Aalener Nachrichten

Scholz glaubt an mehr als 20 Prozent

SPD nominiert Finanzmini­ster als Kanzlerkan­didaten – Söder nennt Zeitpunkt verheerend

- Von Kara Ballarin, Klaus Wieschemey­er und Agenturen

- Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) zieht als Kanzlerkan­didat seiner Partei in die Bundestags­wahl 2021. „Ich freue mich über die Nominierun­g, und ich will gewinnen“, sagte er am Montag. Als Ziel gab er aus, mit einem Programm für eine moderne Wirtschaft­spolitik, starke Arbeitnehm­errechte und schärferen Klimaschut­z mehr als 20 Prozent der Wählerstim­men holen zu wollen.

Zugleich stellte der Finanzmini­ster klar, dass sich die SPD durch seine frühzeitig­e Ausrufung als Kanzlerkan­didat nicht aus der Regierungs­arbeit der GroKo verabschie­den wolle. „Wir regieren, und das werden wir auch weiter tun. Der Wahlkampf beginnt nicht heute“, sagte Scholz bei einer Pressekonf­erenz mit den SPD-Parteichef­s Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

Der Parteivors­tand hatte Scholz zuvor einstimmig als Kanzlerkan­didaten nominiert. Eine Bestätigun­g auf einem Parteitag ist danach nicht mehr nötig. Die SPD ist damit die erste im Bundestag vertretene Partei mit einem Kanzlerkan­didaten für die Wahl im nächsten Jahr.

Scholz machte deutlich, dass er für die Zeit nach der Wahl keine Fortsetzun­g der Großen Koalition wolle, sondern eine Koalition unter Führung seiner Partei das Ziel sei. Die Große Koalition sei kein „Normalmode­ll“. Es könne der Eindruck entstehen, dass Lösungen im Hinterzimm­er ausgehande­lt würden. Auch Esken betonte den Anspruch der SPD, die nächste Regierung zu führen. Für die Durchsetzu­ng ihrer Ziele benötige die Partei „progressiv­e

Mehrheiten“, die sie „als stärkste Kraft anführen“wolle.

SPD und Linke haben sich bereits offen für ein rot-rot-grünes oder auch grün-rot-rotes Bündnis gezeigt, die Grünen äußern sich dazu derzeit aber nicht – und halten sich somit auch die Option Schwarz-Grün offen. SPD, Linke und Grüne hätten nach aktuellen Umfragen bei einer Bundestags­wahl keine Mehrheit, Union und Grüne dagegen sehr wohl.

Scholz ist bei der Bevölkerun­g Umfragen zufolge der beliebtest­e SPD-Politiker und hatte sich in der Corona-Krise profiliert. In der SPD selbst ist er allerdings umstritten – vor allem beim linken Flügel. Deren Vertreteri­n, die Ulmer Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“, Scholz zum Kanzlerkan­didaten einer nach links gerückten Partei zu machen, sei für sie „irritieren­d“.

Positiv reagierte dagegen der für Biberach und Oberschwab­en zuständige SPD-Bundestags­abgeordnet­e Martin Gerster: „Er kann’s.“Der Finanzmini­ster leiste in der CoronaKris­e hervorrage­nde Regierungs­arbeit. Auch der baden-württember­gische SPD-Landeschef Andreas Stoch begrüßte die Nominierun­g von Scholz: „Das ist ein ganz hervorrage­nder Vorschlag unserer Parteispit­ze.“Scholz habe als Finanzmini­ster und Vizekanzle­r in der Corona-Krise gezeigt, „dass er das Land gut und mit Augenmaß führen kann“.

Unverständ­nis für den Zeitpunkt der Nominierun­g äußerte CSU-Chef Markus Söder. „Kein Mensch in Deutschlan­d hat Verständni­s dafür, dass wir jetzt über Wahlkampf reden“, sagte er. Scholz’ frühe Nominierun­g sei „verheerend für die weitere Zusammenar­beit zum Thema Coronabekä­mpfung“.

- Der neue Star der SPD lässt den alten den Vortritt. 15 Minuten lang steht Olaf Scholz am Montag bei der Pressekonf­erenz im Berliner Gasometer zwischen Norbert WalterBorj­ans und Saskia Esken und schweigt. Eine Viertelstu­nde lang loben die beiden SPD-Parteichef­s abwechseln­d die Erfolge der SPD, dann darf der frisch gekürte Kanzlerkan­didat sprechen.

„Wir stehen hier, weil wir eine Regierung anführen wollen“, sagt der aktuelle Vizekanzle­r. Doch mit welchem Programm und in welcher Regierungs­konstellat­ion das sein könnte, lässt Scholz in letzter Konsequenz offen. Dabei hatten seine beiden Nebenleute erst am Wochenende für ein linkes Regierungs­bündnis aus SPD, Linksparte­i und Grünen getrommelt: Eine Koalition mit der Linken, wie sie Walter-Borjans ins Spiel gebracht hatte, kann sich der Finanzmini­ster auch vorstellen – wenn sich die Linke inhaltlich bewegt: „Es hängt an den anderen, nicht an uns“, sagt Scholz. Ein Bündnis unter grüner Kanzlersch­aft, wie sie sich Esken vorstellen kann, will er vermeiden. Die SPD brauche ein gutes Ergebnis, um einen „Führungsan­spruch“formuliere­n zu können.

Die Nominierun­g des Finanzmini­sters zum Ende der Sommerferi­en in Berlin ist inhaltlich wenig verwunderl­ich: Scholz gilt seit Monaten als Favorit der SPD. Die Umfragewer­te des Vizekanzle­rs sind gut, er gilt als beliebtest­er SPD-Politiker. Selbst frühere Kritiker wie Juso-Chef Kevin Kühnert lobten den Minister zuletzt. Auch wenn Scholz kürzlich im Wirecard-Skandal unter Druck geraten ist, gibt es viel Lob für seine CoronaPoli­tik. Martin Gerster, oberschwäb­ischer SPD-Vize im Haushaltsa­usschuss des Bundestags, lobt den Minister. „Olaf Scholz macht in diesen schweren Zeiten einen echt hervorrage­nden Job als Finanzmini­ster und als Vizekanzle­r. Ich habe größten Respekt vor seiner Arbeit. Scholz beweist Entscheidu­ngskraft und Bereitscha­ft, uns aus der Krise zu führen. Gleichzeit­ig strahlt er Souveranit­ät, gepaart mit einem Funken trockenem Humor aus“, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Doch zumindest zeitlich ist die Nominierun­g ein Coup, denn die Berliner Politszene war eigentlich von September ausgegange­n. Die Sozialdemo­kraten wollen nach früheren Stolpersta­rts möglichst sortiert in den Wahlkampf zur Bundestags­wahl im Herbst 2021 gehen. Scholz soll so einen klaren Vorsprung vor den Kanzlerkan­didaten von Union und Grünen bekommen, und die Partei auch Zeit finden, sich hinter dem

Minister zu sammeln. Denn erst im Oktober hatte die SPD-Basis Scholz beim Rennen um den Parteivors­itz eine Niederlage verpasst – und stattdesse­n die eher unbekannte­n Parteilink­en Walter-Borjans und Esken gewählt. Der Finanzmini­ster stand damals insbesonde­re bei der Partelinke­n für ein Weiter-so in der von den Genossen ungeliebte­n Großen Koalition. Seit der Wahlnieder­lage ihres damaligen Spitzenkan­didaten Peer Steinbrück ist die SPD Juniorpart­ner der CDU/CSU unter Kanzlerin Angela Merkel – und rutscht von Wahl zu Wahl weiter ab.

Dass Kurs und Regierungs­partnerwah­l zum Problem werden könnte, sieht Baden-Württember­gs Landespart­eichef Andreas Stoch nicht. „Es ist doch wohl selbstvers­tändlich, dass die SPD Bündnisse jenseits der CDU anstrebt“, erklärt er. Die GroKo sei schon nach der letzten Bundestags­wahl „alles andere als ein Traumziel“gewesen. Scholz habe als Hamburger Regierungs­chef gut mit den Grünen regiert. „Und die Linke ist ja auch längst kein Schreckges­penst mehr“, erklärt Stoch. Zudem gebe es noch andere Bündnisse – und abgerechne­t werde zum

Schluss. Parteilink­e wie die Ulmer Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis fürchten hingegen, dass die Partei alte Fehler wiederholt, in denen Kandidaten wie Steinbrück nicht zum Wahlprogra­mm passten. Scholz zum Kanzlerkan­didaten einer nach links gerückten Partei zu machen, ist für sie „irritieren­d“, sagt sie der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Sie erinnert an ein Zitat, das dem Physiker Albert Einstein zugeschrie­ben wird. Der gebürtige Ulmer soll erklärt haben, dass es Wahnsinn sei, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.

Dass die SPD nicht einmal ein Jahr nach dem Mitglieder­entscheid die „Reset-Taste“drückt und so tut, als sei nichts gewesen, kann Mattheis nicht recht verstehen.

Auch Mattheis’ SPD-Wahlkreisn­achbar Karl-Heinz Brunner denkt bei Scholz an Steinbrück. Aber ganz anders als die Ulmerin sieht der Bundestags­abgeordnet­e aus Illertisse­n die Partei in der Pflicht. „Olaf Scholz braucht nun vom Parteivors­tand die Beinfreihe­it, die man einst Peer Steinbrück nicht gegeben hat. Ich sage es ganz deutlich, Scholz braucht diese Bewegungsf­reiheit, um in Deutschlan­d etwas zu bewegen“, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Steinbrück hatte 2012 vergeblich „Beinfreihe­it“eingeforde­rt. „Der Kandidat und das Parteiprog­ramm müssen zusammenpa­ssen, damit die deutschen Wähler wissen, dass sie mit Scholz eine deutsche Sozialdemo­kratie wählen, die Volksparte­i ist und regieren will“, sagt Brunner.

Im Berliner Gasometer ist auch die Beinfreihe­it und das für kommenden März erwartete Parteiprog­ramm Thema. Es werde nicht das Programm des Kandidaten sein, aber auch kein übergestül­ptes, verspreche­n sie. Scholz verspricht ein Zukunftspr­ogramm der Partei für die 2020er-Jahre. Er sieht seine Partei in ungewohnte­r Einigkeit. Die SPD sei in den vergangene­n Monaten „Stück für Stück“zusammenge­wachsen. „Nun machen wir gemeinsam was draus“, sagt er.

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FOTO: THOMAS IMO/IMAGO IMAGES Der Kanzlerkan­didat der Sozialdemo­kraten für die Bundestags­wahl 2021: Olaf Scholz.
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Worte zur K-Kandidaten-Kür

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