Scholz glaubt an mehr als 20 Prozent
SPD nominiert Finanzminister als Kanzlerkandidaten – Söder nennt Zeitpunkt verheerend
- Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zieht als Kanzlerkandidat seiner Partei in die Bundestagswahl 2021. „Ich freue mich über die Nominierung, und ich will gewinnen“, sagte er am Montag. Als Ziel gab er aus, mit einem Programm für eine moderne Wirtschaftspolitik, starke Arbeitnehmerrechte und schärferen Klimaschutz mehr als 20 Prozent der Wählerstimmen holen zu wollen.
Zugleich stellte der Finanzminister klar, dass sich die SPD durch seine frühzeitige Ausrufung als Kanzlerkandidat nicht aus der Regierungsarbeit der GroKo verabschieden wolle. „Wir regieren, und das werden wir auch weiter tun. Der Wahlkampf beginnt nicht heute“, sagte Scholz bei einer Pressekonferenz mit den SPD-Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
Der Parteivorstand hatte Scholz zuvor einstimmig als Kanzlerkandidaten nominiert. Eine Bestätigung auf einem Parteitag ist danach nicht mehr nötig. Die SPD ist damit die erste im Bundestag vertretene Partei mit einem Kanzlerkandidaten für die Wahl im nächsten Jahr.
Scholz machte deutlich, dass er für die Zeit nach der Wahl keine Fortsetzung der Großen Koalition wolle, sondern eine Koalition unter Führung seiner Partei das Ziel sei. Die Große Koalition sei kein „Normalmodell“. Es könne der Eindruck entstehen, dass Lösungen im Hinterzimmer ausgehandelt würden. Auch Esken betonte den Anspruch der SPD, die nächste Regierung zu führen. Für die Durchsetzung ihrer Ziele benötige die Partei „progressive
Mehrheiten“, die sie „als stärkste Kraft anführen“wolle.
SPD und Linke haben sich bereits offen für ein rot-rot-grünes oder auch grün-rot-rotes Bündnis gezeigt, die Grünen äußern sich dazu derzeit aber nicht – und halten sich somit auch die Option Schwarz-Grün offen. SPD, Linke und Grüne hätten nach aktuellen Umfragen bei einer Bundestagswahl keine Mehrheit, Union und Grüne dagegen sehr wohl.
Scholz ist bei der Bevölkerung Umfragen zufolge der beliebteste SPD-Politiker und hatte sich in der Corona-Krise profiliert. In der SPD selbst ist er allerdings umstritten – vor allem beim linken Flügel. Deren Vertreterin, die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, sagte der „Schwäbischen Zeitung“, Scholz zum Kanzlerkandidaten einer nach links gerückten Partei zu machen, sei für sie „irritierend“.
Positiv reagierte dagegen der für Biberach und Oberschwaben zuständige SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Gerster: „Er kann’s.“Der Finanzminister leiste in der CoronaKrise hervorragende Regierungsarbeit. Auch der baden-württembergische SPD-Landeschef Andreas Stoch begrüßte die Nominierung von Scholz: „Das ist ein ganz hervorragender Vorschlag unserer Parteispitze.“Scholz habe als Finanzminister und Vizekanzler in der Corona-Krise gezeigt, „dass er das Land gut und mit Augenmaß führen kann“.
Unverständnis für den Zeitpunkt der Nominierung äußerte CSU-Chef Markus Söder. „Kein Mensch in Deutschland hat Verständnis dafür, dass wir jetzt über Wahlkampf reden“, sagte er. Scholz’ frühe Nominierung sei „verheerend für die weitere Zusammenarbeit zum Thema Coronabekämpfung“.
- Der neue Star der SPD lässt den alten den Vortritt. 15 Minuten lang steht Olaf Scholz am Montag bei der Pressekonferenz im Berliner Gasometer zwischen Norbert WalterBorjans und Saskia Esken und schweigt. Eine Viertelstunde lang loben die beiden SPD-Parteichefs abwechselnd die Erfolge der SPD, dann darf der frisch gekürte Kanzlerkandidat sprechen.
„Wir stehen hier, weil wir eine Regierung anführen wollen“, sagt der aktuelle Vizekanzler. Doch mit welchem Programm und in welcher Regierungskonstellation das sein könnte, lässt Scholz in letzter Konsequenz offen. Dabei hatten seine beiden Nebenleute erst am Wochenende für ein linkes Regierungsbündnis aus SPD, Linkspartei und Grünen getrommelt: Eine Koalition mit der Linken, wie sie Walter-Borjans ins Spiel gebracht hatte, kann sich der Finanzminister auch vorstellen – wenn sich die Linke inhaltlich bewegt: „Es hängt an den anderen, nicht an uns“, sagt Scholz. Ein Bündnis unter grüner Kanzlerschaft, wie sie sich Esken vorstellen kann, will er vermeiden. Die SPD brauche ein gutes Ergebnis, um einen „Führungsanspruch“formulieren zu können.
Die Nominierung des Finanzministers zum Ende der Sommerferien in Berlin ist inhaltlich wenig verwunderlich: Scholz gilt seit Monaten als Favorit der SPD. Die Umfragewerte des Vizekanzlers sind gut, er gilt als beliebtester SPD-Politiker. Selbst frühere Kritiker wie Juso-Chef Kevin Kühnert lobten den Minister zuletzt. Auch wenn Scholz kürzlich im Wirecard-Skandal unter Druck geraten ist, gibt es viel Lob für seine CoronaPolitik. Martin Gerster, oberschwäbischer SPD-Vize im Haushaltsausschuss des Bundestags, lobt den Minister. „Olaf Scholz macht in diesen schweren Zeiten einen echt hervorragenden Job als Finanzminister und als Vizekanzler. Ich habe größten Respekt vor seiner Arbeit. Scholz beweist Entscheidungskraft und Bereitschaft, uns aus der Krise zu führen. Gleichzeitig strahlt er Souveranität, gepaart mit einem Funken trockenem Humor aus“, sagt er der „Schwäbischen Zeitung“.
Doch zumindest zeitlich ist die Nominierung ein Coup, denn die Berliner Politszene war eigentlich von September ausgegangen. Die Sozialdemokraten wollen nach früheren Stolperstarts möglichst sortiert in den Wahlkampf zur Bundestagswahl im Herbst 2021 gehen. Scholz soll so einen klaren Vorsprung vor den Kanzlerkandidaten von Union und Grünen bekommen, und die Partei auch Zeit finden, sich hinter dem
Minister zu sammeln. Denn erst im Oktober hatte die SPD-Basis Scholz beim Rennen um den Parteivorsitz eine Niederlage verpasst – und stattdessen die eher unbekannten Parteilinken Walter-Borjans und Esken gewählt. Der Finanzminister stand damals insbesondere bei der Partelinken für ein Weiter-so in der von den Genossen ungeliebten Großen Koalition. Seit der Wahlniederlage ihres damaligen Spitzenkandidaten Peer Steinbrück ist die SPD Juniorpartner der CDU/CSU unter Kanzlerin Angela Merkel – und rutscht von Wahl zu Wahl weiter ab.
Dass Kurs und Regierungspartnerwahl zum Problem werden könnte, sieht Baden-Württembergs Landesparteichef Andreas Stoch nicht. „Es ist doch wohl selbstverständlich, dass die SPD Bündnisse jenseits der CDU anstrebt“, erklärt er. Die GroKo sei schon nach der letzten Bundestagswahl „alles andere als ein Traumziel“gewesen. Scholz habe als Hamburger Regierungschef gut mit den Grünen regiert. „Und die Linke ist ja auch längst kein Schreckgespenst mehr“, erklärt Stoch. Zudem gebe es noch andere Bündnisse – und abgerechnet werde zum
Schluss. Parteilinke wie die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis fürchten hingegen, dass die Partei alte Fehler wiederholt, in denen Kandidaten wie Steinbrück nicht zum Wahlprogramm passten. Scholz zum Kanzlerkandidaten einer nach links gerückten Partei zu machen, ist für sie „irritierend“, sagt sie der „Schwäbischen Zeitung“.
Sie erinnert an ein Zitat, das dem Physiker Albert Einstein zugeschrieben wird. Der gebürtige Ulmer soll erklärt haben, dass es Wahnsinn sei, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.
Dass die SPD nicht einmal ein Jahr nach dem Mitgliederentscheid die „Reset-Taste“drückt und so tut, als sei nichts gewesen, kann Mattheis nicht recht verstehen.
Auch Mattheis’ SPD-Wahlkreisnachbar Karl-Heinz Brunner denkt bei Scholz an Steinbrück. Aber ganz anders als die Ulmerin sieht der Bundestagsabgeordnete aus Illertissen die Partei in der Pflicht. „Olaf Scholz braucht nun vom Parteivorstand die Beinfreiheit, die man einst Peer Steinbrück nicht gegeben hat. Ich sage es ganz deutlich, Scholz braucht diese Bewegungsfreiheit, um in Deutschland etwas zu bewegen“, sagt er der „Schwäbischen Zeitung“. Steinbrück hatte 2012 vergeblich „Beinfreiheit“eingefordert. „Der Kandidat und das Parteiprogramm müssen zusammenpassen, damit die deutschen Wähler wissen, dass sie mit Scholz eine deutsche Sozialdemokratie wählen, die Volkspartei ist und regieren will“, sagt Brunner.
Im Berliner Gasometer ist auch die Beinfreiheit und das für kommenden März erwartete Parteiprogramm Thema. Es werde nicht das Programm des Kandidaten sein, aber auch kein übergestülptes, versprechen sie. Scholz verspricht ein Zukunftsprogramm der Partei für die 2020er-Jahre. Er sieht seine Partei in ungewohnter Einigkeit. Die SPD sei in den vergangenen Monaten „Stück für Stück“zusammengewachsen. „Nun machen wir gemeinsam was draus“, sagt er.