Bund lobt sich beim Wohnungsbau selbst
Bahn testet in Renningen Minimarkt ganz ohne Personal – Handel sieht enormes Sparpotenzial
(dpa) - Die Bundesregierung verbucht die eigene Wohnungspolitik als Erfolg. Man habe „doch einiges zustande gebracht“, stellte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag in Berlin fest. Bauminister Horst Seehofer (CSU) sprach gar von einer „stolzen Bilanz“zweieinhalb Jahre nach dem Wohngipfel, bei dem sich die Große Koalition hohe Ziele gesteckt hatte. Aus Sicht der Immobilienbranche hat die „Wohnraumoffensive“wichtige Probleme eher nicht gelöst.
- In Corona-Zeiten ist der „Selbst-Check-Out“als selbstständiges Bezahlen in Supermärkten und Drogerien besonders gefragt. Doch selbst hier wacht immer noch Kassenpersonal über das Geschehen im Ausgang – und betreut die Kunden, die mit dem Scanner nicht zurechtkommen. Die Deutsche Bahn und Edeka erweitern diesen Grundgedanken nun: Am Bahnhof Renningen im Landkreis Böblingen testet sie einen Minimarkt, der fast ganz ohne Personal auskommt.
Die Kunden wählen hier ihre Waren am Bildschirm aus und erhalten sie in einem Ausgabeschacht – der Laden arbeitet also noch wie ein überdimensionaler Automat. Das Konzept ist angelegt für eine Einrichtung, die an einem Bahnhof rund um die Uhr geöffnet sein soll. Doch „Edeka 24/7“markiert nur den Anfang dessen, was noch möglich ist. Die Bahn klinkt sich mit ihrem Konzept in einen weltweiten Trend zur radikalen Personaleinsparung im Einzelhandel ein. Was die Bahn am „Zukunftsbahnhof Renningen“als Neuheit präsentiert, ist in China oder den USA bereits im Praxiseinsatz.
Bei der Entwicklung von Supermärkten, die fast ohne Mitarbeiter auskommen, mischen Großkonzerne wie Amazon und Alibaba ebenso mit wie Start-ups, beispielsweise AiFI aus den USA oder Bingo-Box aus China. Am Amsterdamer Flughafen Shiphol steht beispielsweise schon seit 2019 ein Minimarkt-Container ohne Personal und Kassierer, der von der Handelskette Albert Heijn bestückt wird. In Japan testet die Nachbarschaftsladenkette Lawson zusammen mit dem Technikkonzern Fujitsu derzeit ebenfalls Einkaufen ohne Berührungspunkte. Die Identifikation der Kunden erfolgt hier wahlweise per Gesichtserkennung oder per Auslesung des Musters der Blutgefäße in der Handfläche.
Eines der reifsten Konzepte setzt die Supermarktkette „Hema“in China um, die zum Handelskonzern Alibaba gehört. Die Kunden scannen die Artikel mit ihrem eigenen Handy, wenn sie sie in den Einkaufskorb legen. Vor dem Hinausgeben bezahlen sie die Waren per Bestätigung in der Bezahl-App Alipay per Fingerabdruck oder Gesichtserkennung. Sie können die Sachen auch am Ausgang scannen und dann mit Gesichtserkennung bezahlen. Voraussetzung ist aber auf jeden Fall ein Benutzerkonto bei der AlibabaHandelsgruppe. Der Konzern kann so Daten über die Käufer sammeln.
In China gehen derzeit jedoch noch weit futuristischere Konzepte in den Praxiseinsatz. In den Selbstbedienungs-Minimärkten „BingoBox“müssen die Kunden ihre Waren am Ausgang nur einem Computerterminal vorzeigen. In der ersten Generation wurden dazu auf einer Kontaktfläche kleine Transponder-Chips in der Verpackung gescannt, doch inzwischen läuft der Vorgang mit optischer Objekterkennung. Schon während sich die Kunden im Laden bewegen, registriert der Computer, welche Produkte sie mitnehmen. Die Personalersparnis der Bingo-Box ist gewaltig. Vier Mitarbeiter betreuen 40 Läden.
Bisher müssen sich die Kunden noch am Eingang der Bingo-Box mit einem Barcode anmelden, es ist aber eine vollständige Umstellung auf Gesichtserkennung geplant. Der Alibaba-Konzern hat die Idee in seinem „Taocafé“bereits umgesetzt. Die Kunden können hineingehen, werden erkannt, können sich an Snacks und kleinen Waren wie T-Shirts nehmen, was sie wollen, und wieder herausspazieren. Es ist also künftig gar keine weitere Handlung des Käufers nötig: kein Scannen und keine Bestätigung des Warenkorbs oder Bezahlvorgangs. Die Künstliche Intelligenz sieht alles und handelt entsprechend. Es gibt wohl noch Probleme, wenn zwei Kunden über Kreuz nach Artikeln greifen oder sich um eine Ware streiten, die dann bei einem im Rucksack landet, aber in den meisten Fällen liegt das Erkennungssystem auch in solchen schwierigen Fällen richtig.
In den USA hat die Bingo-Box ihre genaue Entsprechung im „Nano-Store“von AiFi. In der Praxis ist in Nordamerika aber bisher Amazon mit eigenen, volldigitalen Läden der Vorreiter. Das Konzept heißt „Amazon Go“und entwickelt sich ständig weiter. Seit dem vergangenen Jahr eröffnet der Einzelhandels-Weltmarktführer auch richtiggehende Supermärkte mit Frischwaren – ganz ohne Kassen oder Scan-Stationen. Wie in China ist keine Geldbörse mehr nötig, nur das Handy und der AmazonAccount. Auch hier registrieren Sensoren, was der Kunde mitnimmt, die Abrechnung erfolgt automatisch. Auf Gesichtserkennung verzichtet Amazon aus Gründen des Datenschutzes. Ladendiebstahl ist daher schwierig und kommt tatsächlich auch zu 90 Prozent seltener vor als in konventionellen Märkten.
Eine ganze Salve neuer Fachbegriffe verbreitet sich angesichts dieser Trends im Einzelhandel: „autonomes Retail”, „friktionsloser Check-Out“, „smarte Regale“– gemeint ist aber auch immer: radikale Einsparung von Personal. In Deutschland arbeiten rund drei Millionen Beschäftigte im Einzelhandel. Wie viele davon vor allem an der Kasse sitzen, ist nicht bekannt – fest steht aber, dass zahlreiche Jobs wegfallen könnten.
Bei dem Versuch, die in China und den USA verbreiteten Techniken einzuführen, dürften sich in Deutschland zudem Datenschutzbedenken auftun. Die Vorbehalte gegen Gesichtserkennung und Verhaltensüberwachung durch Computer sind in Europa deutlich größer als in China. Befürworter sehen dagegen in dem Konzept den nächsten Evolutionsschritt im Handel. Schon der Übergang zum heute üblichen Selbstbedienungs-Supermarkt hat nach dem Zweiten Weltkrieg enorm viel Verkaufspersonal in den Geschäften eingespart.
Ein Video von dem digitalen Supermarkt-Projekt sehen Sie auf www.schwaebische.de/markt