„Wenn wir aus der Kohle aussteigen, stellt sich die Frage, wo wir Wärme herbekommen“
Klimaforscherin Mengis beschäftigen in Sachen CO2 vor allem konkrete Lösungen – Ob Deutschland 2045 oder 2050 klimaneutral ist, sei nicht so wichtig
- Klimaphysikerin Nadine Mengis nahm diese Woche als Nachwuchswissenschaftlerin an der 70. Nobelpreisträgertagung in Lindau teil. Die 32-Jährige arbeitet am Geomar, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Von dort aus diskutierte sie im Rahmen der Tagung unter anderem mit vier Nobelpreisträgern über Energie und Klima. Im Interview mit Anke Kumbier spricht sie darüber, wie viel CO2 Deutschland noch verbrauchen darf, was sie vom überarbeiteten Klimaschutzgesetz hält und warum es nicht so wichtig ist, ob Deutschland 2045 oder 2050 klimaneutral wird.
Frau Mengis, unsere Region hat es in den vergangenen Tagen heftig erwischt. Ein Unwetter jagt das andere. Bekommen wir den Klimawandel gerade direkt zu spüren?
Wenn wir vom Klima sprechen, meinen wir die Statistik des Wetters von ungefähr 30 Jahren. Der Weltklimarat IPCC hat in seinen Berichten festgestellt, dass solche Extremereignisse zunehmen werden, weil sich die statistische Verteilung verschiebt. Ein einzelnes, konkretes Starkregenereignis lässt sich also nicht direkt auf den Klimawandel zurückführen, wohl aber die steigende Wahrscheinlichkeit, dass es zu solchen Starkregenereignissen kommt. Global hat sich das Klima schon um 1 Grad erwärmt, wir sind also schon mitten im Klimawandel. Wenn wir für eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad kämpfen, geht es vor alderer lem darum, dass es nicht noch schlimmer wird.
Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts, dass das Klimaschutzgesetz in Teilen verfassungswidrig ist, hat die Bundesregierung das nachjustiert. Der CO2Ausstoß soll schneller gemindert werden und Deutschland bis 2045 klimaneutral sein. Reicht das, um die Klimakrise zu entschärfen?
Grundsätzlich geht das Gesetz in die richtige Richtung. Allerdings ist es meiner Meinung nach weniger wichtig, ob wir nun 2045 oder 2050 klimaneutral werden. Viel wichtiger ist, was wir bis 2030 erreichen. Wir rechnen damit, dass uns in Deutschland noch 6,9 Gigatonnen CO2 zur Verfügung stehen. Diese Menge haben wir aber allein in den vergangenen neun Jahren verbraucht. Neue Ziele festzulegen, wie im Gesetz geschehen, reicht deshalb nicht, wir müssen uns so schnell wie möglich auf konkrete Maßnahmen einigen, um mit dem verbleibenden Budget zurechtzukommen.
Was hat es mit dem Kohlenstoffbudget genau auf sich?
Um das 1,5-Grad-Ziel bis 2050 einzuhalten, können wir global ab 2021 noch ungefähr 400 Gigatonnen CO2 ausstoßen. Wie das auf die einzelnen Länder aufgeteilt wird, ist eine politische und moralische Frage und ein großer Streitpunkt. Am häufigsten wird der Pro-Kopf-Ansatz zitiert, der das Budget anhand des Anteils der Bevölkerung eines Landes an der Weltbevölkerung berechnet. Ein anAnsatz misst den aktuellen Anteil der Emissionen eines Landes an den globalen Emissionen. Meine Kollegen und ich haben uns auf einen Mittelweg geeinigt. Nach unseren Berechnungen darf Deutschland ab 2021 eben noch 6,9 Gigatonnen Kohlenstoff emittieren.
Ganz ohne den Ausstoß von Emissionen werden wir allerdings auch 2045 nicht leben können. Deshalb sollen Treibhausgase in natürlichen Senken gebunden werden. Wird das funktionieren?
Menschengemachte Emissionen lassen sich nicht ganz vermeiden, also müssen wir auch immer menschengemachte Senken aktiv bereitstellen, indem wir Wälder aufforsten oder Moore reaktivieren. Ich denke allerdings nicht, dass diese Senken, die darauf zielen, Ökosysteme wieder herzustellen, ausreichen, um Klimaneutralität zu erreichen. Wir müssen deshalb auch technologische Möglichkeiten offen diskutieren. Ich denke dabei an die Speicherung von CO2 in geologischen Speicherstätten. Diese Lösung halte ich sogar für verlässlicher als biologische Ansätze. Eine natürliche oder menschengemachte Störung des Geospeichers ist viel unwahrscheinlicher als die eines Waldes, denn der Kohlenstoff im Untergrund kristallisiert irgendwann.
Was muss aus Ihrer Sicht am dringendsten passieren, damit die neuen Zahlen, die jetzt im Klimaschutzgesetz stehen, erreicht werden und Deutschland mit seinem
Kohlenstoffbudget zurechtkommt?
Das Erste und Allerwichtigste ist der Umbau des Energiesektors und die Bereitstellung einer entsprechenden Infrastruktur. Gegenwärtig stammen über 80 Prozent der deutschen Emissionen aus diesem Bereich. Wir müssen so schnell wie möglich aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen, um Energie für Industrie, Haushalte, Transport und alle anderen Bereiche zu erzeugen. Auch im Gebäudesektor, bei der Isolierung und beim Thema Wärme, sehe ich Handlungsbedarf. Wenn wir aus der Kohle aussteigen, stellt sich die Frage, wo wir Wärme herbekommen – aus Fernwärme aus Bioenergie, mit Wärmepumpen oder elektrischen Heizungen? Besonders in diesem Bereich besteht viel Handlungsdruck, weil der Umbau unserer Heizungssysteme eine träge Angelegenheit ist, aber die Technologien sind da.
Welche Rolle spielen wir Bürgerinnen und Bürger dabei? Wie muss sich unser persönlicher Lebensstil ändern, wenn wir das Klima wirklich schützen wollen?
Ich glaube, dass man jetzt erst mal sehr viele Ziele erreichen kann, ohne dass das den Normalbürger betrifft. Er darf weiterhin Autofahren, nur vielleicht eben mit einem E-Auto, er darf auch weiterhin wohnen, wie er möchte, aber muss die Gebäude, in denen er wohnt, updaten. Ich sehe die Hauptaufgabe gerade nicht in privaten Veränderungen, sondern darin, das System, in dem wir leben, so zu gestalten, dass wir möglichst wenig Emissionen ausstoßen.