Meditation in Bewegung
Das Stuttgarter Ballett begeistert mit „Shades of White“
STUTTGART - Ganz in Weiß gibt sich das Stuttgarter Ballett in seiner Eröffnungspremiere „Shades of White“mit drei Klassikern von John Cranko, Natalia Makarova und George Balanchine: Weiße Tutus, soweit das Auge reicht, zarte Schleier an den Armen, glitzernder Haarschmuck und Krönchen für die Damen, weiße Oberteile und Strumpfhosen für die Herren – ein Traum für Ballettfans, begeistert aufgenommen und schon bestens gebucht!
Mit Beginn dieser Saison hat Tamas Detrich die Position des Ballettintendanten von Reid Anderson übernommen, wie dieser hält er die enge Verbindung des Hauses zu den Choreografien von John Cranko aufrecht. Mag das Stuttgarter Ballett auch für seine jungen Tanzschöpfer und modernen Tanz berühmt sein, die Grundlage eines jeden Trainings ist doch das klassische Ballett mit seinen Pirouetten, Arabesken, Hebungen und Sprüngen, den graziösen Armhaltungen und den über die Bühne schwebenden und trippelnden Frauen. Tradition wird gepflegt und sie bewährt sich nicht nur in einem Ensemble von 24 Tänzerinnen, die in „La Bayadère“, dem traumhaften Mittelteil des Abends, zu einer Einheit werden.
John Cranko eröffnet also diesen Abend. Mozarts Konzert für Flöte und Harfe, schön musiziert von Nathanaël Carré, Andrea Berger und dem Staatsorchester unter James Tuggle, war vor über 50 Jahren die Inspiration für die musikalische Umsetzung durch den legendären Ballettchef. 12 Tänzer schickt er auf die Bühne, lässt sie fliegen, springen, werben um zwei Tänzerinnen (Alicia Amatriain und Ami Morita). Hier zählt weniger die Hierarchie von Solisten, Halbsolisten und Ensemble, vielmehr ist es ein gleichberechtigter bewegter Reigen von allen Tänzern. Die Solokadenzen Mozarts werden auch tänzerisch jeweils herausgehoben, etwa in einem wunderbaren Verschmelzen der Körper im langsamen Satz.
Vereint im Opiumtraum
Mit dem mittleren Stück taucht man ein in die romantische Traumwelt eines Opiumrauschs: In „La Bayadère“, der Geschichte über eine indische Tempeltänzerin und ihren Geliebten Solor, schuf der über Jahrzehnte in Russland wirkende Tanzschöpfer Marius Petipa das Urbild für alle späteren weißen romantischen Ballette. Nur im Opiumtraum kann sich Solor mit seiner mit einer Giftschlange getöteten Geliebten verbinden. Dieser dritte Akt wurde schon in Russland als einzelner Teil „Das Königreich der Schatten“herausgelöst. In der 1974 für das American Ballet Theatre geschaffenen Choreografie von Natalia Makarova, der Grande Dame des russischen Balletts, schreiten 24 Tänzerinnen nacheinander in einer stets wiederholten Kombination von Schritt und Arabeske eine Rampe hinunter und in langer Serpentine über die Bühne: Es ist eine Meditation in Bewegung, getragen von der ruhig fließenden Musik von Ludwig Minkus und vollendeter Symmetrie der Figuren in mystischer Vollmondnacht. Elisa Badenes und Adhonay Soares da Silva sind das fliegende, sehnende Königskinder-Traumpaar, vereint in schwereloser Leichtigkeit und Innigkeit.
Mit George Balanchines „Sinfonie in C“, geschaffen 1948 für das New York City Ballet und seit 2002 im Repertoire des Stuttgarter Balletts, bildet ein weiterer Klassiker den dritten Teil von „Shades of White“. Die vier Sätze von George Bizets eingängiger, spritziger Musik choreografierte Balanchine vor blitzblauem Hintergrund mit Kronleuchtern. Jeweils ein Hauptpaar, zwei Nebenpaare und Tänzerinnen vom Corps de ballet erfreuen sich und das Publikum an der ebenso fantasievoll wie musikalisch umgesetzten Choreografie.
Da gibt es virtuose Sprünge und Hebungen bei Miriam Kacerova und Friedemann Vogel, ruhige Konzentration und schwierigste Balanceakte bei Alicia Amatriain und Jason Reilly oder wiederum geschmeidige Anmut bei Hyo-Jung Kang und Adhonay Soares da Silva. Elisa Badenes und Moacir de Oliviera führen den Reigen temperamentvoll im letzten Satz an. Schließlich kommen alle Tänzerinnen und Tänzer in einem brillanten Finale auf die Bühne.
Das Publikum feierte Ballett, Orchester und Dirigent mit berechtigtem Jubel. Intendant Tamas Detrich erwies den einstudierenden Ballettmeisterinnen und vor allem der mittlerweile 78-jährigen Natalia Makarova seine Reverenz mit Kniefall und Rosen.