Starpoetin über Nacht
Mit ihrem Auftritt bei Bidens Amtseinführung wurde Amanda Gorman weltbekannt – Jetzt erscheint ihr erstes Buch
Es war nur ein kurzer Auftritt, doch er machte sie über Nacht zum Star: In ihrem ganz eigenen Rhythmus, mit vielen Gesten und großem Charisma rezitierte Amanda Gorman ihr Gedicht „The Hill We Climb“bei der Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden am 20. Januar. Danach setzte ein Hype um die 22-jährige schwarze US-Amerikanerin ein, der bemerkenswert ist für eine junge Schriftstellerin und noch viel ungewöhnlicher für eine Lyrikerin.
Ihr Auftritt bei der Amtseinführung wurde bei YouTube mehrere Millionen Male angesehen. Als erste Poetin trug sie auch beim Super Bowl – dem US-Sportereignis des Jahres – ein Gedicht vor. Sie unterschrieb einen Model-Vertrag und war auf dem Cover des „Time Magazine“. Für die Titelgeschichte wurde sie von Michelle Obama interviewt. Das Magazin kürte Gorman jüngst zu einer der 100 künftig einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt.
Ihr Gedicht „The Hill We Climb“erscheint am 30. März in Buchform, auch auf Deutsch, und wurde bereits vielfach vorbestellt. Zwei weitere Bücher sollen im September folgen, ein Gedichtband und ein Kinderbuch.
Mittlerweile hat sie auf Instagram 3,5 Millionen und bei Twitter 1,5 Millionen Follower sowie mehrere Fanclubs. Sie selbst nutzte soziale Medien erst spät. Denn ihre alleinerziehende Mutter, eine Lehrerin, war streng. Um TV-Sendungen wie „America’s Next Top Model“mit ihrer Zwillingsschwester sehen zu dürfen, habe sie zuerst genau begründen müssen, warum dies für ihre Persönlichkeitsentwicklung wichtig sei. Da habe sie nur ein paar Minuten herausschlagen können, wie sie kürzlich lachend in einem Interview mit Hillary Clinton erzählte.
Ob Klimawandel, Abtreibungsrecht oder „Black Lives Matter“-Bewegung:
Amanda Gorman, die 2017 zur ersten „National Youth Poet Laureate“(nationale Jugendpoetin) gekürt wurde, bezieht Stellung für Frauenrechte und gegen Rassismus. In ihrem Gedicht „Earthrise“bezeichnet sie den Klimawandel als größte Herausforderung. „Kunst ist immer auch politisch“, erklärt Gorman, die an der Eliteuniversität Harvard Soziologie studiert hat. Sie sieht sich als politische Aktivistin wie Greta Thunberg oder die pakistanische Kinderrechtsaktivistin Malala. Dabei sei sie jedoch nicht allein: „Für jede Amanda gibt es unzählige weitere wie mich.“Von sich selbst spricht sie als einem „dünnen schwarzen Mädchen, dessen Vorfahren Sklaven waren“und das einen Sprachfehler mit viel Üben überwunden hat.
Seit der sechsten Klasse hat sie nach eigenen Angaben ihr Ziel genau vor Augen: Sie möchte 2036 für die US-Präsidentschaft kandidieren. Dabei achtet sie sorgfältig auf ihr Image: „Ich bin vorsichtig, welche Bilder von mir da draußen sind“– eine Erklärung, warum sie nur selten auf Selfies mit Freunden zu sehen ist.
Es gebe besonders an schwarze Frauen eine hohe Erwartung, was Kleidung, Make-up und Haare betreffe. „All das hat eine politische Bedeutung“, sagte Gorman in einem Interview. Nicht umsonst seien die schwarzen Bürgerrechtler der 1950er- und 1960er-Jahre in ihrer Sonntagskleidung auf die Straße gegangen. Für die Amtseinführung entschied sie sich für einen knallgelben Mantel und ein rotes Haarband von Prada.
Wie wichtig die Präsentation für Amanda Gorman ist, hat auch die Heidelberger Literaturwissenschaftlerin Caitlin Smith beobachtet. Nicht nur der „sehr präzise Redestil“, auch die Gesten, die Intonation, der Rhythmus und die Körpersprache spielten dabei eine Rolle, sagte Smith. Gormans Gedicht „Der Hügel, den wir erklimmen“sei eine perfekte Metapher für Amerika, das noch auf dem Weg nach oben ist. In ihrem Gedicht verwende die Katholikin, die Mitglied der St. Brigid Church in Los Angeles ist, immer wieder auch religiöse Bilder und Symbole etwa aus der Bergpredigt.
Dabei wandle Gorman geschickt zwischen der dominierenden weißen Kultur und ihren afroamerikanischen Wurzeln. Sie mische „sehr zugänglich und gleichzeitig sehr kontrolliert“ traditionelle afroamerikanische Elemente wie den Rhythmus des Hip-Hop mit weißer Standardsprache, erläutert Smith.
Lange Zeit sei Lyrik nur als hohe Schreibkunst „toter weißer alter Männer“verstanden und in Schulen gelehrt worden, kritisiert Gorman. Auch Caitlin Smith betont, dass Dichtkunst schon immer im Alltag eine Rolle gespielt habe, auch wenn sie nicht so wahrgenommen werde: „Lyrik ist überall um uns, als Rap auf den Schulhöfen und auch in den Straßen.“Und mit Amanda Gorman jetzt auch auf der Weltbühne.