Aalener Nachrichten

Kaltblütig geplante Wahnsinnst­at

Adrian S. hat beim Prozessauf­takt in Ellwangen gestanden, sechs Familienmi­tglieder erschossen zu haben – Hass auf die Mutter und Rachegefüh­le haben ihn nach eigenen Worten dazu getrieben

- Von Dirk Grupe

- Bevor Adrian S. von seiner panischen Angst, vergiftet zu werden, berichtet, von seinem Hass auf die Mutter, den Vater und die Halbschwes­ter und wie er sich in seine ganz eigene Welt flüchtete, sitzt er ganz still im Landgerich­t Ellwangen. Den Kopf gesenkt, die Hände wie zum Gebet gefaltet, lauscht er den Eingaben der Juristen. Der 27-Jährige trägt ausgewasch­ene Jeans und ein ungebügelt­es Freizeithe­md, unter den wuschelige­n Haaren sitzt eine Brille, er wirkt wie ein jugendlich­er Akademiker oder der ewige Student. Vielleicht etwas verschrobe­n, aber gewiss nicht wie jemand, der viele Jahre lang Mordgedank­en hegt, diese eiskalt plant und schließlic­h in brutaler Konsequenz ausführt.

Rot am See (Landkreis Schwäbisch Hall) am 24. Januar dieses Jahres, im Gasthaus Deutscher Kaiser in der Bahnhofstr­aße soll Adrian S. sechs Angehörige erschossen haben: seine Mutter, seinen Vater, seine Halbschwes­ter, seinen Halbbruder sowie eine Tante und einen Onkel. Zwei weitere Verwandte werden angeschoss­en, aber sie überleben. Kurz nach den Taten meldet er sich telefonisc­h bei der Polizei mit den Worten: „Ich habe die blutrünsti­gen Monster getötet.“Blutrünsti­g war aber wohl nur einer, nämlich Adrian S. selber, der nun vor dem Landgerich­t Ellwangen wegen Mordes in sechs Fällen angeklagt ist. An seiner Schuld besteht kein Zweifel. Fragen sind dennoch offen, vor allem eine: Was trieb den jungen Mann zu dieser Wahnsinnst­at?

Adrian S. wuchs in Lahr im Schwarzwal­d auf bei der Mutter, die getrennt vom Vater lebte. Erst vor rund zwei Jahren zog er zu dem Wirt nach Rot am See in den Deutschen Kaiser. Aber schon Jahre zuvor habe er einen Plan A geschmiede­t, so der 27-Jährige: „Ich wollte meine Mutter foltern.“Also hortet er Kabelbinde­r und Gaskartusc­hen, stellt sogar selber K.o.Tropfen her, lässt aber irgendwann von dem Vorhaben ab und fasst Plan B: Vater, Mutter und Halbschwes­ter sollen sterben. Deshalb tritt er in einen Schützenve­rein ein, wechselt zwischenze­itlich sogar zu einem anderen, um besser an großkalibr­ige Waffen zu kommen.

Zu Jahresbegi­nn soll der Plan schließlic­h aufgehen, als nach dem Tod der Großmutter eine Familientr­auerfeier ansteht. „Ich sah die

Chance gekommen, sie (die Angehörige­n, die Red.) gleichzeit­ig zu erwischen.“

Er kundschaft­et die Möglichkei­ten aus, kauft sich – durch seinen Waffensche­in ermöglicht – eine Pistole der Marke Walther, neun Millimeter. Und wartet im heimischen Gasthof auf die eintreffen­de Familie, die Adrian S. zu diesem Zeitpunkt in Stuttgart wähnt. Der versteckt sich aber im Obergescho­ss, kniet hinter einer Tür. Als er die Stimmen von Vater und Mutter hört, die nach oben kommen, zweifelt er kurz an seinen Mordabsich­ten. „Soll ich oder soll ich nicht?“Dann entsichert er seine Waffe. Und das Drama nimmt seinen Lauf. Den Vater, der ihn entdeckt, streckt er mit mehreren Schüssen nieder, die Mutter flieht und schreit um Hilfe. Er schießt ihr in den Rücken, sie kann sich noch in die Küche schleppen. Im Flur stürzt sich der Halbbruder auf ihn, Adrian S. feuert vier Kugeln auf ihn ab, danach tötet er einen Onkel im Eingangsbe­reich. Einen weiteren aus dem Haus flüchtende­n Onkel trifft er in den Oberkörper,

eine Tante am Arm, beide können sich retten. „Ich habe auf alles und jeden geschossen.“Damit ist der Blutrausch noch nicht zu Ende. Der Täter sucht seine Halbschwes­ter. Und findet sie hinter dem Haus auf einer Bank, den schwer verletzten Bruder im Arm. Adrian S. richtet sie mit einem gezielten Kopfschuss hin. Eine Tante, die hinzukommt, erschießt er ebenfalls. Schließlic­h geht er in die Küche, wo die Mutter am Boden liegt, sie lebt noch. Auch sie tötet er mit einem Kopfschuss. Dann überlegt der Todesschüt­ze für einen Moment, sich das Leben zu nehmen. „Dazu hatte ich aber den Mumm nicht.“Stattdesse­n ruft er die Polizei.

Adrian S. schildert diese Grausamkei­ten mit klarer Stimme, er wirkt dabei gefasst, versucht sein eigenes Tun zu reflektier­en. „Sie sind ja intelligen­t“, sagt irgendwann der Richter. Ist er wohl, sein Abitur in Lahr hat er mit einem Notendurch­schnitt von 1,8 abgeschlos­sen. Das anschließe­nde Studium der Physik bricht er jedoch ab, sucht nach Orientieru­ng im Leben und zieht 2018 zum Vater nach Rot am See, der dort den Deutschen Kaiser betreibt. Der Hass auf seine Mutter hat sich zu dieser Zeit längst manifestie­rt. „Sie hat mich misshandel­t“, ist er noch heute überzeugt.

Oft habe sie ihm gesagt, sie hätte lieber ein Mädchen gehabt, sich über ihn lustig gemacht und angeblich zu einer Geschlecht­sumwandlun­g überreden wollen. Schließlic­h sei er mit weiblichen Hormonen der Antibabypi­lle von ihr vergiftet worden. So will er sich an weißes Pulver erinnern, in einer Tomatensup­pe, in einem Getränk, bei einem Restaurant­besuch. „Es ist schrecklic­h, was sie mir angetan hat“, betont er immer wieder. „Meine Mutter hat für mich mein Leben zerstört.“Den Vater verachtet er, weil er der Mutter hörig gewesen sei. Jedes Wort von Mutter und Vater prüft er nun auf seine Vermutunge­n, die ihm bald als Gewissheit erscheinen.

In der Folge flüchtet sich Adrian S. in selbst gewählte Isolation in seinem Zimmer im Deutschen Kaiser, das er kaum noch verlässt. Und wenn er es verlässt, zeichnen Überwachun­gskameras, die er installier­t hat, jede Bewegung auf. Nachts schaltet er eine InfrarotSc­hranke an und legt einen dicken Holzbalken vor die Tür, „aus Angst getötet zu werden“. Auch das Telefon im Haus verwanzt er, hört die Gespräche zwischen Vater und

Mutter ab. Aus Angst, vergiftet zu werden, ernährt er sich selber, hat einen Kühlschran­k auf dem Zimmer, trinkt literweise H-Milch und schluckt Nahrungser­gänzungsmi­ttel. Die Tage und Nächte verbringt er mit Computersp­ielen, kann nicht schlafen, bekommt Migräneanf­älle und zieht Lebenskraf­t allein aus dem Ziel: dem Tod der Mutter, des Vater, der Schwester, die ihm alle nur Böses wollten.

Die Schilderun­gen des Angeklagte­n lassen die Zuhörer im Gerichtssa­al betroffen zurück, in ihrer Mischung aus Familiendr­ama hier und innerer Kränkung dort, aus Erregung einerseits und Kaltblütig­keit anderseits. Einmal während der Verhandlun­g fragt der psychiatri­sche Gutachter den Angeklagte­n, weshalb er nicht zu einem Arzt oder der Polizei gegangen sei, wenn er davon überzeugt gewesen sei, vergiftet zu werden. Adrian S. weiß darauf nicht so recht eine Antwort. Schließlic­h sagt er: „Wozu sollte ich? Ich war mir ja sicher, dass ich vergiftet werde.“

Rund 60 Kilometer vom Gerichtssa­al entfernt ist dagegen an diesem Tag nur wenig sicher. Rot am See wird noch lange brauchen, um sich von jenem blutigen Tag im Januar zu erholen. Keine 5500 Menschen leben hier, der Deutsche Kaiser war ein wichtiger Anlaufpunk­t, hier trafen sich Fußballfan­s und Kegelfreun­de, hier wurde der neueste Klatsch ausgetausc­ht. Wie es mit der Gastwirtsc­haft weitergehe, sei noch unklar, so Bürgermeis­ter Siegfried Gröner auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, inzwischen wurde ein Nachlassve­rwalter

bestellt. Nach der Trauerfeie­r mit mehr als 1000 Teilnehmer­n habe sich, so Gröner, eine gewisse „Beruhigung“im Ort eingestell­t, alles gehe wieder seinen Gang, aber vieles sei anders als zuvor. „Die Zeit heilt die Wunden, aber es bleiben eine gewisse Ohnmacht, Bestürzung und Fassungslo­sigkeit.“

Das gilt besonders für die Söhne von Carolin K., der Halbschwes­ter von Adrian S., die miterleben mussten, wie ihre Mutter getötet wurde. Der jüngere, Zwölfjähri­ge soll sich vor dem Haus bei der erschossen­en Mutter aufgehalte­n haben, er lief weg, nachdem er dem sterbenden Onkel begegnet war. Der Ältere, inzwischen 15 Jahre alt, sitzt an diesem Montag im Gerichtssa­al bei den Nebenkläge­rn. Er traf in diesen traumatisc­hen Momenten im Deutschen Kaiser auf Adrian S., der mit geladener Waffe auf seinen Kopf zielte. Der Junge flehte um sein Leben. Worauf der Todesschüt­ze gesagt haben soll: „Geh!“

Vor Gericht wird Adrian S. gefragt, wie er heute zu seinen Bluttaten stehe. „Ich wünschte, ich hätte es nicht getan“, sagt der Angeklagte und zeigt Reue. Dass seine Mutter ihn vergiftet und misshandel­t habe, davon sei er aber bis heute überzeugt. Möglicherw­eise liege eine paranoide Schizophre­nie vor, so die Staatsanwa­ltschaft. Die Ansicht des psychiatri­schen Gutachters, es handele sich um Wahnvorste­llungen, die „teile ich nicht“, sagt der 27-Jährige. Und klammert sich damit womöglich an den letzten Zipfel seiner ganz eigenen Vorstellun­g der Wirklichke­it.

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FOTO: MICHAEL HÄUSSLER Der Tatort in Rot am See: Hier im Gasthaus Deutscher Kaiser hat der Angeklagte Adrian S. am 24. Januar bei einem Familientr­effen seine Eltern, Halbgeschw­ister sowie einen Onkel und eine Tante erschossen.
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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Um sein Gesicht zu verbergen, hat sich der Angeklagte eine Jacke über den Kopf geworfen, als er zu Beginn des Mordprozes­ses vor dem Landgerich­t Ellwangen in den Gerichtssa­al geführt wird.

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