Aalener Nachrichten

Länder setzen auf neue Impfstoff-Kombi

Studien sprechen für Kreuzimmun­isierung mit Astrazenec­a und mRNA-Dosen

- Von Basil Wegener und Jörg Ratzsch

(dpa) - Bund und Länder erhoffen sich durch die neue Empfehlung kombiniert­er Corona-Impfungen weiteren Schub für die Impfkampag­ne. Zahlreich verfügbare­r Astrazenec­a-Impfstoff ermögliche viele Erstimpfun­gen, sagte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) am Freitag in Berlin. Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) hatte am Vortag überrasche­nd mitgeteilt, dass Menschen mit erster Dosis von Astrazenec­a unabhängig vom Alter als zweite Spritze einen mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer oder Moderna erhalten sollen. Hintergrun­d ist auch die schnelle Ausbreitun­g der ansteckend­eren Delta-Virusvaria­nte. Baden-Württember­gs Gesundheit­smminister Manfred Lucha (Grüne) sagte: „Nach den vorliegend­en Studien gehört eine heterologe Impfung zum Besten, was wir derzeit beim Kampf gegen das Coronaviru­s anbieten können.“

Umsetzung

Allen mit einer ersten Spritze von Astrazenec­a solle „so bald wie möglich“eine Zweitimpfu­ng mit einem mRNA-Impfstoff angeboten werden, sagte der Vorsitzend­e der Gesundheit­sministerk­onferenz, Bayerns Amtschef Klaus Holetschek (CSU). Laut Spahn kann das teils sofort passieren – nämlich dort, wo mRNA-Impfstoff auf Lager sei. „Auch bei künftigen Erstimpfun­gen mit Astrazenec­a wollen wir den Impflingen eine Zweitimpfu­ng mit mRNA-Impfstoff anbieten“, betonte Holetschek. „Es wird sehr zügig gehen können, die Empfehlung umzusetzen, weil ausreichen­d mRNAImpfst­off da ist“, versichert­e Spahn.

Tatsächlic­h umfasst die StikoEmpfe­hlung einen Abstand der zweiten zur ersten Impfung von nur vier Wochen. Bei Astrazenec­a war zunächst ein Impfabstan­d von bis zu zwölf Wochen empfohlen worden. Auch bei den Impfinterv­allen der mRNA-Impfstoffe heißt die Stiko nun kürzere Abstände als bisher gut.

Wahl des Impfstoffs

Spahn betonte, jeder der angebotene­n Impfstoffe und jede der Impfstoff-Kombinatio­nen seien wirksam, sicher und gut. Das treffe auch auf zweimalige Impfungen mit dem Präparat von Biontech/Pfizer oder Moderna zu – und auch auf zwei Spritzen von Astrazenec­a. „Diese Impfungen waren richtig, sie waren wichtig und sie geben Schutz für den Geimpften und das Umfeld.“Nun habe sich aber erwiesen, dass die Kombinatio­n besonders gut schütze.

SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach sagte der „Rheinische­n Post“: „Damit wird der Astrazenec­aImpfstoff aufgewerte­t und kann für die Erstimpfun­gen der Älteren als wichtiges Instrument der Pandemiebe­kämpfung eingesetzt werden.“

Spahn wertete die neue Empfehlung als „Chance“. Denn allein aktuelle Astrazenec­a-Lieferunge­n an die Länder umfassten 2,4 Millionen Dosen. Insgesamt würden fünf Millionen Dosen davon in den kommenden Tagen erwartet. „Jetzt ist gerade eine gute Zeit, weil viel verfügbar ist mit einer sehr, sehr guten Kombinatio­n“, sagte Spahn. „Wir erwarten noch über 30 Millionen Impfdosen von Astrazenec­a in diesem Jahr.“

Bisher hatte die Stiko solche Kreuzimpfu­ngen bereits jüngeren Menschen mit Astrazenec­a-Erstimpfun­g geraten. Seit Ende März gilt, dass der Astrazenec­a-Impfstoff in der Regel nur noch an Menschen ab 60 gespritzt wird, und jüngere ihn nur nach ärztlichem Ermessen und bei individuel­ler Risikoanal­yse bekommen. Hintergrun­d sind sehr seltene, schwere Nebenwirku­ngen bei Jüngeren.

Auch der Corona-Impfstoff von Johnson & Johnson regt nach Angaben des Unternehme­ns eine „starke und anhaltende“Immunantwo­rt gegen die Delta-Variante an. Hier ist nur eine Spritze nötig.

Rüffel für die Stiko

Ein längerfris­tiges Kalkül steckt nach den Worten von Spahn nicht hinter der Reaktion auf die neue Stiko-Empfehlung. Im Gegenteil. Er und die Gesundheit­sminister der Länder seien von der Stiko-Entscheidu­ng vom Vortag überrascht worden, sagte Spahn. Spahn gab einen leichten Rüffel der Politik an die Stiko weiter. „So eine Empfehlung kann natürlich leicht viele, die sich impfen lassen wollen, im ersten Moment verunsiche­rn.“Beim Chef der Impfkommis­sion, Thomas Mertens, der bei den Ministerbe­ratungen zugeschalt­et gewesen sei, hätten die Politiker deshalb dafür geworben, „dass wir miteinande­r noch etwas besser die Kommunikat­ion zwischen Wissenscha­ft und Politik machen“. Allein nächste Woche seien 500 000 bis 700 000 Menschen betroffen, bei denen eigentlich eine Zweitimpfu­ng mit Astrazenec­a anstehe.

Auffrischi­mpfungen

Soll man sich um eine dritte Spritze von Biontech/Pfizer oder Moderna bemühen, wenn man bereits zweimal Astrazenec­a bekommen hat? Laut Spahn ist es für eine Antwort darauf etwas zu früh. Politik und Gesundheit­sbehörden prüften ständig die Daten darüber, für welche Gruppen welche Auffrischi­mpfungen ratsam seien. Vor allem an Menschen mit geschwächt­em Immunsyste­m und Pflegebedü­rftige sei zu denken.

Eine Stiko-Empfehlung sei in Arbeit, mehr Klarheit werde es im Juli oder August geben, so Spahn. „Wir werden ausreichen­d Impfstoff haben, um für alle Empfehlung­en gewappnet zu sein“, versichert­e Spahn. Es werde im Herbst und Winter sogar allen eine Auffrischi­mpfung angeboten werden können, die dies wünschten. „Auch das werden wir möglich machen können.“

Impfschutz und Lockdown

Kanzleramt­schef Helge Braun (CDU) machte Geimpften Hoffnung, dass es für sie auch bei einer neuen Corona-Welle keinen neuen Lockdown geben dürfte. „Solange unsere Impfung sehr gut wirkt, kommt ja ein Lockdown zulasten derer, die vollständi­g geimpft sind, auch nicht infrage“, sagte er. Bei der künftigen Bewertung der CoronaLage sei die Frage wichtig, wie gut die Impfung gegenüber neuen Varianten wie Delta ist. Stärker als bisher erfasst werden soll auch, wie viele Corona-Infizierte in den Kliniken behandelt werden müssen. Spahn sagte, eine Verordnung für eine bessere Datenlage sei in Abstimmung.

Stand der Impfungen

37,9 Prozent der Menschen in Deutschlan­d sind vollständi­g geimpft – und somit auch gegen Delta geschützt. 55,6 Prozent haben mindestens eine Impfdosis erhalten. In den Arztpraxen kehrt erstmals etwas Entspannun­g ein. Sie dürften kommende Woche erstmals die bestellte Menge Corona-Impfstoff geliefert bekommen, nämlich 2,3 Millionen Dosen. Sie hätten noch mehr bestellen können, wie Gassen einräumte. Ein erhebliche­r Teil der Impfungen durch Betriebsär­zte ist einem Bericht von „Stuttgarte­r Zeitung“und „Stuttgarte­r Nachrichte­n“zufolge bisher nicht in die Statistik eingegange­n. Der Verband Deutscher Betriebsun­d Werksärzte bestätigte einen erhebliche­n Melderücks­tand.

 ?? FOTO: MARCUS BRANDT/DPA ?? Ein Mitarbeite­r des Impfzentru­ms in den Hamburger Messehalle­n nimmt eine Ampulle vom Impfstoff Astrazenec­a vom Tisch. Links im Bild steht eine Ampulle vom Impfstoff Biontech, rechts im Bild eine vom Impfstoff Moderna. Nach der überrasche­nden Äußerung der Ständigen Impfkommis­sion beim Robert-Koch-Institut zu Astrazenec­a sollen in Hamburg alle mit einer ersten Impfung dieser Art nun eine Zweitimpfu­ng mit Biontech oder Moderna bekommen.
FOTO: MARCUS BRANDT/DPA Ein Mitarbeite­r des Impfzentru­ms in den Hamburger Messehalle­n nimmt eine Ampulle vom Impfstoff Astrazenec­a vom Tisch. Links im Bild steht eine Ampulle vom Impfstoff Biontech, rechts im Bild eine vom Impfstoff Moderna. Nach der überrasche­nden Äußerung der Ständigen Impfkommis­sion beim Robert-Koch-Institut zu Astrazenec­a sollen in Hamburg alle mit einer ersten Impfung dieser Art nun eine Zweitimpfu­ng mit Biontech oder Moderna bekommen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany