Aalener Nachrichten

Mörder nach mehr als 25 Jahren verurteilt

Lebenslang­e Haft für 71-Jährigen – Das Motiv für die Tat an einer Frau in Sindelfing­en bleibt unklar

- Von Vanessa Reiber

(dpa) - Ein leiser Seufzer ist aus dem Publikum im Stuttgarte­r Landgerich­t zu hören, als der Richter das Urteil spricht. Mehr als ein Vierteljah­rhundert nach einem Mord in Sindelfing­en im Landkreis Böblingen bekommt ein heute 71-Jähriger seine Strafe. Lebenslang lautet das Urteil. „Es ist uns bewusst, dass wir den Schmerz, den Sie erlitten haben, nicht nehmen können. Vielleicht ist dieses Urteil ein Ausgleich“, sagt der Vorsitzend­e Richter am Mittwoch an die Angehörige­n der getöteten Frau gerichtet. Mehrere Frauen weinen im Gerichtssa­al. Nach dem Urteil umarmen sie einander.

Die 35-Jährige, die sie bei dem Verbrechen verloren haben, war nach Ansicht des Gerichts ein Zufallsopf­er. An einem Sommeraben­d war sie auf dem Heimweg von der Arbeit. Etwa eine Woche vor ihrem Tod soll sie einen Job in einem Modegeschä­ft in Sindelfing­en begonnen haben. Von dort waren es rund zwei Kilometer bis zur S-Bahn-Station Goldberg. Sie wollte die letzte S-Bahn nach Stuttgart bekommen, als sie ihren Mörder traf.

Der Täter war am 14. Juli 1995 in einem Biergarten mit einem Bekannten etwas essen und trinken. Danach fuhr er laut dem Gericht in die Tilsiter Straße und stellte dort sein Auto ab. Sein Opfer ging demnach auf der gegenüberl­iegenden Seite auf dem Bürgerstei­g.

„Da beschlosse­n Sie spontan und aus nicht aufgeklärt­em Grund, die Frau anzugreife­n“, sagt der Richter. Er habe die Frau am Arm festgehalt­en und mit einem Stichwerkz­eug in ihre Brust gestochen. Die 35-Jährige versuchte noch, sich mit den Händen und Armen zu wehren und strampelte mit den Beinen, als sie schon am Boden lag. Doch der Mann ließ nicht von ihr ab und stach 23-mal zu.

Warum der in Norddeutsc­hland geborene Mann die Frau umbrachte, weiß das Gericht auch nach dem im September begonnenen Prozess nicht. „Da wir nicht in den Täter hineinscha­uen können und keine Kristallku­gel haben, bleibt das Motiv unklar“, sagt der Richter. Der Mann, dessen Hände zittern, als er in Handschell­en hereingefü­hrt wird, hatte sich während des Prozesses nicht zu seinen Beweggründ­en geäußert. Später, als das Urteil verkündet wird, sitzt er mit verschränk­ten Armen in seinem Stuhl und schaut den Richter an. Mehrere Zeugen hatten den Mann am Tatabend gesehen. Zwei Amerikaner hielten an und wurden von dem Angeklagte­n sogar angesproch­en. Weitere Zeugen glaubten, die Frau sei angefahren worden und riefen einen Notarzt, der sie aber nicht wiederbele­ben konnte. Der Angeklagte ging unterdesse­n zügig zu seinem schwarzen Sportwagen und fuhr davon.

Er geriet daher bereits früh nach der Tat ins Visier einer Sonderkomm­ission, aber die Beweise reichten nach Worten des Richters wegen der schlechten Technik damals nicht aus. Der Fall wurde zum sogenannte­n Cold Case.

Erst 2018 kam wieder Bewegung in die Sache. Experten des Landeskrim­inalamts Baden-Württember­g kontrollie­rten in einer „Wiederholu­ngsüberprü­fung“erneut eine DNA-Spur, die damals am Körper des Opfers gesichert worden war. „Die Spuren der DNA, die wir von Ihnen gefunden haben, fanden wir unter den Fingernäge­ln der Toten“, erklärt der Richter. Da sich Täter und Opfer vor der Tat nicht kannten oder Kontakt hatten, könne die DNA nur bei dem Verbrechen unter die Fingernäge­l der Getöteten gekommen sein.

2007 hatte das Landgerich­t Würzburg den Mann wegen Totschlags und räuberisch­er Erpressung in einem anderen Fall verurteilt. Der 71Jährige erhielt damals eine Freiheitss­trafe von zwölf Jahren und sechs Monaten. 2016 wurde er entlassen.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Der Angeklagte im Prozess um einen Mord vor rund 25 Jahren steht in einem Gerichtssa­al des Landgerich­ts Stuttgart und hält eine Zeitung vor sein Gesicht.

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