Bischof Fürst erschüttert
Missbrauchsfälle sollen transparent aufgearbeitet werden
ROTTENBURG (KNA) - Im Blick auf die neue Studie über Missbrauch in der katholischen Kirche ist Gebhard Fürst, der Bischof von RottenburgStuttgart, am Donnerstag in die Offensive gegangen. Er forderte eine transparente Aufarbeitung der Verfehlungen. Glaubwürdigkeit sei nur zurückzugewinnen, indem die kirchlichen Verantwortlichen Konsequenzen aus den Studienergebnissen zögen, erklärte Fürst in Rottenburg. Am Mittwoch war bekannt geworden, dass es in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland 3677 Opfer sexueller Übergriffe von mindestens 1670 Priestern gegeben hat. Fürst nannte dies „erschreckend“.
Der Bischof verwies darauf, dass die württembergische Diözese Aufarbeitung und Prävention von Missbrauchsfällen seit dem Jahr 2002 institutionell verankert habe. 2002 seien 72 Geistliche des Missbrauchs beschuldigt worden, 45 Personen seien inzwischen verstorben.
STUTTGART (lsw/KNA/epd) - Der Bischof der Diözese RottenburgStuttgart, Gebhard Fürst, ist vom Ausmaß des Missbrauchs in der katholischen Kirche erschüttert. Er habe geahnt, welche Dimension die Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“aufdecken könne, erklärte Bischof Fürst am Donnerstag. Dennoch seien die jetzt bekannten Ergebnisse für ihn erschreckend.
Der Diözese Rottenburg-Stuttgart sind 72 ihrer Kleriker bekannt, die des Missbrauchs an Minderjährigen beschuldigt werden; 45 davon sind bereits gestorben. Seit 2001 würden die Akten systematisch gesichtet, hieß es. Eine tatsächliche Täterschaft habe nicht in allen Fällen nachgewiesen werden können. 1950 Personalakten seien bislang durchgesehen worden.
Die Zahl der Opfer in Württemberg taxierte eine Sprecherin auf 100 bis 200 Personen, die nicht nur durch Kleriker der Diözese geschädigt wurden, sondern auch durch Ordensleute und Laien, etwa im Dienst der Caritas. Bis Ende August 2018 seien insgesamt rund 640 000 Euro ausbezahlt worden – in „Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde“. Zusätzlich seien Therapiekosten in Höhe von rund 130 000 Euro übernommen worden.
Die Sprecher der Erzdiözese Freiburg und des Bistums Augsburg sagten, eigene Stellungnahmen seien erst in einigen Tagen zu erwarten. Den Bischöfen Stefan Burger und Konrad Zdarsa läge die Studie noch nicht vor. In der Erzdiözese Freiburg seien die Mitarbeiter „zutiefst erschüttert“, berichtete eine Sprecherin.
Berichten von „Spiegel“und „Zeit“zufolge werden in der Studie für den Zeitraum von 1946 bis 2014 sexuelle Vergehen an 3677 überwiegend männlichen Minderjährigen protokolliert. Insgesamt 1670 Kleriker hätten diese Taten begangen. 4,4 Prozent aller Kleriker der Bistümer waren demnach mutmaßlich Missbrauchstäter. Mehr als jedes zweite Opfer sei höchstens 13 Jahre alt gewesen, in jedem sechsten Fall sei es zu Formen der Vergewaltigung gekommen. Die komplette, rund 500 Seiten umfassende Auswertung wollen die Bischöfe am 25. September auf ihrer Herbstvollversammlung in Fulda präsentieren.
Der Jesuit Klaus Mertes, der 2010 maßgeblich zum Bekanntwerden des Missbrauchsskandals beigetragen hatte, erklärte, die Weltkirche werde aus der Krise grundlegend verändert hervorgehen. Mertes sieht die vorzeitige Weitergabe der Studie an die Medien als „Zeichen“: „Die Kirche verliert die Kontrolle und damit auch die Deutungshoheit über die Aufarbeitung von Missbrauch“, schreibt der Direktor des Jesuitenkollegs Sankt Blasien.
Papst und Bischöfe müssten immer noch lernen, „uns zuzuhören“, sagte der Mitbegründer des Eckigen Tischs, Matthias Katsch, im ZDFMorgenmagazin. Der Papst will sich vom 21. bis 24. Februar mit den Chefs der Bischofskonferenzen weltweit im Vatikan beraten. Bei der von der Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Studie bemängelte Katsch, dass die daran beteiligten Wissenschaftler keinen direkten Zugriff auf die kirchlichen Archive gehabt hätten.
Für die Kirche sei eine Debatte über den Zölibat zentral, so Katsch, „weil es nicht lebbar ist, weil es dazu führt, dass Menschen im Geheimnis, in der Intransparenz leben.“