allein, die Akkubohrmaschine trocken durch die Schlucht zu bringen.
Inzwischen ist der Seebach fürs Canyoning erschlossen, und für Strolz ist es in den Sommermonaten sein Hauptjob, Urlauber hindurchzuführen. Fast täglich ist er unten, hat die Schlucht schon bei jedem Wetter und bei jedem Wasserstand erlebt. Inzwischen bietet er auch Touren in der Rappenlochschlucht bei Dornbirn an und am Plansee in Tirol, außerdem Angebote, die speziell auf Kinder und auf Jugendliche zugeschnitten sind.
Im Seebach sind inzwischen mehrere Wasserfälle geschafft. Der letzte hat es noch einmal in sich, satte 20 Meter geht es in die Tiefe, unten rauscht das Wasser in einen Pool, in dem ein Erwachsener gerade noch so stehen kann. Jürgen ermuntert uns, zum Abschluss noch eine Runde durch den Pool zu schwimmen, auch unter dem Wasserfall her. Ein im wahrsten Sinne berauschendes Erlebnis. „Für viele Erwachsene ist das etwas, von dem sie schon als Kind geträumt haben“, den Eindruck hat Jürgen nach zweieinhalb Jahrzehnten in der Schlucht gewonnen. „Wer als Kind schon im Fluss gespielt hat, wollte sicher auch gern mal hinein. Nur ohne einen warmen Neoprenanzug ging das ja nicht.“Jedenfalls sicher nicht im Gebirge. Jenny, die Urlauberin, zieht ihr eigenes Fazit. „Es ist schön, so im Moment zu sein“, sagt sie. „Es gibt keine Zeit für Gedanken an etwas anderes. Das ist auch eine Art Entspannung.“
Informationen zum Canyoning in Schröcken gibt es unter:
Die hier beschriebene Tour des Anbieters läuft unter dem Namen „Hard Rock“und kostet 75 Euro pro Teilnehmer.