Beleidigtsein ist keine Lösung
Es mögen eher Stolperer sein als Fehltritte, die Annalena Baerbock unterlaufen sind. Nebeneinkünfte zu spät angegeben, Lebenslauf ungenau, vielleicht auch aufgehübscht, nun schnell ein Buch geschrieben und manches offenbar wörtlich übernommen – jedes Mal kann man mit Sicherheit gravierendere Verfehlungen anderer Politiker finden. Allerdings werden die vielen kleinen oder mittelgroßen Fehler nun zu einem sehr großen Problem für die Grünen und ihre Kanzlerkandidatin.
Die Partei hat unterschätzt, was öffentlich jedem und jeder blüht, die sich heute um ein politisches Spitzenamt bemüht. Das ist unprofessionell. Denn der Scheinwerferkegel leuchtet erbarmungslos jede noch so kleine Ecke im Lebenslauf aus. In den sozialen Netzwerken herrscht ein scharfer, oft an die Grenzen des strafrechtlich Bewehrten reichender Ton. Das ist bedenklich – und mit Sicherheit sind Frauen oftmals einer anderen, übergriffigeren Art von Kritik ausgesetzt als Männer. Ebenso klar und bedenklich ist auch, dass es gezielte Attacken aus dem Ausland oder interessierten politischen Gruppen geben kann.
Aber wie gesagt: All das trifft nicht allein die Grünen. Die zeichnen sich allerdings von Berlin bis BadenWürttemberg durch eine gewisse Ungeduld mit den Medien aus – bis in die Stuttgarter Staatskanzlei hinauf. Kritiker, so meinen offenkundig zahlreiche Grüne, haben den Kurs der Partei und ihres Spitzenpersonals schlicht nicht verstanden. Unwirsch konterte etwa Südwest-Ministerpräsident Winfried Kretschmann jede Frage zum erheblichen und damit teuren Personalaufbau in ebendieser Staatskanzlei. Auch aus Berlin klingt derzeit viel Empörung. Doch mediale Kritik gehört zum Geschäft, einen Umgang damit zu finden, ebenso. Wohin ein Dauerbeleidigtsein wegen angeblich unberechtigter schlechter Presse führen kann, ist am Beispiel der Südwest-CDU zu bewundern. Deren Niederlagen schob die ehemals stärkste Kraft zwei Legislaturperioden lang zumindest in Teilen auf die Medien, statt nach Problemen in den eigenen Reihen zu suchen. Gebracht hat es nur einen weiteren Absturz in der Wählergunst.