Weniger wäre mehr
Wenn sich EU-Politiker über das schlechte Image der Union beklagen, dann verweisen sie gern auf das SchwarzerPeter-Spiel. Jeden Erfolg würden die nationalen Politiker für sich reklamieren, Pleiten, Pech und Pannen aber Brüssel zuschieben. Daran ist viel Wahres. Die Regierungen neigen dazu, die EU-Kommission mit neuen Aufgaben einzudecken und sich dann über deren mangelhafte Ausführung zu beschweren. Der gemeinsame Impfstoffkauf und der CoronaHilfsfonds sind nur zwei Beispiele.
Wahr ist aber auch, dass die EUKommission wie jede Organisationsstruktur die Neigung hat, ständig mehr Kompetenzen an sich zu ziehen. Bevor man sich blamiert, könnte man auch einfach einmal „Nein“sagen. Jean-Claude Juncker hat das versucht. Er kannte das Schwarzer-PeterSpiel aus der Perspektive des Regierungschefs. Daraus hat er nach dem Seitenwechsel als Kommissionspräsident Konsequenzen gezogen und gelegentlich versucht, den Ball an die Mitgliedsstaaten zurückzuspielen.
Ursula von der Leyen tut das nicht. Sie ist ein völlig anderer Charakter als ihr Vorgänger. Statt Junckers abgeklärter, leicht zynischer Zurückhaltung zeigt sie 120-prozentiges Engagement, verbringt ihre Nächte im Kommissionsgebäude, stilisiert sich zur obersten Gesundheitswächterin der Europäer und weist auch sonst keine Zumutung zurück. Ihrem Bild in der Öffentlichkeit ist das bislang nicht gut bekommen. Sogar die Franzosen, die sie mit großen Erwartungen ins Amt begleiteten, sind ernüchtert. Sie haben genug von lächelnden Videobotschaften wie aus der Zahnpasta-Werbung, in denen die Chefin die Probleme nicht beim Namen nennt und nur ihrer Begeisterung für Europa in immer neuen Worten Ausdruck verleiht.
Wenn Ursula von der Leyen sich den Respekt der Europäer verdienen will, sollte sie weniger Energie in Öffentlichkeitsarbeit und mehr in Problembewältigung stecken. Sie sollte ihre Kräfte auf das Machbare konzentrieren und neue Aufgaben vorsichtig prüfen, bevor sie sich ein weiteres Mal so überhebt wie beim missglückten Poker mit Big Pharma.